Lahote || Twilight / Werwolf

By itsMarena

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Lahote - so viele Jahre hatte mich dieser Name verfolgt und sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen... More

Prolog - Die Rückkehr
Kapitel 01 - Was hat sich getan?
Kapitel 02 - Jacob
Kapitel 03 - Erinnerungen
Kapitel 04 - Alte Freunde, neue Fremde
Kapitel 05 - Schlechte Nachrichten
Kapitel 06 - Vernünftig sein
Kapitel 07 - Das Wiedersehen (1)
Kapitel 08 - Das Wiedersehen (2)
Kapitel 09 - Alte Legenden
Kapitel 10 - Prägung
Kapitel 12 - Das wahre Monster
Kapitel 13 - Neue Freundschaften
Kapitel 14 - Super-GAU
Kapitel 15 - „Sei freundlich"
Kapitel 16 - Erklärungs- und Versöhnungsversuche
Kapitel 17 - Neue Tagesordnung
Kapitel 18 - Unerwartete Begegnung
Kapitel 19 - Konfrontationen
Kapitel 20 - Happy Birthday
Kapitel 21 - Hysterischer Besuch
Kapitel 22 - Angriffslust
Kapitel 23 - Schockstarre
Kapitel 24 - Wendungen
Kapitel 25 - Längst überfällige Gespräche
Kapitel 26 - Überlegungen
Kapitel 27 - Ein Schweigen sagt mehr als tausend Worte
Kapitel 28 - Die Beichte
Kapitel 29 - Entscheidung
Kapitel 30 - Hoffnung
Kapitel 31 - Briefe
Kapitel 32 - Nichts zu verlieren
Kapitel 33 - Das alte Lied
Kapitel 34 - Forderungen
Kapitel 35 - Angst
Kapitel 36 - Chaos
Kapitel 37 - Herz gegen Kopf
Kapitel 38 - Offenheit
Kapitel 39 - Hochzeit (1)
Kapitel 40 - Hochzeit (2)
Kapitel 41 - Rechtfertigungen
Kapitel 42 - Eine unangenehme Situation
Kapitel 43 - Freundschaft
Kapitel 44 - Quileute Days (1)
Kapitel 45 - Quileute Days (2)
Kapitel 46 - Entschlossenheit
Kapitel 47 - Traumschwiegersohn
Kapitel 48 - Geständnisse
Kapitel 49 - Kein Neuanfang

Kapitel 11 - Ein völlig eigenständiger Mensch

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By itsMarena

Kapitel 11 – Ein völlig eigenständiger Mensch

– Julie –

La Push, Oktober 2009

In letzter Zeit waren die Tage ungewöhnlich schnell an mir vorbeigezogen.
Normalerweise hatte ich immer die Zeit in La Push totgeschlagen, hatte hier und da Lou getroffen, mit Dillon telefoniert und mich all den Gedanken, die in mir aufkamen, hingegeben.
Seitdem jedoch Jacob Bella ins Reservat gebracht hatte, war unsere Gruppe um ein Mitglied gewachsen und damit hatte auch mein Leben eine völlig neue Komponente erhalten.

Ähnlich wie auch um Sam, hatte sich ein neuer Freundeskreis gebildet – Jacob, Lou, ich und immer öfters auch Bella verbrachten viel Zeit miteinander.
Selbst wenn ich nicht einzuschätzen wusste, was genau sich zwischen Jake und Bella abspielte und ob zwischen ihnen wirklich etwas entstehen konnte, genoss ich die Zeit mit ihnen. Wir hatten Spaß, Bella hatte interessante Ansichten und vor allem brachten sie mir Ablenkung.

Ich fand kaum mehr Zeit dazu, mir Gedanken über Paul, unsere seltsame Begegnung oder sein neues Umfeld zu machen. Ich hatte mein Leben und er seines – und das war auch gut so.

„Du klingst glücklich, Babe", seufzte Dillon erleichtert ins Telefon, als ich ihn auf Lautsprecher neben mir auf dem Bett liegen hatte und gleichzeitig meine Haare zu einem Zopf band. „Beinahe ein bisschen zu glücklich, so ganz ohne mich", bemerkte er gespielt verärgert, bevor er leise ins Telefon lachte.
Wäre nun auch noch Dillon hier bei mir in La Push und würde Jake, Lou und sogar Bella kennenlernen, hätte mein Leben zu diesem Zeitpunkt auf keinem besseren Weg sein können.

„Spinner", kicherte ich kopfschüttelnd und sah verträumt auf das Telefon. Ich wünschte, er wäre leibhaftig hier gewesen und nicht bloß der Klang seiner Stimme.
Nach jedem Telefonat wollte ich am liebsten im nächsten Flugzeug nach LA sitzen, um ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können, doch dann fiel mir wieder ein, welches Loch mein Jahr in London in meinen Finanzen hinterlassen hatte.

„Du fehlst mir."
„Du mir auch", erwiderte Dillon aufrichtig. „Sobald ich hier weg kann, komm' ich dich besuchen. Aber bis dahin scheinst du dich ganz gut zu schlagen. Ich muss ja gestehen, dass ich ziemlich in Sorge war, als du heimgeflogen bist – so ganz allein."
Selbst aus der Distanz klang Dillon noch so unglaublich einfühlsam und fürsorglich, dass ich seine Nähe sogar hier spüren konnte.
Ich wünschte, er hätte mir schon zu einem früheren Zeitpunkt meines Lebens zeigen können, wie schön sich Zuneigung für einen Menschen anfühlen konnte, wenn sie auf Respekt und Gegenseitigkeit beruhte.

„In Sorge?", wiederholte ich fragend seine Worte.
„Naja, du hast eben nie allzu gut von deiner Zeit Zuhause erzählt, wegen dieses Kerls. Ich hatte ehrlich gesagt etwas Angst, dass du..naja, in alte Muster verfallen könntest."
In Dillons Stimme schwang keine Eifersucht oder ähnliches, bloß ernstgemeinte, liebevolle Sorge, die sich glücklicherweise inzwischen zerschlagen hatte.

Ich hatte ihm im Laufe des letzten Jahres so sehr vertraut, dass ich ihm selbst von meiner Vergangenheit mit Paul erzählt hatte. Zwar nicht die erbärmlichen Details und armseligen Situationen, in denen ich mich wiedergefunden hatte, doch er wusste von meiner emotionalen Abhängigkeit von ihm und wie sie mich immer mehr nach unten gezogen hatte.

„Ach was, das ist Geschichte", versicherte ich ihm selbstbewusst und verdrängte dabei, dass ich vor nicht allzu langer Zeit beinahe durch einen einzigen Blick wieder ins Schleudern geraten wäre.
„Klar, er ist auch hier, aber wir haben nichts mehr miteinander zu tun. Das ist gut. Mir geht's gut – außer dass du mir fehlst."
Zufrieden hörte ich, wie er am anderen Ende der Leitung lachte.

Doch noch bevor Dillon etwas erwidern konnte, ließ mich ein Klopfen an meiner Zimmertür aufschrecken. Vorsichtig stieß mein Dad die weiße Holztür auf und sah mich fragend an, um wohl ein Zeichen zu bekommen, ob er gerade störte.
Lächelnd zeigte ich ihm an, mir nur eine Sekunde zu geben.
„Ich muss auflegen, Dillon. Klar, ich meld' mich. Viel Spaß, bis dann."

Strahlend legte ich das Telefon beiseite und widmete mich von nun an voll und ganz meinem Dad.
„Was gibt's?"
Seufzend trat er in mein Zimmer und rieb sich unsicher die Hände, als er mitten im Raum stand.
Mein Vater war kein großer Redner. Wenn er also mal aktiv auf mich zukam und hier auf meiner Türschwelle stand, dann sicher nicht ohne Grund.

Auffordernd sah ich ihn an, sodass er sich endlich neben mich auf die Matratze saß.
Auf einen Schlag fühlte ich mich wieder wie damals, als ich dreizehn war und mein Vater den Drang verspürt hatte, plötzlich Vater-Tochter-Gespräche mit mir führen zu müssen. Ähnlich unangenehm war es auch wieder in dieser Situation – für ihn, als auch für mich.

„Okay, Julie", seufzte er und schien damit das Gespräch eröffnen zu wollen. Ich tappte vollkommen im Dunkeln, was der Anlass für diese Unterhaltung sein sollte, immerhin war in letzter Zeit nichts vorgefallen. Wir hatten uns wunderbar verstanden, wie immer.
„ich denke, ich sollte es einfach frei von der Leber weg sagen. Julie, ich bin nicht blöd. Ich sehe doch, was hier vor sich geht – und es gefällt mir ganz und gar nicht."

Fragend und irritiert sah ich ihn an. Er sah also, was hier angeblich vor sich ginge und damit war er mir definitiv einen Schritt voraus.
„Okay", runzelte ich verwirrt die Stirn. „Und was wäre das?"
Deutlich hörbar atmete Dad durch, als würde er bedauern, es nun selbst aussprechen zu müssen. Allerdings tappte ich völlig im Dunkeln, wovon er reden könnte. Etwa von Dillon? Er kannte ihn doch überhaupt nicht. Oder doch von meiner fehlenden Zukunftsplanung?

Ernst musterte mich mein Vater. „Du bist inzwischen alt genug, um deine eigenen Entscheidungen zu treffen, allerdings ist das hier immer noch mein Haus. Und was unter diesem Dach passiert, geht mich immerhin doch noch etwas an. Ich dulde Paul Lahote in diesen vier Wänden nicht."

Mit offenem Mund saß ich neben ihm und starrte ihn an – zu perplex, um irgendetwas zu erwidern. Was Dad eben von sich gegeben hatte, war einfach so willkürlich und zusammenhangslos.
„Wie bitte?", war alles, wozu ich im Stande war zu hinterfragen.

„Wie gesagt, ich bin kein Idiot, Julie. Wann immer ich das Haus verlasse, drückt sich Paul Lahote vor unserem Grundstück herum. Ich fahr' zur Arbeit, er steht auf der Straße vor dem Haus. Ich komm' nach Hause, er verschwindet hier um die Ecke. Es war früher schon offensichtlich und das ist es auch heute noch."

Ich traute meinen Ohren kaum. In letzter Zeit hatte ich es geschafft, keine unnötigen Gedanken an Paul zu verschwenden und nun saß hier mein Vater neben mir und warf den Namen „Paul Lahote" in den Raum – noch dazu mit derartigen Unterstellungen.

„Moment mal, Dad", hob ich einhaltend die Hand, um mich für eine Minute zu sortieren und seine Worte sacken zu lassen. „Willst du mir gerade sagen, dass du denkst, ich hätte wieder was mit Paul?"
Als hätte ich soeben nur das Offensichtliche wiederholte, sah er mich tadelnd an.
„Schatz, ich hab' schon einmal zusehen müssen, wie dich dieser Nichtsnutz kaputt gemacht hat und das werde ich mir nicht noch einmal ansehen. Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen, aber nicht unter meinem Dach, nicht in meinem Haus."
Er verlieh seiner Stimme mit jedem Wort mehr Nachdruck und sah mich ernst, nahezu flehend an.

Tatsächlich, er war der festen Überzeugung, ich wäre wieder schwach geworden und Paul hätte mich einmal mehr um den Finger gewickelt.
Die Jahre, in denen ich mich emotional immer mehr von Paul abhängig gemacht hatte, waren auch für ihn kein Spaziergang gewesen und wieder erkannte ich in seinen Augen, wie hart es für ihn gewesen war, dass er damals tatenlos dabei zusehen musste.
Keine warnendes, gut gemeintes Wort hatte mich damals erreicht, ich hatte Paul sogar stets vor ihm in Schutz genommen. Er hatte mich schließlich schweren Herzens nach England gehen lassen, nachdem selbst ihm klar war, dass ich mich ohne räumlichen Abstand niemals von Paul hätte lösen können.

„Dad, ganz ehrlich!", hakte ich noch einmal ein und sah ihm direkt in die Augen, in der Hoffnung er würde erkennen, wie ernst es mir war. „Ich hab' keine Ahnung, was Lahote da draußen zu suchen hatte, aber ganz bestimmt war er nicht bei mir. Ich hab meine Lektion gelernt, ich seh' ihn inzwischen auch durch andere Augen, glaub mir. Nie wieder, versprochen!"

Zweifelnd runzelte er die Stirn und musterte mich, als wollte er abwägen, ob er mir Glauben schenken konnte.
„Was das angeht, schwirrt in diesem Kopf nur noch Dillon rum, wenn du's genau wissen willst", versicherte ich ihm und lächelte ihn an, während ich an meine Stirn tippte. „Und ich hoffe, du kannst ihn schon bald kennenlernen."

Mein Vater schien sich immer noch nicht entschieden zu haben, wie vertrauenswürdig ich war und guckte skeptisch drein.
„Wirklich", lachte ich nun doch etwas lauter und umarmte ihn liebevoll.
Ich hatte ihm eine ganze Menge Kummer bereitet, was ich mir wohl niemals verzeihen werde. Ich konnte es ihm noch nicht einmal verübeln, dass er an mir zweifelte und mir zutraute, Paul wieder in mein Leben gelassen zu haben.

Seufzend legte Dad seine Hand auf meinen Rücken und drückte mich an sich.
„Ich kontrolliere dich nicht, wirklich", sagte er leise. „Ich mach' mir nur Sorgen. Ich hoffe, Dillon tut dir gut und ihr seht euch bald wieder."
Ehrlich lächelnd löste ich mich wieder von ihm. „Bestimmt."

Damit schien mein Vater vorerst beruhigt zu sein und hatte mich wieder in meinem Zimmer allein gelassen. Kopfschüttelnd und leicht schmunzelnd ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen und heftete meinen Blick an die Decke.

Das war mal ein unerwarteter Auftritt meines Dads. Zu solchen Mitteln griff er wirklich bloß in den seltensten Fällen und suchte bloß das offene Gespräch mit mir, wenn er sich nicht mehr anders zu helfen wusste.
Er musste sich also wirklich sicher gewesen sein, dass zwischen Paul und mir wieder etwas laufen würde. Wie oft musste ihm Paul also nur vor unserem Haus begegnet sein? Und was zur Hölle hatte er dort verloren?

Im Gegensatz zu meinem Vater hatte ich Paul seit unserer kuriosen ersten Begegnung und dem Tag am Strand kaum mehr zu Gesicht bekommen und lediglich dann und wann aus der Ferne, umgeben von seinen neuen Kameraden, gesehen. Und selbst dort hatte ich mich gezwungen, ihm keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken.
Vielleicht war Dad aber auch bloß noch extrem sensibel, was Paul betraf und reagierte deshalb so empfindlich auf jede Begegnung mit ihm. Vielleicht bildete er es sich also bloß ein, ihn ständig vor unserem Grundstück zu sehen.

Grummelnd schloss ich die Augen und versuchte mich zu besinnen. Es tat nichts zur Sache, es konnte mir vollkommen egal sein, was Paul Lahote tat. Ob nun auf der Straße vor unserem Haus, am Strand oder wo auch immer in La Push – es hatte mich nicht mehr zu interessieren.

„Na, startklar?", platzte ich unaufgefordert in Lous Zimmer und erspähte meine beste Freundin bereits vor ihrem Schminkspiegel, wie sie sich hektisch zurechtmachte.
Erschrocken sah sie mich an.
„Oh, verdammt, ich wollte dich noch anrufen!", schlug sie sich sofort die Hand vor die Stirn. „Ich kann heute nicht nach Forks fahren, ich muss arbeiten. Tut mir leid, ich hab das total vergessen und ich fürchte, meine Mum bringt mich um."

Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. Wir hatten uns heute mit Bella in Forks treffen wollen, doch anscheinend hatten sich die Pläne geändert.
„Oh Mann, und was ist mit Jake?"
Entschuldigend warf sie mir einen Blick zu. „Der liegt flach, der hat ja die letzten Tage schon gekränkelt. Jetzt hat es ihn wohl total entschärft."

Na wunderbar, damit hatte sich meine Freizeitgestaltung komplett in Luft aufgelöst.
„Es tut mir echt leid, aber ich muss auch direkt los. Du kannst bestimmt auch allein zu Bella fahren, du weißt ja, wo sie wohnt."
Mit diesen Worten drückte sich Lou bereits hektisch an mir vorbei, rannte polternd die Treppe nach unten und machte sich vermutlich direkt auf den Weg ins Hotel ihrer Mum.

Kurz blieb ich im Zimmer meiner besten Freundin zurück und hielt einen Moment inne. Ich wusste tatsächlich, wo Bella wohnte und hätte allein zu ihr fahren können, allerdings hatte ich bisher noch nie einen Tag allein mit ihr verbracht. Ich hatte sie gerne, doch trotzdem war ich immer nur mit Jake und Lou bei ihr gewesen und fürchtete, es könnte peinliches Schweigen entstehen, wenn wir nur zu zweit sein würden.

Unentschlossen streifte ich also durch die Siedlung, zurück nach Hause und überlegte, wie ich meinen Tag verbringen sollte. Dillon hatte zu tun, Lou musste arbeiten, Jake war krank und alle anderen La Push-Bewohner waren ja bekanntlich verrückt geworden.

Kurz schweiften meine Gedanken zu Leah, die ich seit meiner Rückkehr exakt einmal flüchtig zu Gesicht bekommen hatte, doch auch das hatte immerhin auch einen Grund.
Lou hatte mir erzählt, wie sehr Leah unter der Trennung von Sam litt und dass sie sich seither Zuhause verschanzte. Ich ahnte, wie mies sie sich fühlen musste und wenn sie allein sein wollte, musste man das akzeptieren. Wir waren früher zwar befreundet gewesen, doch besonders nahe standen wir uns inzwischen auch nicht mehr und damit war auch sie keine Option für meinen heutigen Zeitvertreib.

Alles, was mich heute also in La Push erwartete, war die pure Langeweile.

Gedankenverloren lief ich auf unser Haus zu und blieb in unserer Auffahrt stehen. Ich warf einen kurzen Blick auf den alten Wagen meines Dads und überlegte.
Vielleicht sollte ich doch einfach zu Bella fahren, vermutlich langweilte sie sich ähnlich wie ich und ihre Gesellschaft war mir bei Weitem lieber als all die Gestalten, die hier im Reservat frei rumliefen.

Gerade überlegte ich noch hin und her und tendierte innerlich doch dazu, mich doch in meinem Bett zu verkriechen, fernzusehen und den Tag an mir vorbeiziehen zu lassen, als hinter mir plötzlich eine Stimme ertönte, die mir durch Mark und Bein ging – und sofort war ich mit all meinen Sinnen bei mir und wirbelte herum.

„Willst du wegfahren?"
Das war alles. Diese eine Frage schleuderte mir Paul entgegen, als er wie aus dem Nichts vor mir stand und mir so intensiv in die Augen starrte, dass ich beinahe einen Schritt zurückwich.

Seit über einem Jahr hatte ich nicht mehr mit Paul Lahote gesprochen und nun tauchte er ohne Grund, hier bei mir Zuhause auf und bellte mir eine solch willkürliche Frage entgegen.
Vielleicht hatte mein Vater also doch recht und Paul drückte sich tatsächlich öfters hier herum, immerhin hatte ich ihn eben auch nicht kommen sehen.

Erstarrt stand ich vor ihm. Instinktiv öffnete ich den Mund, doch kein einziger Ton wollte daraus hervorkommen. Noch nie war ich derartig überrumpelt und überfordert gewesen.
Anstatt meiner, hörte ich noch einmal Pauls tiefe, ernste Stimme.

„Fahr nicht nach Forks."
Fassungslos starrte ich ihn an. Das sollte also wirklich die Einleitung des ersten Gesprächs zwischen Paul und mir sein – eine wirre Frage und ein noch verrückterer Befehl.

Ähnlich wie bei unserer letzten Begegnung, fesselte er mich wieder mit seinem Blick, wie es nur Paul konnte, doch gleichzeitig spürte ich auch eine unbändige Wut in mir aufkeimen.
Es konnte doch wirklich nicht wahr sein, dass sich Paul immer noch Auftritte wie diesen hier erlaubte.

Mit seiner breiten, muskulösen Statur wirkte er noch selbstbewusster und bestimmter als je zuvor. Er hatte immer schon eine außergewöhnliche Ausstrahlung gehabt und mich damit immer wieder in seinen Bann gezogen, doch etwas an ihm war verändert – oder vielleicht lag es doch an mir.

Kaum hatte ich wieder ein Hauch Selbstbeherrschung meinen Körper erfüllt, ballten sich meine Hände verkrampft zu Fäusten zusammen und ich funkelte Paul aufgebracht an.
„Ist das dein Ernst? Was glaubst du eigentlich wer du bist?", platzte es unkontrolliert aus mir heraus, während ich mir gleichzeitig auf die Zunge biss.
Ich wollte Paul noch nicht einmal zeigen, dass er immer noch solch extreme Emotionen in mir auslösen konnte. Ich wollte nichts als Gleichgültigkeit spüren, wenn ich ihn sah, doch stattdessen stand ich hier rasend vor Wut vor ihm.

„Dir auch einen schönen Tag, mir geht's gut, danke", keifte ich ihm nahezu hysterisch entgegen, in der Hoffnung, er würde zumindest seine fehlende Kommunikationskompetenz hinterfragen.
Zwar wollte ich ebenso wenig ein nettes Pläuschchen mit Paul Lahote halten, doch die Art und Weise, wie er mir eben gegenübergetreten war und immer noch dort stand, machte mich furchtbar aggressiv.

Unbeeindruckt stand Paul vor mir und war die Ruhe selbst, was mich bloß noch zorniger machte.
„Fahr einfach nicht nach Forks", wiederholte er nun noch eindringlicher.
Langsam fragte ich mich wirklich, ob er nicht bemerkte, wie irre er klang, oder ob es ihm einfach Spaß machte, mich zur Weißglut zu treiben.

Noch vor wenigen Augenblicken wollte ich nach drinnen verschwinden und mich in meinem Bett verkriechen, doch aus Trotz wollte ich mit einem Mal nichts anderes als in diesen Wagen zu steigen und auf direktem Wege nach Forks zu fahren.
Was auch immer das Paul überhaupt zu interessieren hatte oder weshalb ich nicht dorthin fahren sollte – es hätte mir nicht gleichgültiger sein können.

Verständnislos schüttelte ich den Kopf und starrte Paul nach wie vor wütend, aber auch irritiert an.
Selbst für Paul war das hier eine ungewöhnliche Aktion.
Ich hätte ihn zur Rede stellen und fordern können, mir zu verraten, was genau er von mir wollte, doch ich wollte kein unnötiges Wort mehr mit diesem Kerl sprechen.

Stattdessen tastete ich in meiner Jackentasche nach meinem Schlüssel und kehrte Paul wortlos den Rücken zu.
Diesen Tag würde ich also nun doch alleine mit Bella verbringen, bloß um Paul zu zeigen, dass er mir nicht, aber wirklich rein gar nichts, zu sagen hatte.

Schwungvoll knallte ich also die Autotür von innen zu und würdigte Paul, der immer noch im Rasen, auf demselben Fleck stand, keines Blickes. Egal wie gerne ich seine Reaktion gesehen hätte – ich wollte ihm noch nicht einmal den Triumph gönnen, dass er es mir wert war, ihn anzusehen.

Wäre ich in diesem Moment nicht so dermaßen erfüllt von Wut gewesen, hätte sich bestimmt auch Stolz an meine Seite gesellt. Immerhin war ich zum ersten Mal stark geblieben.
Vielleicht hatte Paul doch seine Macht über mich verloren und ich war endlich Julie – ein völlig eigenständiger Mensch.

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Wie man im Titel schon sieht, schreibe ich hier ein paar Oneshots und gif- imagines.