Mate - Aeternitas

By jesuisannasophie

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[ gen.: aeternitātis (f.) lat. - Ewigkeit, Unvergänglichkeit, Verewigung ] Die zwischen den Baumwipflen eine... More

Information
I. Until Midnight
prolog
(I) eins
(I) zwei
(I) drei
(I) fünf
(I) sechs
(I) sieben
(I) acht
(I) neun
(I) zehn
(I) elf
(I) zwölf
(I) dreizehn
(I) vierzehn
(I) fünfzehn
(I) sechzehn
(I) siebzehn
(I) achtzehn
(I) neunzehn
(I) zwanzig
(I) einundzwanzig
(I) zweiundzwanzig
(I) dreiundzwanzig
(I) vierundzwanzig
(I) fünfundzwanzig
II. After Moon's Rising
(II) eins
(II) zwei
(II) drei
(II) vier
(II) fünf
(II) sechs
(II) sieben
(II) acht
(II) neun
(II) zehn
(II) elf
(II) zwölf
(II) dreizehn
(II) vierzehn
(II) fünfzehn
III. Between Night's Shadows
(III) eins
(III) zwei
(III) drei
(III) vier
(III) fünf
(III) sechs
(III) sieben
(III) acht
(III) neun
(III) zehn
(III) elf
(III) zwölf
epilog
Danksagung

(I) vier

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By jesuisannasophie


Lilian

Langsam, fast behutsam ließ ich meine Fingerkuppen über seine Brust gleiten und spürte, wie sich seine Muskeln unter meiner Berührung entspannten, und er leise ausatmete.

Ohne mit der Wimper zu zucken, holte ich aus und meine Hand landete klatschend auf seiner Wange.

„Ich gehöre zu niemandem", zischte ich eindringlich und befreite mich aus seinem Griff, während Will sich ungläubig ins Gesicht fasste. Auf seiner Haut war ein roter Abdruck zu sehen und die Genugtuung darüber lenkte mich von dem tauben Pochen meiner Handfläche ab. Gerade wollte ich mich umdrehen, um so schnell wie möglich zu verschwinden, als er mein Handgelenk zu fassen bekam.

„Wenn du mich nicht sofort loslässt, schreie ich", warnte ich, kurz davor zu hyperventillieren, doch er grinste. Er grinste, verdammt nochmal, und sah dabei verboten gut aus.

„Lilian, bitte, lass uns reden", versuchte er, mich mit gesenkter Stimme zu beruhigen.

„Diese Gelegenheit hast du aber sowas von verpasst, als du Jason ohne Grund fast verprügelt hast", erwiderte ich trotzig und hob mein Kinn. „Außerdem, Will, gibt es nichts, worüber wir reden sollten, wenn ich ehrlich bin."

Seine Augen verdunkelten sich wieder, als ich Jasons Namen nannte und ich schluckte schwer. Ich spürte etwas Starkes, Gefährliches in ihm flackern, das kurz davor war, die Oberhand zu ergreifen, allerdings konnte ich ihn kaum einschätzen. Er war eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen und alles mit sich reißen könnte. Sie könnte aber genauso gut auch ein Blindgänger sein.

Eine Zeitbombe mit wunderschönen Augen, in denen ich mich verlieren wollte. Hier draußen, bei hellem Tageslicht, erkannte ich, dass seine Iris hellbraun war mit winzigen Sprenkeln, die glänzend wie kleine Scherben.

Ich konnte mich nicht mehr rühren.

Langsam und vorsichtig streckte er seine Hand aus und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, seine Finger verharrten dicht hinter meinem Gesicht. Mein Herz schlug immer höher und ich war kurz davor, mich meinen intensiven Gefühlen hinzugeben, die Schutzmauer war gefährlich am Bröckeln; die Risse im sonst so standhaften Mauerwerk wurden immer größer. Mein rationales Denken war tief in den hintersten Winkel meines Kopfes verbannt.

„Du bist so wunderschön", murmelte Will und fuhr mit den Fingerspitzen mein Kinn entlang. Ein angenehmer Schauer lief mir über den Rücken, ich biss mir auf die Unterlippe. Sein warmer Atem kitzelte an meinem Ohr und die Hitze, die er ausstrahlte, überschwemmte meinen Körper gleißend. Bei seinen Worten wurden meine Glieder zu flüssigem Wachs, das immer weiter schmelzen wollte. „Wir träumten voneinander, und sind davon erwacht; wir leben, um uns zu lieben, und sinken zurück in die Nacht."

Ich kannte die Verse dieses Gedichtes nur zu gut, die er in mein Ohr flüsterte, ich hatte sie selbst nach einer seltsamen Eingebung gelesen. Oh, ich kannte es, und meine Seele schien es ebenfalls zu kennen; es kam mir vor, als wäre diese Strophe seit einer kleinen Ewigkeit in meinen Geist eingebrannt.

„Lilian Bennett", wisperte Will kaum hörbar, sodass ich mir nicht sicher war, ob es nicht nur ein Windhauch gewesen war, der mir Streiche spielte. „Ich habe dich endlich gefunden. Du bist meine Mate."

Schritte ertönten auf dem mit Gras bedeckten Boden, ich nutzte die Gelegenheit und trat, aus meiner Trance gerissen, einen Schritt zurück. Eine Gestalt war um die Ecke der Sporthalle getreten, bei unserem Anblick blieb Jackson wie angewurzelt stehen. Seine kalten, blauen Augen ruhten auf mir, ich fühlte mich nackt und schutzlos. Es war irritierend, wie ich mich unter dem Blick eines Menschen so entblößt fühlen konnte, obwohl sich sichtlich mehrere Meter Abstand zwischen uns befanden.

Es war nichts zwischen uns passiert, trotzdem kam es mir vor, als hätte uns Wills älterer Bruder in einem unglaublich intimen Moment unterbrochen.

„Will, wir sollten jetzt gehen." Jacksons Stimme wurde von der leichten Brise in unsere Richtung getragen und sein Bruder ließ widerstrebend mein Handgelenk los. Es war, als würde ein unsichtbares Band reißen, zurück blieb ein immer stärkeres Gefühl der Sehnsucht. Wortlos drehte sich von mir weg und stapfte langsam durch das Gras, als er an mir vorbeilief, wehte mir ein herber Duft nach Minze und Männershampoo entgegen.

Keiner der beiden Brüder sagte noch ein Wort, als sie mich verwirrt stehen ließen und verschwanden.

-

Mit quietschenden Reifen bog ich in die abgelegene, verlassende Einfahrt und wirbelte dabei eine Wolke aus Staub und Abgasen auf. Auf der anderen Straßenseite erstreckten sich aneinandergereihte Platanen, die lange Schatten auf den Asphalt warfen, ein paar hundert Meter weiter standen die ersten Häuser neben dem heruntergekommenen Schild mit der verrosteten Aufschrift ‚Eleveden'.

Willkommen in deinem trauten neuen Heim, Lilian, dachte ich humorlos und stellte den Motor meines schwarzen BMWs ab. Ich war meinem Vater unglaublich dankbar gewesen, dass er durch die Beförderung nicht nur den Umzug initiiert hatte, sondern wenigstens die Muße gehabt hatte, mir einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Wie ich mich sonst an diesem Ort ohne richtige Personenverkehrverbindungen hätte fortbewegen sollen, war mir ein Rätsel.

Als ich mit knallender Tür ausstieg, betrachtete ich die dunklen Baumwipfel des Waldes hinter unserem Grundstück, die bedrohlich in den Himmel ragten. Man hörte hier kein lautes Brummen der Motoren auf den Schnellstraßen. Die Nachbarhäuser waren so weit entfernt, dass man kein Geschrei der Kinder hören konnte. Nur das Krähen der Raben und das Rauschen des Windes durchbrach die Stille.

Es war ruhig und einsam.

Ich stieg die Treppe zu der altmodisch weiß gestrichenen Veranda hoch und schloss die Tür auf. Zugegebenermaßen war unser Haus auf eine einzigartige Art und Weise schön, mit den hohen Fenstern und der grauen Klinkerfassade, nur die weißen Spitzenvorhänge erinnerten mich zu sehr an meine verrückte Großmutter Gertrud, vor der ich als Kind panische Angst gehabt hatte. Zwar wurde mir von meiner Familie eingebläut, dass sie harmlos war und lediglich einen individuellen Charakter besaß, aber beruhigt hatte mich das nicht. Immerhin war sie fest davon überzeugt, dass die alte asiatische Teekanne, die ihr zu Weihnachten von ihrem Yogaguru geschenkt worden war, die Reinkarnation ihres verstorbenen Ehemannes war.

Kaum hatte ich die Tür geschlossen und dabei fast die sehr lockere Türklinke abgerissen, lief ich fast in meinen zwei Jahre jüngeren Bruder Miles rein, der geschäftig seine Jackentaschen durchwühlte.

„Keine Chance, unsere Mutter hat dein Gras bestimmt schon gefunden und liquidiert", begrüßte ich Miles und wuschelte ihm durch die braunen Haare.

„Du bist ja richtig witzig drauf", murrte er und wich meine Hand aus, als ich sie erneut nach ihm ausstreckte. „Lass das, ich bin keine zehn mehr."

„Nein, da hast du recht, du bist jetzt ein cooler Sechzehnjähriger, der kifft und Skateboard fährt, weshalb er sich von seiner Schwester nicht mit dem Auto mitnehmen lässt." Ich verdrehte die Augen. „Wie war dein erster Tag in der Hölle?"

„Hey, ich hatte nun mal früher aus als du, da warte ich doch nicht zwei Stunden auf dich", meinte er schulterzuckend und ich bemerkte, dass er anscheinend endlich das gefunden hatte, wonach er suchte, und eine kleine Plastiktüte in seiner Hosentasche verschwinden ließ. „Es war aber in Ordnung. Die Leute sind okay."

Ich hängte meine Jacke in der Garderobe auf und schlüpfte aus meinen Plateaustiefeln. „Miley, bitte lass das Zeug nicht in irgendwelchen Jacken liegen", ermahne ich ihn genervt. „Vor allem, weil ich die manchmal an habe. Ich will nicht dass Mama denkt, das Grünzeug wäre von mir."

„Nenn mich nicht so", brummte er widerstrebend. „Ay, ay, Sir, ich gebe mir Mühe." Und damit verschwand er nach oben in sein Zimmer und ich ging in die Küche. Meine Mutter stand über ein Buch gebeugt am Küchentresen und deutete ohne aufzublicken auf den Tisch.

„Mäuschen, ich habe Orangensaft frisch gepresst, falls du was möchtest", sinnierte sie und rückte die Lesebrille zurecht. Im warmen Sonnenlicht, das durch die Scheibe in das Zimmer fiel wirkten ihre hochgesteckten Haare, die die gleiche Farbe hatten wie die meines jüngeren Bruders, eher golden als karamellbraun. Als ich reinkam, rümpfte sie kurz die Nase. „Du riechst so komisch, hast du geraucht?"

Ich hätte mich innerlich schlagen können, dass ich nicht mehr daran gedacht hatte, den Zigerettenduft mit Parfüm oder Deo zu übersprühen. „Nein", log ich. „Das muss dir nur so vorkommen, ein paar aus meinem Kurs rauchen."

„Ach so." Sie wirkte wenig überzeugt, als sie sich nun doch von ihrer Lektüre losriss und mich kurz kritisch musterte. „Ist dir nicht kalt? Willst du dir nicht mal etwas Ordentliches anziehen?" Sie meinte damit definitiv meine zu weite schwarze Jeans und das schulterfreie, dunkelgrüne Oberteil aus Satin, doch ich war die Diskussionen leid.

„Wo ist Papa?", stellte ich eine ablenkende Gegenfrage. „Ich dachte, wir essen nachher zusammen."

„Dein Vater ist einkaufen, er wollte heute Abend Risotto kochen", antwortete sie. „Schatz, erzähl, wie war es in der Schule? Und wohin ist dein Bruder denn schon wieder verschwunden?"

Am liebsten wäre die Wahrheit über meine Lippen gesprudelt wie die Lava eines Vulkans. Am liebsten hätte ich geantwortet: Ich will zurück nach London, die Leute hier sind seltsam und haben Aggressionsprobleme, und ach ja, dein Sohn kifft sich in seinem Zimmer wahrscheinlich die Birne weg. Doch stattdessen sagte ich nur: „Es war gut. Ich habe schon ein ein paar aus meinem Kurs kennengelernt, und ich glaube, Miles muss Hausaufgaben machen."

Gedankenverloren fing ich an, durch die Scheibe der Terrassentür nach draußen zu starren, in den dicht hinter dem Zaun beginnenden Wald, was ich mit einem Seufzen quittierte. Es gingen mir so viele Dinge durch den Kopf, nicht zuletzt auch Jason und die drei Black Geschwister, vor allem Will.

Jason war mir in den letzten beiden Schulstunden reserviert aus dem Weg gegangen, was mich irgendwie verletzte. Glory setzte sich in Erdkunde neben mich, schien aber nicht besonders gesprächig, und Will tauchte gar nicht mehr auf.

Wir träumten voneinander, und sind davon erwacht; wir leben, um uns zu lieben und sinken zurück in die Nacht. Ich liebte diese Zeilen, sie hingen vor mir deutlich wie Nebelschwaden, doch wie sehr ich mich auch versuchte zu erinnern, wie das Gedicht weiterging, ich konnte sie mir nicht mehr zusammenreimen. Die Strophe, die ich damals in dem verstaubten Laden gelesen hatte, war wie ausradiert. Allerdings hatte es mich mehr als überrascht, dass auch Will es zu kennen schien.

Lilian Bennett, du bist meine Mate.

Welche Bedeutung trugen diese Worte mit sich? Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich die zitternden Zweige, als ich aus den Augenwinkeln eine rasche Bewegung vernahm. Langsam reckte ich mich nach vorne, den Blick nach draußen gerichtet. Zwischen den Bäumen meinte ich einen Schatten, eine dunkle Silhouette, zu erkennen, doch nach wenigen Sekunden war sie weg.

Blinzelnd trat ich einen Schritt nach vorne, nicht sicher, ob es Einbildung war oder ob da draußen wirklich jemand war.

Meine Mutter war wieder konzentriert in ihr Buch vertieft, also nutzte ich ihre Unaufmerksamkeit und öffnete vorsichtig die Tür zur Terrasse, um raus in den Garten zu schlüpfen. Vor mir raschelten Blätter, auf Socken bewegte ich mich über den Rasen, bis ich am Gartenzaun angekommen war. Mit geschlossenen Augen zog ich den Duft des Waldes ein, es schien so verlockend, einer unsichtbaren Sehnsucht nachzugeben, einfach loszulassen und loszulaufen. Dieser eine Schritt, und ich wäre frei.

Du hast doch Angst, schossen mir die Worte durch den Kopf, die mein Exfreund Dylan mir an unserem letzten Treffen zugeflüstert hatte. Du bist schwach, du würdest dich nie trauen, etwas Gewagtes zu tun.

Ich hasste dieses Gefühl, mit meinen Schwächen konfrontiert zu werden.

Ohne weiter nachzudenken, schwang ich mich über den hüfthohen Zaun, unter meinen Füßen spürte ich das weiche Moos und das federnde Gras. Ich wusste nicht, wem ich etwas beweisen wollte, denn tief in mir drin wusste ich, dass ich es nicht meiner selbst Willen tat. Ich machte diese Dummheit, um mich endgültig von einer Person zu verabschieden, die mein Herz gebrochen hatte, die mich verletzt hatte, innen sowie außen. Ich warf alles ab, was mich zu einem kleinen verängstigten Mädchen machte.

Ein paar Meter vor mir huschte wieder der Schatten durch das Dickicht und verschwand hinter einem Baumstamm, ich trat mehrere Schritte vor.

Und dann begann ich zu laufen.

Der Wind zerzauste meine Haare, meine Zehen wurden taub, aber das Stechen des Schmerzes gab mir ein Gefühl der Lebendigkeit. Dieses Gefühl war es, das mich vorwärts trieb und wie eine Idee durch die Gegend laufen ließ. Es tat gut, der unterdrückten Wut Luft zu machen. Ich war wütend auf so vieles; auf meine Familie, auf mein Umfeld, auf die Situation, aber vor allem auf mich selbst. Das Brodeln in mir fraß mich von innen auf, schon seit Wochen, aber ich verdrängte es immer weiter.

Erst, als die Erkenntnis mich wie ein harter Schlag traf, dass ich etwas unglaublich Leichtsinniges tat, blieb ich keuchend stehen und blickte mich orientierungslos um. Alles sah identisch aus, jeder Baum, jede Wurzel, und das Schlimmste von allem war, dass ich mich beobachtet fühlte. Fluchend drehte ich mich im Kreis und achtete auf jedes Detail, rief mir verzweifelt in Erinnerung, von wo ich gekommen war, doch es war zu spät; jeder der Bäume ähnelte seinem Nachbarn, und ich hatte mich hoffnungslos verirrt.

Ein tiefes Knurren ertönte, nah hinter mir. Zu nah.

Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich mich wie vom Blitz getroffen umdrehte.

Oh, verdammt.

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