Trotz des Horrors der zurückliegenden Nacht bewahrte Trevor Haltung als er am nächsten Morgen der Vereidigung von Hilda Slater zur First Minister bewohnte.
Ebenso bewahrte er diese als er wenige Minuten vor elf Uhr im Western Nemeton Platz nahm um der Trauerfeier für seinen Großvater beizuwohnen.
Die Spuren dessen was er ertragen musste waren seinem Gesicht noch deutlich anzusehen aber alle welche die Hintergründe nicht kannten, vermuteten, dass es die Trauer um seinen Großvater war, die sich dort zeigte.
Da für Trevor und Terastan unerwartet An-Anadur als Vertreter des Sorenischen Imperiums angereist war, sah sich der Divinoble urplötzlich auf die Rolle des Prince Consort reduziert.
Auch wenn Trevor sein Haupt nicht wendete, wusste er, dass auch sein Vater anwesend war und irgendwo hinter ihm sitzen musste.
Denn nur regierende Monarchen und deren Ehepartner sassen mit ihm in der ersten Reihe. Und das waren hier nur König Taksony mit seiner Gemahlin und der Divinuxvir An-Anadur. Die übrigen Gäste sassen in den Reihen dahinter, schön gestaffelt nach dem Hofprotokoll.
Nach der Trauerfeier wurde der Sarg von Charlon auf eine Lafette geladen und so, von 144 Angehörigen der Navy gezogen in einer Trauerprozession durch Kingstown-of-the-North transportiert bis zur Kingly Hall of the Deceased¹, wo alle Herrscher von Ecossia und dann später Angevinien ihre letzte Ruhestätte fanden.
Trevor ließ es sich nicht nehmen, dem Sarg seines Großvaters den ganzen Weg zu Fuß zu folgen und da An-Anadur es sich nicht nehmen ließ es ihm gleichzutun, waren es am Ende nur das ältere Herrscherpaar aus Megyarien, welches den Weg in einer schwarzen Kutsche bewältigte.
Die Straße war gesäumt mit Menschen die beim Vorbeiziehen von Charlons Sarg sich verbeugten und teilweise Lilien warfen.
Die Lilien waren eigentlich einmal ein Symbol von Lugunia gewesen, waren aber über die Jahrhunderte längst zu einem Symbol der angevinischen Monarchie geworden.
Die Kingly Hall of the Deceased¹ selbst betrat dann Trevor mit den Priestern alleine.
Nur die engste Familie eines verstorbenen Monarchen hatte das Recht Augenzeuge zu sein, wenn der Sarg eines Herrscher in die dortige Gruft versenkt wurde.
Und da Prinzessin Marla aus verständlichen Gründen verhindert war, blieb nur Trevor.
Allerdings, Charlon war zwar sein Großvater mütteelicherseits, aber zu letzt gesehen hatte er den als kleiner Junge bei einem Besuch mit seiner Mutter in Kingstown-of-the-South.
Insofern ging ihm der ganze Akt nicht sonderlich nahe und er war letztlich ganz froh, als er die Begräbnisstätte wieder verlassen konnte und hinaus in die nachmittägliche Sonne über Kingstown-of-the-North treten konnte
Die Tradition verlangte nun ein Byrgal Feast² mit allen geladenen Gästen und dieses fand in der Kingly Albon Hall statt.
Dorthin ging es nun nicht mehr zu Fuß sondern mit Kraftfahrzeugen und Bussen, je nach Bedeutung der Gäste.
So schritt Trevor zielstrebig mit Terastan zu seinem Wagen und startete als erster Richtung Kingly Albon Hall.
In dem Saal waren viele kleine Tische aufgebaut an denen die Gäste platziert wurden, die Besonderheit aber war, dass an jedem Tisch ein Platz freigehalten wurde um dem König und dem Prince-Consort die Möglichkeit zu geben, sich im Verlauf des sich nun stundenlang hinziehenden Mahle immer wieder zu anderen Gästen an deren Tisch setzen zu können.
Trevor sah das mit gemischten Gefühlen, einerseits würde er so ungestört ein paar Worte mit seiner neuen Regierung unter Hilda Slater oder An-Anadur wechseln können, andererseits würde er nicht umhin kommen, auch am Tisch seines Vaters Platz zu nehmen.
Zuerst aber suchte er den Tisch der Gäste aus Sore auf. Das ließ sich auch gut begründen, war An-Anadur als Gemahl des High Caser³ of Sore doch der protokollarisch höchstrangige Gast.
"Eure königliche Hoheit" begrüßte An-Anadur ihn, "im Namen des gesamten Imperium von Sore möchten Wir Euch unser Beileid ausdrücken."
"Bezieht sich Eure kaiserliche Hoheit auf Unseren verstorbenen Großvater - welchen Wir eh kaum kannten - oder doch mehr auf Unseren geschätzten Gemahl?" erwiderte Trevor ohne eine Miene zu verziehen. Kurz war es still am Tisch und dann brachen alle die dort saßen, Trevor eingeschlossen, in ein für den Anlass vielleicht doch etwas unpassend heiteres Gelächter aus.
So unpassend, dass Trevor sich genötigt fühlte aufzustehen und den anderen Gästen eine Erklärung abzugeben: "Wir bitten den Ausbruch an Heiterkeit zu entschuldigen, der Verlust von König Charlon ist natürlich kein Anlass zur Heiterkeit, aber die Erinnerungen an Unseren Großvater sind es durchaus."
Verständnisvolles Nicken an den anderen Tischen folgte und wie, als wenn Trevor das Eis gebrochen hätte, wurden nun auch dort die Unterhaltungen lebhafter.
"Aber auch wenn das jetzt eine Ausrede war" meinte Trevor daraufhin zur Tischrunde der Sorener, "mein Großvater ist stolze 97 Jahre alt geworden, da müssen wir hier jetzt nicht sitzen wie die Trauerklöße, da gibt es viele freudige, lustige und schöne Dinge aus seinem Leben zu erinnern..."
"Das sehe ich auch so" erwiderte ihm Simur und An-Anadur scherzte: "Also für einen Divinoble wäre das kein Alter und traurig, aber für einen Menschen ist das ein stolzes Alter. Und immer sollte man an die schönen und glücklichen Zeiten mit einem Verstorbenen erinnern, gerade bei solch' einem Anlass wie heute..."
"Zumindest wenn es mit dem Verstorbenen schöne und glückliche Zeiten gab" erwiderte Trevor sarkastisch und jeder am Tisch verstand das so, wie Trevor es meinte, als Seitenhieb auf Terastan.
"Manche arbeiten halt hart daran, dass man bei so einem Anlass dann einfach nur noch froh ist, dass sie nicht mehr da sind" merkte An-Anadur denn auch lakonisch an.
Mit einem Lächeln zu Simur erwiderte Trevor darauf: "Aber solange man mit einem Problem nicht alleine ist, ist alles zu schaffen" um dann nach einer kurzen Pause grinsend anzumerken, "aber das Problem 'Mein Vater' schaffe ich jetzt trotzdem alleine, ihr entschuldigt mich?"
"Wir sehen uns später nochmals?" erkundigte sich An-Anadur und Trevor versicherte ihm: "Natürlich, wenn ich meinen Vater hinter mir habe ist alles auch viel entspannter..."
Doch zuvor begab er sich an den Tisch der megyarischen Delegation mit dem Königspaar. Das Protokoll für die Rangfolge konnte er auch hier nicht einfach ignorieren.
Zu seiner Überraschung gab man sich dort sehr gewandt und interessiert. Dann aber wurde ihm klar warum: Nordens Reike hatte mit keinem seiner Nachbarn gute Beziehungen. Und alle Nachbarn gingen inzwischen wohl davon aus, dass, sobald der unbeliebte Storledar, sein Vater, in Gras gebissen habe, er dessen Nachfolge in Nordenland antreten würde.
Darinne sah man in Megyarien, vermutlich aber auch in Silistrien, eine Chance, die man sich nicht vermasseln wollte.
So war es die Erkenntnis, dass, falls er Anstalten unternähme um seinen Vater zu beseitigen um sich ab dessen Stelle zu setzen, er nicht nur auf die Unterstützung von Sore sondern auch auf die von Silistrien und Megyarien setzen konnte, welche ihn mit deutlich gesteigerten Selbstbewusstsein nun den Tisch der nordenlandeschen Delegation ansteuern ließ.
"Eure königliche Hoheit" begrüßte ihn sein Vater tatsächlich als er sich dann setzte, aber Trevor war nicht bereit diese Farce mitzuspielen und erwiderte knapp "Vater, die Herren..." in die Runde.
Das war das Signal auch für seinen Vater es sein zu lassen.
"So hast du dich also von den Kinäden auf den angevinischen Thron hiefen lassen?" fragte er nun spöttisch.
"Sorge, dass sie mich auch in das Amt des Storeledar hiefen?" parierte Trevor diesen Seitenhieb ungerührt.
"Wir sind Sore durchaus gewachsen" konterte sein Vater.
"Starke Behauptung" spottete er eiskalt, "dein tolles Reich würde schneller untergehen als Ostarien - und erzähl mir nicht, dass du das nicht weißt!"
"Was weißt du schon darüber?" erwiderte sein Vater barsch.
"Was weißt du über Kernensplittsen⁴?" fragte Trevor ihn sehr arrogant.
Sein Vater reagierte sehr reserviert: "Das ist etwas, das wir erforschen."
"Tja, das ist der Unterschied" erwiderte er zynisch, "Sore forscht da nicht dran, Sore erzeugt damit Energie - und Waffen! Und das nicht erst seit gestern. Die schicken dir einen Bomber und von deinem protzigen Keizerstad bleibt nicht mehr übrig als von Beksach, nämlich Rauch und Asche!"
"Wir werden unsere Bemühungen intensivieren" sprach sein Vater und versuchte unbeeindruckt zu wirken, aber Trevor merkte deutlich, dass er das nicht war.
"Sicher werdet ihr das" kam es kühl von Trevor, "und wenn ich danach frage, werdet ihr Angevinien an euren Erkenntnissen teilhaben lassen. Falls nicht, kommen die Kinäden."
Das war der Moment in dem sein Vater begriff, dass Trevor ihn und Sore gnadenlos gegeneinander ausspielen würde. Und dass seine Herrschaft ab jetzt auch vom Wohlwollen seines Sohnes abhing.
Trevor erhob sich, aber bevor er den Tisch verließ ließ er zum Abschied eine Bemerkung fallen, die seinem Vater das Grausen lehrte: "Und versteckt eure Forschungseinrichtungen besser als euren Völkermord an den Vendy. Sore hat dem Himmel Augen verpasst. Auch eure Verschlüsselungstechnik bedarf dringend einer Verbesserung."
Ohne weitere oder Abschiedsworte erhob er sich und verließ den Tisch.
Zurück ließ er eine schockierte Delegation seines Heimatlandes, die sich fragte, was er mit 'Augen im Himmel' wohl meinte.
Trevor allerdings machte sich mit neu gestärktem Selbstvertrauen auf den Weg an den Tisch der Kronprinzessin von Khamarinien.
Nachdem die Unterhaltung mit der Botschafterin des Landes schon so angenehm war, versprach er sich, dass ihm diese Unterhaltung leicht fallen würde.
Danach allerdings, so war sein Plan, würde er sich dieses eingebildeten Zarensöhnchen von Silistrien verknöpfen. Angevinien brauchte Rohstoffe und Silistrien hatte die - und wollte doch sicher keinen ungebetenen Besuch seines Vaters haben.
Terastan, der als Prinzgemahl seine Runde machte, wurde da wo Trevor herzlich empfangen wurde eher kühl empfangen.
Und da wo Trevor Eindruck hinterlassen hatte, begegnete man ihm mit Mißtrauen.
Man fürchtete seine Macht, man hielt ihn für verschlagen, aber was man ihm verheimlichte war der Fakt, dass man sich in Nordenland, in Megyarien und auch in Silistrien nicht mehr so sicher war, ob wirklich er die Fäden in der Hand hielt oder doch Trevor im Begriff war, ihn damit zu fesseln.
Oder machten die vielleicht doch gemeinsame Sache?
Diese Art von Verunsicherung spielte Trevor in die Hände.
Dieser war derweil am Tisch von Kronprinz Taejo angelangt.
Der etwa gleichaltrige Thronfolger war ein sehr gutaussehender junger Mann, der in seinem sexuellen Interesse nicht auf ein Geschlecht festgelegt war.
Schnell waren beide vom steifen Protokoll abgerückt und während sie mit zunehmendem Amüsement über ihre Väter lästerten, wurde Trevor immer unbekümmerter und offener.
Schnell war man auf einer gemeinsamen Wellenlänge, unterhielt sich über Interessen und Freizeitaktivitäten und fand sich äußerst sympathisch.
Doch während Trevor es einfach nur genoss, jemanden in seinem Alter getroffen zu haben, der ihn nicht verurteilte für das was er war und wen er begehrte und liebte, bekam er nicht mit, wie sich die Blicke des Prinzen auf ihn veränderten, wie sie eingefangen wurden von dem strahlenden Blau seiner Augen.
Er merkte nicht wie sich Taejos Puls beschleunigte wenn er zufällig seinen Arm berührte und bemerkte auch nicht, wie dieser leicht errötete, wenn ihre Blicke einander trafen.
Trevor fand Taejo gutaussehend keine Frage, aber das Verlangen was er in diesem entzündete, das verspürte er nicht.
Doch in Taejos Erinnerungen brannten sich in diesen Momenten das Gesicht von Trevor ein, die Art wie er sich bewegte, seine dunkle und doch irgendwie auch jungenhafte Stimme, sein Lachen und vor allem das atemberaubende Blau seiner Augen.
Auch wenn es ihm noch garnicht bewusst war, sein Unterbewusstsein hatte ein neues Ziel gewählt.
Trevor.
Sofort begann es Taejo mit Gedanken zu traktieren.
Wie sich seine Lippen wohl anfühlen?
Wie es wohl ist ihn in meinem Arm zu halten?
Doch bald kamen auch andere Gedanken dazu.
Ob er sein Stöhnen wohl süß ist?
Wie es sich anfühlt wenn er unter mir liegt?
Noch verdrängte er diese Fragen und die damit verbundenen Gefühle.
Aber dafür überlegte er, ob Trevor wohl wirklich etwas für Terastan empfand - auf ihn machte es nämlich nicht den Eindruck - oder ob das eher eine aus politischen Gründe arrangierte Beziehung war.
Auch wenn Taejo das auf Nachfrage abgestritten hätte, sobald Trevor seinen Tisch verlassen hatte, kreisten alle seine Gedanken im Grunde nur um die eine Frage.
Nämlich ob er Trevor dazu bringen könnte etwas für ihn zu empfinden - und sei es nur Verlangen - und ob Trevor sich wohl auf ihn einlassen würde.
Nein, er dachte nicht über eine Beziehung mit dem blonden Nordenländer nach, das würde sein Vater niemals zulassen und auch Trevor war ja auf der offiziellen Ebene an Terastan vergeben.
Und nachdem, was man so über die Lebenserwartung des sorenischen Hochadels in Tihonguk gehört hatte, war auch nicht zu erwarten, dass der so rasch Witwer werden würde.
Aber auch eine verbotene Liebe hatte ihren Reiz. Und außerdem war es für Taejo schon zu spät, sich sein Verlangen nach Trevor aus dem Kopf zu schlagen.
Das aber wusste er nur noch nicht.
Bild oben wie ich mir Taejo vorstelle.
¹Königliche Halle der Verstorbenen
²Leichenschmaus.
³Hochkaiser, angevinische Übersetzung des Titel Divinimperator.
⁴Kernspaltung