Die Nacht von Lisons Erwählung war zwar das erste Mal in der sie sich zu sechst vergnügten.
Mitnichten aber das letzte Mal. Im Gegenteil, sie fanden gefallen daran und immer wieder neue Orte und Gelegenheiten an denen sie sich trafen und es miteinander trieben.
Und neben dem Sex wurde dabei auch immer häufiger Politik besprochen und betrieben.
Das Ganze blieb natürlich nicht unbemerkt und auch wenn dank Isadors Fähigkeiten es diesbezüglich weder eine Berichterstattung noch eine öffentliche Debatte gab, machte es bald die Runde, dass sich da eine neue Elite im Hinterzimmer zusammengefunden hat.
Und bald schon hatte man nicht nur im Volke hinter vorgehaltener Hand eine Bezeichnung dafür.
'Holite' nannte man das Sextett im Angevinischen, 'Foramflos' im Sorenischen und dieses Wort, zusammengesetzt aus den Begriffen für Loch und Elite, war durchaus despektierlich und nicht immer nett gemeint.
Nichtsdestotrotz träumten nicht wenige Paare davon in die Holite aufzusteigen, zum Teil waren diese Träume auch eher feucht statt politisch orientiert.
Doch trotz aller Bemühungen und teils deutlicher Avancen gelang es niemandem.
Außer Meran und An-Taetsin. Aber die partizipierten mehr an dem Teil der die nicht sexuellen Aktivitäten umfasste, nicht weil man sie dabei nicht dabei haben wollte, sondern weil An-Taetsin aufgrund seiner Vergangenheit wohl nie wirklich wieder Sex mit mehr als einem Partner entspannt genießen konnte.
Ieran und An-Anadur hätten die Sechs sicherlich auch nicht abgewiesen. Aber die hatten kein Interesse. Ieran hatte das Herrschen schon lange satt und An-Anadur lehnte das "Hinterzimmergeklüngele" wie er es nannte ohnehin ab, darüberhinaus waren beide jetzt keine übergroßen Anhänger von Gruppensex.
Trotz der anfänglichen Erfolge von Angevinien hatte Sore dieses im Rennen um Bulan inzwischen eingeholt wenn nicht sogar überholt und so hatte Terastan längst auch seinen ersten und weitere Ausflüge ins All hinter sich gebracht.
Worauf nicht nur die Klatschpresse wartete waren die Vermählungen von Marlur und Luciur sowie Elasan und Mineon.
Unausgesprochen mit der Erwartung verknüpft, dass mindestens eines dieser Pärchen infolge dann auch in die Holite aufsteigen würde.
Doch das war natürlich nicht Teil der teils grottenschlechten Artikel in der Yellow Press. Und selbst wenn ein Redakteur oder Herausgeber auf die wahnwitzige Idee gekommen wäre sich das anders zu überlegen, nach einem Besuch von Isador hätte er sich das definitiv noch einmal überlegt.
Doch selbst Isador konnte die Zukunft nicht bestimmen.
Das Schicksal entzog sich seiner Herrschaft und fand immer neue Wege das Unmögliche möglich und das Unvorstellbare real zu machen.
Der Junge Ivenej war zu einem ansehnlichen jungen Mann geworden auch wenn er nun wie eine etwas sanftere und und weniger dominante Version seines großen Bruders Alexej war.
Eine Tatsache die nicht nur Taejo, Trevor und Isador aufgefallen war sondern auch – wie der Zufall es wollte – auch Terastan.
Auf der dritten Mission mit den neuen Sidernave-5-Raketen war es Sore erstmalig gelungen ein bemanntes Raumfahrzeug um Bulan kreisen zu lassen.
Terastan ab Apollam, Tectur Aliter und Iacomur d'Amoel waren die ersten Bumianer die mit eigenen Augen die Rückseite von Bulan sahen.
Nachdem die Spatinavigatoren¹ wieder wohlbehalten auf Bumia gelandet waren, richtete der Divinimperator am sorenischen Weltraumhafen in Aguaiana in Nova Beria einen großen Empfang aus, zu dem natürlich auch Trevor und Taejo geladen waren.
Mit Taejo kam Ivenej.
Und Terastan als den führenden Spatinavigator¹ von Sore konnte man ja von einem Empfang zu seinen Ehren nun schwerlich ausladen und fernhalten.
Im Palmenhain des Domus Saxunam in welchem der Divinimperator nicht nur residierte wenn er in Aguaiana war sondern wo auch der Empfang stattfand, trafen sie aufeinander.
Terastan sah sofort die Ähnlichkeit mit Alexej und alle seine mühsam verdrängten Gefühle die mit diesem verbunden waren, kamen in ihm hoch.
Er glühte förmlich vor Verlangen und voller unerwiderter Gefühle als ihre Blicke sich trafen.
Ivenej hatte Terastan nur einmal gesehen bisher und das war auf der legendären Feier in Northern Montalvia gewesen.
Er erkannte ihn daher nicht sofort, aber der glühende, feurige Blick des stattlichen Mannes ließ ihn augenblicklich innehalten.
Aufmerksam musterte er ihn und erkannte an dessen Uniform, dass er einen der erfolgreichen Raumfahrer vor sich haben musste.
"Sie sind einer derjenigen die es hinter den Bulan geschafft haben?" erkundigte er sich voller Respekt.
"Das ist so" bestätigte ihm Terastan freundlich, "Sie sind der Zarensohn aus Prinz Taejos Gefolge vermute ich?"
"Das haben Sie gut erkannt..." bestätigte Ivenej ein wenig verwundert.
Lächelnd merkte nun Terastan an: "Das war nicht schwer, ich kenne Ihren Bruder ein wenig..."
"Alexej?" staunte Ivenej nun, "darf ich fragen woher?"
"Oh, wir haben ein wenig Zeit miteinander in Kingstown-of-the-North verbracht" erklärte Terastan nun und lächelte verschmitzt.
Allerdings erkannte Ivenej nun wen er vor sich hatte und machte instinktiv zwei Schritte zurück.
"Ihr.... Ihr seid Terastan... Der Bruder von Trevastan!"
"Das haben Sie richtig erkannt" bestätigte Terastan.
"Man sagte Ihr habt euch in meinen Bruder verliebt" hielt ihm Ivenej nun vor, machte aber keine Anstalten weiter zurück zu weichen.
"Sag man das?" entgegnete ihm Terastan ruhig, "nun, nichtsdestotrotz hat der sich bekanntlich ja für Marla entschieden..."
Innerlich aber war der Divinoble alles andere als ruhig. Ja er hatte sich in Alexej verliebt gehabt und dessen Zurückweisung hatte ihn mehr verletzt als er sich immernoch eingestehen wollte. Aber noch mehr verwirrten ihn die Gefühle die nun der Anblick von Ivenej in ihm auslösten. Wieso reagierte er so auf Ivenej? Ja, er sah Alexej ähnlich, keine Frage. Aber er konnte doch nicht einfach für dessen kleinen Bruder ähnlich empfinden wie für Alexej. Es war schlimm genug, dass er überhaupt so empfand. Aber das? Das war ekelig!
Doch auch wenn sein Verstand das ekelig fand, sein Herz und sein Körper teilten dessen Meinung nicht.
Und so blieb Terastan stehen und lächelte Ivenej beinahe verlegen an bevor er ihn fragte: "Was ist mit Ihrem Herzen? Haben Sie es schon an jemanden verloren?"
Ivenej errötete leicht und Terastan stellte fest, dass er wirklich niedlich war dabei und dass der Anblick sein Herz schneller schlagen ließ.
"Ich habe noch niemanden gefunden, der mein Herz haben möchte" erwiderte er ehrlich und klang ein wenig traurig dabei.
"Haben Sie denn schon jemanden gesucht?" wollte Terastan nun wissen.
Ivenej kicherte verlegen und meinte dann: "Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich gefunden werde..."
"Ich habe Sie gefunden" stellte Terastan fest und Ivenej konnte weder Ironie noch Sarkasmus in seinen Worten erkennen.
"Haben Sie mich denn auch gesucht?" erwiderte er nun ebenso ernsthaft.
"Das ist eine gute Frage" erklärte Terastan, "und eine die ich nicht beantworten kann...
...ist es denn schlimm wenn es so wäre?"
"Wenn es so wäre, dann sollten wir uns duzen" wich Ivenej einer direkten Antwort äußerst elegant aus.
"Wenn du das erlaubst sage ich nicht nein" nahm Terastan sein Angebot sofort an.
"Und Ivenej" fuhr er dann fort, "möchtest du lieber von einem Mann oder einer Frau gefunden werden?"
Jetzt wurden nicht nur die Wangen von Ivenej rot.
Doch obwohl er peinlich berührt den Blick abwandte und nun sehr intensiv einem Busch zu seiner Rechten betrachtete, antwortete er: "Eigentlich ist mir das nicht wichtig. Ich möchte dass ich mein Herz an jemanden verschenken kann, der gut auf es acht gibt, der gut auf mich acht gibt..."
So ist das also dachte Terastan sich, anders als sein Bruder ist er nicht dominant.
Aber er sprach seine Gedanken nicht aus. Stattdessen scherzte er: "Und dennoch stehst du hier und unterhälst dich ausgerechnet mit mir darüber?"
"Warum sollte ich nicht?" entgegnete ihm Ivenej ruhig.
"Nun ja, mir eilt ein gewisser Ruf voraus" merkte Terastan nun vorsichtig an.
"Und ich bin ein Nachfahre von Fedeiur lo Horribilior" konterte Ivenej und dann stahl such ein kleines Grinsen auf sein Gesicht.
Er scheint sich nicht vor mir zu fürchten staunte Terastan.
Dann beschloss er alles auf eine Karte zu setzen, was hatte er denn zu verlieren.
"Drinnen spielt noch die Musik" sprach er daher, "würdest du mir die Freude eines Tanzes mit dir gewähren?"
Ivenej schaute ihn an und es sprach weniger Verwunderung aus seinen Blicken als Terastan erwartet hatte, dann nickte er leicht, reichte ihm eine Hand und meinte: "Warum sollte ich einem der Helden des heutigen Abend diese Freude verweigern?"
Dass Terastan mit Ivenej an seiner Hand den Festsaal des Domus Saxunam betrat, ließ dort so einige Gespräche verstummen und sehr viele Köpfe herumfahren.
"Das ist Ivenej!" stellte Taejo entgeistert fest.
"Mit Terastan!" grollte Trevor und seine Miene verdüsterte sich.
"Tatsächlich" war Trevastan verblüfft.
Nur Isador sagte nichts und lächelte nur still.
"Hälst du das für eine gute Idee?" fragte ihn Trevor aber sofort.
"Mein Bruder und Ivenej?" sprang Trevastan ihm bei.
Abwehrend hob Isador seine Hände: "Ihr wisst schon, dass ich die nicht zusammengebracht habe?"
"War Trevastan nicht in Alexej verschossen?" merkte Taejo nun an.
Erneut starrten alle vier zu Ivenej der nun mit Terastan die Tanzfläche betrat.
"Er hat jetzt schon gewisse Ähnlichkeiten mit Alexej..." stellte Trevor fest.
Skeptisch entgegnete Trevastan nun: "Du denkst doch nicht er überträgt seine Gefühle für Alexej jetzt auf Ivenej?"
"Es sieht ganz danach aus" meinte Taejo etwas lakonisch.
Fast ein wenig aufgeregt wandte sich Trevastan nun an Isador: "Das kannst du nicht zulassen, willst du, dass Ivenej der nächste An-Evur wird?"
Bevor Isador etwas antworten konnte, hob erneut die Musik an.
Ein Passon Duplam stellte Ivenej fest, das passte zu Novo Beria. Allerdings testete damit Terastan seine Grenzen auch aus.
So grinste er ihn spöttisch an und meinte: "Keine Angst, dass ich dich auf die Hörner nehme?"
"Wer weiß" erwiderte der, "vielleicht mag ich es gestoßen zu werden?"
Obwohl sie nun schon miteinander tanzten konnte Ivenej nicht anders und fing schallend an zu lachen.
Dann meinte er nur: "Das, Terastan, das glaubt dir nun wirklich keiner..."
"Ivenej lacht" stellte Isador fest, "aber wer bitte war oder ist An-Evur?"
"An Evur" hob nun Trevastan an, "war der erste Uxvir von Terastan."
"Und mit 'war' meinst du...?" erkundigte sich Trevor misstrauisch.
"Er weilt nicht mehr unter uns, das meine ich" entgegnete Trevastan darauf.
"Was hat Terastan mit ihm gemacht?" wollte Trevor sofort wissen.
Bitter erwiderte ihm Trevastan: "Was hat er mit dir gemacht?"
Darauf antwortete Trevor erst nichts, dann stellte er eine Gegenfrage: "Wie lange hat er das ausgehalten? Wie lange überlebt man das überhaupt?"
"Vierundvierzig Jahre" lautete Trevastans Antwort.
"Hat er ihn dann umgebracht?" mischte sich nun Isador ein.
Die Augen aller Viere richteten sich auf die Tanzfläche wo Ivenej, der eine schlichte weiße Seiden-Kosoworotka und eine locker fallende weiße Hose samt blauem Fransengürtel trug gerade mit anmutigen Drehungen um die eigene Achse vor Terastan in seiner blauen Luftwaffen-Uniform entloh, welcher ihn mit energischen Ausfallschritten verfolgte.
Natürlich war das Teil des Tanzes und somit Inszenierung und keine wirkliche Auseinandersetzung.
"Nein, hat er nicht" berichtete nun Trevastan, "An-Evur hatte nichts mehr wofür es sich zu leben lohnte..."
"Wie meinst du das?" fragte nun Taejo.
"Evur da Monsacutuam hatte sich nicht aus freien Stücken entschieden Uxvir zu werden noch hatte er sich für Terastan entschieden. Das war eine politische Verbindung die von unserem Pator und Evurs Vater eingefädelt wurde..." erzählte Trevastan weiter als Isador ihn unterbrach: "Du meinst er stand nicht einmal auf sein eigenes Geschlecht?"
"Ganz sicher nicht" fuhr sein Virion nun fort, "Evur war unsterblich verliebt in Ateia Capiton welcher er sogar schon klammheimlich geheiratet hatte – und das obwohl sie beide erst fünfzehn waren. Doch die Ehe wurde für ungültig erklärt und Evur an Terastan gegeben. Ateia, die keine Jungfrau und somit entehrt war, fand keinen Mann mehr und als sie dann mit sechzig Jahren starb, ohne dass sie Evur je wieder gesehen hatte, beging Terastan den Fehler, das dem armen Evur direkt unter die Nase zu reiben..."
"Und dann?" drängte Isador ihn weiter zu erzählen.
"Evur ist zu mir gekommen, obwohl er das nicht gedurft hatte" berichtete Trevastan weiter, "er hat mich gebeten für eine anständige Beerdigung von Ateia zu sorgen. Anständig war damals, dass der Leichnam öffentlich verbrannt wurde.
Also habe ich alles organisiert und auf dem Platen di Ignis² am Mariungo die Einäscherung mit allem was sich gehört durchführen lassen. Hätte ich geahnt was passiert, ich hätte es sicherlich nicht getan..."
Trevastan verstummte und ein Ausdruck tiefster Reue zeigte sich in seinem Gesicht.
Keiner wagte etwas zu sagen, bis Isador behutsam fragte: "Magst du erzählen was passiert ist?"
Trevastan nickt und setzte seine Erzählung fort: "Terastan erlaubte Evur sogar an der Einäscherung teilzunehmen. Vermutlich hat er gedacht, wenn er mit eigenen Augen sieht, dass Ateia nicht mehr ist, dann wäre er fügsamer oder weiß Libulan was...
...Evur saß da, ohne eine Miene zu verziehen. Doch als der Holzstoß mit Ateias Leichnam bereits in vollen Flammen stand, sprang er auf. Ohne ein Wort zu sagen und so schnell, dass keiner ihn aufhalten konnte, rannte er zu dem Feuer und dann stieg er auf den Scheiterhaufen.
Noch während er hochkletterte ging er bereits in Flammen auf und trotzdem stand er kurz als lebende Fackel oben auf bevor er einfach im Feuer versank..."
"Oh bei Godan" keuchte Trevor entsetzt auf, "wie schrecklich..."
"Er muss eine enorme Selbstbeherrschung gehabt haben..." merkte Taejo an.
"Eine unfassbare, es ist erstaunlich, dass er es noch auf auf den Stapel geschafft hatte" sagte Trevastan, "wir haben nachher herausgefunden, dass er sich mit wohlriechenden Essenzen eingeölt hatte und auch seine Kleidung damit benetzt hatte. Alles Essenzen und Öle die gut brannten.
Er musste nur dem Feuer nahe genug kommen. Also selbst wenn ihn noch jemand eingeholt hätte, es hätte nichts gebracht..."
"Es war also keine spontane Tat" erfasste Taejo den Kern der Aussage.
"Nein, er hatte das geplant. Ein Abgang als Fanal..." bestätigte Trevastan.
Kurz war Stille und wieder sahen alle zu Terastan und Ivenej.
Dann sprach Isador: "Keine Sorge. So etwas wird sich nicht wiederholen!"
¹Astronauten
²Platz des Feuers