26. Der ganze Weg rückwärts

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Stumm folgte ich Shepherd durch einen hellen Gang. Niemand außer uns war hier unten zu sehen und auch kein Geräusch zu hören, bis wir um eine Ecke bogen. Ein Schrei ertönte und ich erkannte sofort, wem die Stimme gehörte.
"Thomas!", stieß ich entsetzt hervor.
Die Frau neben mir schien ebenso überrascht wie ich, versuchte allerdings, sich nichts anmerken zu lassen.
"Was machen die mit ihm? Lassen Sie mich zu ihm!"
"Dr. Avery wird wissen, was er tut", entgegnete Shepherd kühl und wandte sich in die entgegengesetzte Richtung der Quelle des Schreis.
Ich war mir beinahe sicher, dass wir nun einen Umweg machten, nur damit ich nicht zu sehen bekam, was man Thomas antat. Aber ich protestierte nicht. Ich wusste, dass sie ihn nicht töten würden und gleichzeitig, dass ich keine Chance hatte, wenn ich versuchen würde, ihm zu helfen. Avery hatte sicherlich genügend Wachen bei sich und noch immer konnte ich nicht einschätzen, wie fit die Ärztin bei mir war.
Endlich erreichten wir einen Gang, der dem, in dem ich mit Gally und später mit Newt während unserer Jahre bei WICKED gelebt hatte, gar nicht so unähnlich war. Ich war mir sicher, dass dies der Ort war, an dem man die Probanden gefangen hielt, falls es noch weitere außer Thomas und mir gab.
Und ich behielt Recht. Shepherd öffnete eine der Türen mit der Nummer 334 mit einem Fingerscan und ließ mich eintreten, bevor sie mir in den Raum folgte.
"Hier wirst du wohnen. Frühstück gibt es um sieben Uhr für euch. Ein Wachtmann wird dich abholen. - Keine Sorge, deinen Bruder wirst du dort auch wiedersehen", fügte sie hinzu, als sie meinen Blick sah.
Dann verließ sie mich und schloss die Tür hinter sich. Ich war mir sicher, dass sie das Serum nun genau untersuchen gehen würde, während ich machtlos in dieser Zelle saß und sowieso nicht würde schlafen können.
Würde sie es Newt verabreichen, ohne dass ich dabei sein konnte?
Langsam drehte ich mich um und betrachtete das Gefängnis, in dem ich mich befand. Mir stockte beinahe der Atem, als ich feststellte, dass der Raum meinem alten zu Hause fast bis auf's kleinste Detail glich. Zwei Betten waren vorhanden, eines auf der linken Seite und eines auf der rechten Seite. Neben ihnen befanden sich jeweils ein Nachttisch und zwischen diesen beiden eine Kommode für Kleidung und Habseligkeiten der Probanden. Rechts von mir war die Tür zum Badezimmer nur angelehnt und ich stieß sie mit der Hand auf. Das Licht ging an und auch dieser Raum glich dem Zimmer, in dem ich bis vor über vier Jahren gelebt hatte, bis auf's kleinste Detail.
Still verließ ich das Badezimmer wieder und schloss die Tür, bevor ich mich auf das rechte Bett setzte, so wie ich auch früher immer in diesem geschlafen hatte. Die alte Gewohnheit zog mich hierhin.
Nach ein paar Minuten, die ich mich in dem kleinen Raum völlig sprachlos umgesehen hatte, stand ich auf und sah in der Kommode nach frischer Kleidung. Graue T-Shirts, auf die an der linken Seite vor der Brust und groß auf dem Rücken 'Property of W.C.K.D.' geschrieben stand, lagen ordentlich gestapelt neben schlichten Hosen. In einer anderen Schublade befand sich frische Unterwäsche.
Ich hatte bereits erwartet, dass ich solche Kleidung würde tragen müssen, musste mich aber dennoch überwinden, um eines der Shirts über den Kopf zu ziehen, nachdem ich eine warme Dusche genommen hatte. Zu endgültig kam mir das Zeichen vor, das ich damit setzte.
Ich gehöre WICKED.
Sie hatten mich tatsächlich wieder. Nachdem mich mein Weg aus dem Raum, der diesem so ähnlich gesehen hatte, auf die Lichtung, durch die Brandwüste, in die Berge, zum Meer, in die letzte Stadt und auf eine Insel geführt hatte, die mein neues zu Hause hatte sein sollen, war ich doch wieder bei ihnen gelandet, hatten sie mich doch wieder zurück bekommen. Und da wurde mir bewusst, wie grotesk rückwärts ich meinen Weg gegangen war, nachdem wir im sicheren Hafen in das Berg gestiegen waren. Wie konnte ich das nicht gesehen, dies hier nicht geahnt haben? Es kam mir vor wie eine bittere Ironie des Schicksals.
Als ich im Bett lag und über all dies nachdachte, wanderte mein Blick zu der Klappe in der Wand über mir. Mit ihr hatte damals alles angefangen. Die Lüftungsschächte hatten eine so zentrale Rolle in meiner Geschichte gespielt.
Langsam drehte ich mich auf die linke Seite, sodass ich die Wand ansah. Dann schloss ich die Augen und versuchte, irgendwie in den Schlaf zu finden.
Ich hatte Recht gehabt, es dauerte lange, bis ich eingeschlafen war. Als ich schlief, sah ich wieder das Gesicht meiner Mutter, dreckig und tränenverschmiert.

"Mum, wo ist Dad?", fragte ich noch einmal.
Meine Mutter schüttelte den Kopf. Ihre Haare waren verstrubbelt und sie biss sich auf die Unterlippe.
"Es waren zu viele...", flüsterte sie, während sie mich zurück zu Thomas und unserer Schlafstelle führte. "Euer Vater, er..."
Sie ließ mich wieder neben meinem Bruder Platz nehmen und ging vor uns in die Hocke. Mit zitternden Fingern nahm sie unsere Hände in ihre.
"Euer Vater hat mich gerettet. Er hat dafür gesorgt, dass ich zu euch zurückkehren konnte. Sie kommen näher, sie werden diese Stadt bald überrennen. Es werden immer mehr. Ich muss euch von hier wegbringen."
"Aber Mum, was ist mit Dad passiert?", fragte Thomas nun.
"Er wurde gebissen. Er hat getan, was nötig war." Sie deutete auf ihre eigene Waffe.
Ein Schauer lief mir den Rücken herunter.
"Wir müssen gehen, bevor es zu spät ist. Nehmt ein paar Sachen mit und kommt. Wir müssen uns beeilen."
Ich sprang auf die Beine und Thomas erhob sich ebenfalls. Schnell griff ich zu meinem Messer, um zu sehen, ob es noch dort war, dann band ich mir meine Jacke für kalte Nächte um die Hüfte und machte mein Halstuch um. Meinen Stofflöwen steckte ich mir in den Knoten der Jacke.
Auch Thomas hatte seine Sachen zusammengesucht. Wir waren bereit.
Unsere Mutter, noch immer mein Ebenbild, wartete an der Treppe auf uns und kontrollierte ihre Munition. Vor uns stieg sie nun die Treppe herauf.
"Bereit?", flüsterte sie.
"Wo gehen wir hin?",  fragte da Thomas hinter mir.
"Dorthin, wo wir schon längst hätten hingehen sollen, auch wenn ich dagegen war. Zum Katastrophenschutz."
"Was?",  fragte ich verwirrt.
"Ich bringe euch zu WICKED."

Till The WICKED End | A Maze Runner StoryOù les histoires vivent. Découvrez maintenant