Zumindest um ein Hospice² in Sore Urbs mussten sich Trevor, Taejo und Simur keine Gedanken machen, denn Trevor hatte ja weiterhin Zugriff auf das gesamte Vermögen von Terastan – und dazu gehörte natürlich dessen formidable Residenz auf dem Mons Immortalis.
Für Ivenej war Sore mindestens so ein Kulturschock wie für Isadors Eltern der sprechende Zug.
Verglichen mit Silistrien war das ein Sprung um hundert Jahre in die Zukunft.
Fassungslos sass er in seinem Raum in dem Trevor ihm extra Satli für Silistrisch hatte einrichten lassen und sah eine wilde Abfolge von Nachrichtensendungen, Musikvideos und Werbung, alles für ihn dank der geänderten Einstellungen mit silistrischen Untertitel.
"Satli, pokaschi mne Isidor fon Ternera" befahl er gerade. Auch wenn er keinesfalls verstand mit wem oder was er da gerade sprach wollte er mehr wissen über den berühmten Isador zu dessen Hochzeit er nun Taejo als Gefolge begleiten musste.
Doch was Satli ihm nun präsentierte erstaunte ihn.
Dieser Isador war wohl ein Schauspieler und ein begnadeter Sänger. Und dann zeigte Satli ihm Isador mit einem aus dessen inzwischen sechs Songs umfassenden Serie 'Singing Silistriya'.
"The apple and the pears trees were blooming" sang der blonde Junge auf dem riesigen Televisor vor ihm und auch wenn er auf Angevinisch sang, erkannte Ivenej sofort das Lied aus seiner Heimat.
"The mist floated over the river" sang dieser Isador mit der wunderbaren Melancholie die nur die Lieder seiner Heimat hatten, doch die nächsten Zeilen trafen Ivenej wie ein Schlag: "Ivenej was walking out to the shore.. "
Dieser Isador, er hatte seinen Namen verwendet!
"To the tall, steep shore
Ivenej was walking out to the shore
To the tall, steep shore" hörte er Isadors Stimme ungeahnte Höhen erklingen.
Doch als der nun mit der nächsten Strophe startete: "He was walking out, beginning to sing about the blue-gray eagle from the steppe, about the one, who he loved, about the one, whose letters he treasured, about the one, who he loved..." war es um Ivenejs Beherrschung geschehen. Heiße Tränen liefen seine Wangen hinab und tiefe Schluchzer ließen seinen Körper erbeben während er auf das Bett zurücksank auf dem er zuvor gesessen hatte.
"Thou flyst along behind the cloudless sun" drang Isadors Stimme noch wie Watte an seine Ohren, "and, to the soldier on the far, far border...¹"
Die Melancholie des Gesangs riß ihn mit und dessen Sehnsucht zwang ihn zu Boden.
Er war so alleine und noch nie hatte er da so sehr gefühlt wie in diesem Moment wo er Isador dieses so bekannte Lied aus seiner Heimat singen hörte.
Einer Heimat in der er längst nicht mehr willkommen war. Ja das war es, er, Ivenej, war heimatlos und alleine.
Diese Erkenntnis senkte sich schwer auf die Schultern des siebzehnjährigen Jungens, sie legte sich wie ein Schatten auf seine Seele und bohrte sich wie ein Stachel schmerzhaft in sein Herzen.
Und so weinte er und weinte, bis er nicht mehr konnte und vor Erschöpfung einschlief.
Isador ließ es sich nicht nehmen seine Eltern persönlich am Bahnhof abzuholen.
Auch wenn das sonst nicht wirklich sein Ding war, ließ er es sich dabei auch nicht nehmen, sich ein paar Insignien der Macht – und seiner zukünftigen Stellung in Sore – zu borgen.
So hatte der Lokführer die klare Anweisung exakt zu halten, damit der Zug mit der Tür des Wagens des erste Klasse de Luxe Bereiches exakt an dem roten Teppich zu stehen kam, der auf dem Bahnsteig ausgerollt war und der, wenn auch nur knappe zwei Meter lang, ziemlich genau vor den Füßen von Isadors Abholkommando endete.
Er hatte sich mehrere Mann von der divinimperialen Garde in voller Paradeuniform 'geborgt', in dunkelblauen Uniformjacken mit weißem Gürtel, Hosen in etwas helleren Blau, goldglänzenden Helmen mit rotem Federbusch, ebenso roten Umhängen und weißen Handschuhen und Stiefeln.
Zwei von ihnen standen links und rechts neben ihm und trugen die Flaggen von Sore und Nordenland an etwa 3m hohen weißen Stangen. Hinter Isador posierten zwei weitere mit zwei Schilden, welche die Wappen der Häuser ab Apollam und fav Turnet zeigten.
Das bereits vorinstruierte Personal des Schlafwagen hatte dennoch einige Mühe das Ehepaar vaf Turnet davon zu überzeugen, dass ihr Gepäck auf den Bahnsteig gebracht würde und sie jetzt aussteigen könnten.
Doch letztlich ließen sie sich überzeugen und traten hinaus auf den Bahnsteig wo ihr Sohn sie bereits erwartete.
Und natürlich die Medien mit ihren Kameras und Stellariur der das Ganze für Isadors Telediar filmte.
Während Isador nun einen Schritt auf sein Ende des roten Teppichs trat und seine Arme zu einer Geste des Willkommens ausbreitete, war seine Mutter nun völlig gerührt.
"Schau, unser Sohn, er hat es geschafft!" raunte sie von ihrer eigenen Sentimentalität beinahe überwältigt zu ihrem Gemahl, der, obwohl auch er beeindruckt war, mürrisch zurück grummelte: "Ja, hochschlafen, dass hat er geschafft..."
"Wenn er deine Tochter wäre..." zischte sie ihm nun pikiert zu, er aber unterbrach sie ungerührt: "...er ist aber nicht meine Tochter!"
Isador, der die letzten Worte sehr wohl verstanden hatte, gefror das warme Lächelns des Willkommen zu einer aufgesetzten Grimasse. Klar, wenn ich seine Tochter wäre, dann wäre er stolz, dass ich es mit 'Beine breit machen' so weit nach oben geschafft habe. Aber als Sohn tauge ich nichts! dachte er bitter.
Trotzdem zwang er sich weiter zu lächeln.
"Mutti, Vati" begrüßte er beide herzlich, "ich freue mich so sehr, dass ihr da seid!"
Zumindest Annagreta freute sich ehrlich ihren Sohn nach so langer Zeit wieder zu sehen. Beinahe umklammerte sie ihn und dann fing sie an zu Weinen.
"Oh Isador..." schluchzte sie, "oh mein Junge, mein Augenstern..."
Seinem Vater hingegen reichte ein fester Händedruck dem dann doch ein anerkennendes "Mein Junge, schön dich zu sehen, gut hast du dich gemacht!" folgte.
Kurz darauf wurde Vati aber unruhig: "Unser Gepäck...!"
Das brachte nun Isador zum Lachen: "Oh Vati, das wird gebracht, glaub' mir, niemand, aber wirklich niemand wird es hier wagen die zukünftigen Schwiegereltern des nächsten Hochkaisers von Sore zu bestehlen!"
Nun setzten sich die beiden Fahnenträger in Bewegung, bahnten Isador und seinen Eltern einen Weg über den Bahnsteig und durch die Schaulustigen.
"Hochkaiser?" war seine Mutter jetzt doch verblüfft, "wie das?"
"Erzherzog Trevastan ab Apollam, der Mann den ich heirate, ist derjenige, der dem gegenwärtigen Hochkaiser Ieran ab Iovam auf den Erzthron von Sore folgen wird, wenn es soweit ist" erwiderte Isador.
"Mein Sohn wird also die Hochkaiserin" kam es von seinem Vater nun und Isador war sich nicht sicher ob das mehr ironisch oder mehr voller Anerkennung war.
"Man nennt das hier 'Hoher Prinzgemahl' oder 'Erster Prinzgemahl'" versuchte er sich an einer Übersetzung der Begriffe Uxvir und Divinuxvir in seine Muttersprache, "nach meiner Hochzeit wird meine Titel dann 'Uxvirduxam An-Isadur ab Torram' was in unsere Sprache übersetzt soviel wie 'Erzherzog-Gemahl' bedeutet."
"Damit wärst du von höherem Adel als der Storledar, oder?" stellte seine Mutter mit leuchtenden Augen fest.
"Aber Annagreta..." hob sein Vater in mahnendem Tone an, doch Isador unterbrach ihn mit einem breiten Grinsen in einem dennoch sehr ernsthaften Tone: "Sehr viel höher, Mutti, sehr viel höher!"
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Die Vermählung des hohen Paares fand natürlich im Divlubrion Omnios Divinos³ auf dem Mons Immortalis statt, wo auch sonst.
Die Kuppelhalle aus dem frühen neunten Jahrhundert sorenischer Zeitrechnung erfüllte seit mehr als 1800 Jahren die Funktion als zentrales Heiligtum des sorenischen Götterwelt und als divinimperialer Repräsentationsbau des Imperion Sorenam.
Exakte fünfzig Meter betug der Innendurchmesser der Betonkuppel deren Kassettendeckel auf einem mit Marmor verkleideten Ring aus Beton ruhte, der wiederum von einem Kreis aus Säulen getragen wurde, den Druck der Kuppel aber auch über Sustentaculas genannte Querstützen an die massive Außenmauer des Rundgebäude weiterleiteten.
Die Kassetten der Decke waren im 20. Jahrhundert sorenischer Zeitrechnung vom berühmten Maler Michelgelur di Simuri e di Neri ausgemalt worden und schon die Malerei alleine machte den Omnidivinosion zu einem der großen Wunder von Sore.
Alles in allem also ein würdiger Ort wie geschaffen für Spektakel von staatstragender Bedeutung und historischer Tragweite aller Art. Oder wie man in Sore sagte: 'Quamo divinos casacongliartes tun intro omnidivinosion.'⁴
Der Divinimperator höchstselbst war es, der diese Vermählung die zugleich Staatsakt war, abhielt. Und zwar sowohl in seiner Funktion als Supercaput Statis⁵ als auch als Pontsfaceror⁶ des Imperion.
Sore schickte sich also an, all' seinen Prunk zu entfalten und vor der Welt seine Macht und die Überlegenheit seiner 28 Jahrhunderte umfassenden Kontinuität und Geschichte vor den Augen der Welt zu demonstrieren. Nicht zuletzt um die Zeremonie die Trevor bei seiner Vermählung mit Taejo abgehalten hatte in jeder Beziehung in den Schatten zu stellen.
War das ein Wettbewerb? Natürlich war es das. Aber keiner sprach diese Tatsache laut aus.
Im ersten Akt dieses Vorganges bat Ieran nun als Pontsfaceror die Götter um ihren Segen für diese neue Verbindung.
In Anschluss an den Pontsfaceror bat dann Trevastan die Götter um ihren Segen für seine Erwählung und um Glück und nie verlöschende Liebe für seine Verbindung mit seinem Erwählten.
Dann war es an Isador es ihm gleich zu tun. Und das natürlich in Sorenisch.
"O divinos in caielo" hallte seine Stimme anfänglich etwas zögerlich durch den hohen Kuppelsaal, "igo obrogaro con Vosta benediction per le mei divligarmen con Trevastan da casa d'ab Apollam. O divinos in caielo, igo imploraro con Vosta permission ad congliaro mei con Vosta filion, Trevastan da casa d'ab Apollam."
Es war wirklich kein einfaches Sorenisch, aber Isador meisterte es mit Bravour: "Oh ihr Götter im Himmel, ich bete um Eure Gnade die Ihr meiner Verbindung mit erteilen möget, auf dass diese die Jahrhunderte erfüllen möge und ihm und mir nicht endendes Glück bescheren wolle.
Oh ihr Götter im Himmel, ich verneige mich tief vor Euch und erhoffe mir, dass Ihr uns Frieden schenken möget für unsere Zeit.
Oh ihr Götter im Himmel, in tiefer Dankbarkeit schaue ich zu euch auf, da ich durch meine Verbindung mit Eurem Sohn, Trevastan aus dem Hause ab Apollam, teilhaftig werde eines Momentes Eurer Ewigkeit."
So langsam kam Isador in einen Rhythmus und er wäre nicht Isador gewesen, wenn sein Vortrag nicht langsam an einen Gesang erinnert hätte.
"Oh ihr Götter im Himmel...." hob er mit seiner unverwechselbar melodischen Stimme erneut an, als sein Vater sich zu seiner Mutter beugte und etwas enerviert maulte: "O bei den Göttern, wie oft denn noch?"
"Hä?" erwiderte Annagreta, "versteht du was er sagt?"
"Wenn du dieses Ding in dein Ohr steckt" kam es nun etwas sehr genervt von ihrem Gatten, "dann flüstert man dir sogar eine Übersetzung ins Ohr."
"Oh das wusste ich nicht" kam es von ihr ein wenig überrascht.
"Wie auch" giftete er nun leise, "dazu müsstest du ja auch mal zuhören..."
"Oh ihr Götter im Himmel" setzte nun Isador zum letzten Bittgesang an, "schaut voller Gunst herab auf unsere Verbindung, segnet unsere Pläne, führt unsere Hände bei unseren Taten und leitet unsere Gedanken in die richtige Richtung, wenn wir Unsere Leben und die Leben der uns Untergebenen leiten und planen!"
Natürlich war es in einer stolzen Nation mit einer in ihr drittes Jahrtausend gehenden Geschichte an dieser Stelle unumgänglich, dass das sich liebende Paar nicht nur um den Segen der Götter bat sondern diese Bitte auch mit Opfern an dieselbigen zu unterstreichen.
Der Vorteil des dritten Jahrtausends solcher Traditionen war allerdings, dass keiner mehr erwartete, dass Trevastan und Isador nun teures Schlachtvieh dahin metzelten oder den Jahresbedarf einer Familie an Lebensmitteln in Rauch und Flammen aufgehen ließen.
Trotzdem erforderte die Tradition, dass das Paar den Göttern etwas wertvolles opfern.
Aber es wäre nicht Sore wenn es für dieses sehr sorenische Problem nicht eine umso mehr sorenische Lösung gegeben hätte.
Den Göttern opferte man Pigmit. Pigmit war ein selteneres Mineral, das, wenn man es in ein heißes Feuer gab, die Flammen in wunderbaren Farben erstrahlen ließ.
Warum das eine Opfergabe war? Nun, das Gramm Pigmit kostete 12.000 Flores.
Und Isador, dem das natürlich keiner gesagt hatte, warf das Zeug gerade mit kindlicher Begeisterung händeweise ins Feuer und erfreute sich an dem farbigen Feuerwerk welches er damit entfachte.
Aber zumindest für Trevastans Bankkonto war es ein echtes Opfer. Für die Götter.
Natürlich.
Nur für die Götter.
¹ Isadors Song "Ivenej" Ausschnitte:
Die Apfel- und Birnenbäume blühten
Der Nebel schwebte über dem Fluss
Ivenej ging zum Ufer hinaus
Zum hohen, steilen Ufer
Ivenej ging zum Ufer hinaus
Zum hohen, steilen Ufer
Er ging hinaus und begann vom blaugrauen Adler aus der Steppe zu singen, von der/m, die/den er liebte, von der/m, deren/dessen Briefe er schätzte, von der/m, die/den er liebte...
...Du fliegst hinter der wolkenlosen Sonne entlang
und zu dem Soldaten an der fernen, fernen Grenze...
Die Melodie ist von Katyusha
² Hotel
³ Tempel aller Götter/Pantheon
⁴ Wenn Götter heiraten würden, dann im Omnidivision.
⁵ Staatsoberhaupt
⁶ Hohepriester
⁷ Oh ihr Götter im Himmel, ich bitte (inständig) euch um Euren Segen für meine Verbindung mit Trevastan aus dem Hause ab Apollam. Oh ihr Götter im Himmel, ich flehe um eure Zustimmung mich zu verbinden mit Eurem Sohn, Trevastan aus dem Hause ab Apollam.