3 - Nicht doch lieber der Krankenwagen?

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Er steht nur noch eine Armlänge von mir entfernt.
„Nen mir einen guten Grund, warum ich dir glauben sollte?"
Ich überlege kurz.
„Ich kann dir keinen Grund oder Beweis geben. Aber du bist hier und augenscheinlich verletzt und ich bin im Moment die einzige hier die dir da helfen kann, es sei denn natürlich du rufst dir einen Krankenwagen."
Ich beende meine Ansprache und er blickt immer noch nicht sehr überzeugt zu mir runter. Ich schätze ihn auf 1,92 m ggf. etwas größer. Neben ihm fühle ich mich wie ein Zwerg mit meinen 1,65 m, aber hey, ich laufe nie Gefahr mir an irgendwelchen Türrahmen oder Deckenbeleuchtungen den Kopf zu stoßen. Meine Größe ist wahrscheinlich eine Art Schutzmechanismus für meine paar Gehirnzellen, die ich nicht auch noch verlieren sollte.
Der stechende Eisengeruch taucht schon wieder auf.
„Du blutest stark so wie das riecht", stelle ich fest.
Er schaut verwirrt zu mir runter „Du bist eigenartig weißt du?".
Ich weiche seinen Augen aus und frage: „Willst du dich jetzt versorgen lassen, oder wartest du weiter darauf, dass deine Wunde wie von Zauberhand heilt?"
„Frech", es klingt mehr wie eine Feststellung als wie eine Beleidigung.
Er scheint nach wie vor noch nicht sicher, ob er mir seine Wunde zeigen soll.
Ich seufze. Was soll das ganze hier eigentlich? Er blutet und es ist mein Job ihm zu helfen. Er soll sich mal nicht so anstellen.
Endlich rührt er sich und zieht sein Sportshirt an der Seite, die er sich zuvor gehalten hat, hoch.
„Wenn du irgendwem davon erzählst da-"
Ich unterbreche ihn.
„Jaja dann machst du mich fertig, ist oke."
Er schmunzelt leicht und ich blicke runter zu seiner Seite. Ein Verband mit mehreren leicht durchgebluteten Kompressen zeigt sich mir.
„Du solltest dich setzen." Ich versuche möglichst professionell und gefasst zu wirken, so wie unsere Schulkrankenschwestern es in jeder Situation tun.
Er setzt sich ohne Widerworte und ich krame eine Verbandsschere aus einer Schublade.
Ich setze an, halte aber inne und schlucke kaum merklich. Mist, das wird jetzt unangenehm.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und sage wohl zum ersten Mal in meinem Leben zu einem Jungen: „Du solltest dein T-Shirt ausziehen, das macht es mir einfacher.", ich stocke kurz und setze hinterher „Das macht mir die Wundversorgung einfacher."
Sein Schmunzeln ist zu einem Grinsen übergegangen. Hmmm, ich dachte eigentlich immer, er wäre anders. Er wirkt immer so ernst und cool. So wie er da grinsend sitzt, wirkt er frech und sogar lieb.
Er nickt kurz und sagt „Alles für die Lady."
Ah ja, jetzt bin ich also auch noch eine Lady. Wenn er nur wüsste.
Er packt sein Shirt am Saum und zieht es sich kurzerhand über den Kopf. Dabei stößt er ein kaum hörbares Zischen aus. Seine Wunde ist wohl doch nicht so harmlos wie er den Anschein erwecken will.
Okay Angel keine Panik. Es ist nicht der erste nackte Oberkörper, den du siehst. Beim Training laufen mehrere Typen ohne T-Shirt rum.
Der Versuch mich selbst zu beruhigen funktioniert nicht ganz so gut wie ich es mir wünschen würde. Mist.
Naja er ist halt nicht irgendwer und sein Oberkörper ist halt wirklich sehr anschaulich. Ich lenke meinen Fokus so schnell wie möglich auf seinen Verband und die Schere in meiner Hand. Konzentration Angel du kannst das.
Ich schneide mit der Schere seinen Verband von seiner Seite und gerate wieder ins Stocken. Diesmal aber nicht wegen eines nackten Oberkörpers, sondern einer bestimmt 4cm langen Schnittwunde, die relativ provisorisch genäht aussieht, und an dessen Seite 2 Nähte bereits aufgegangen sind. Scheiße.
Ich war auf eine offene Wunde vorbereitet, aber nicht darauf, dass ich etwas nähen muss.
„Vielleicht sollten wir doch lieber einen Krankenwagen rufen." Ich schaue ihn an und sehe dabei wahrscheinlich extrem verunsichert aus.
Er schaut mich an, doch seinen Blick schaffe ich nicht zu deuten. Gott sei Dank erbarmt er sich mir und spricht:
„Nein, hiervon erfährt niemand was, auch nicht irgend ein Arzt oder Leute im Krankenhaus. Wann kommen die Krankenschwestern wieder?"
Mir brennt die Frage was passiert ist auf der Zunge. Ich schlucke sie aber runter, denn es geht mich eigentlich nichts an. Wir kennen uns nicht und das hier ist vermutlich unsere erste Konversation. Ich wäre wohl die Letzte, der er sich anvertrauen würde.
„Dir ist bewusst, dass die diese Verletzung melden müssen?"
Sein Blick versteinert. Er überlegt.
„Dann musst du das jetzt machen."
„Was machen?" meine Stimme zittert.
„Die Wunde Versorgen, die Nähte erneuern. Ich dachte, du kannst das?"
„Ich kann Wunden Versorgen aber verdammt nochmal, ich habe noch nie eine Schnittwunde genäht!" ich beginne zu schreien.
„Psssst, beruhig dich, nicht so laut." er wirkt genervt, sehr genervt.
„Ich erkläre dir auch was zu tun ist."
Wow, das bringt mir ja auch so viel. Was denkt er sich eigentlich?
„Kyle hör zu. Ich kann das in der Theorie, aber ich werde meinen ersten Nähversuch wohl kaum an einer echten Person durchführen."
Er verdreht die Augen.
„Du hast keine Wahl."
„Doch."
„Nein."
„Doch."
„Wenn du es nicht machst, mache ich deinem kleinen Freund das Leben schwer."
Nicht sein Ernst. Nicht sein verdammter Ernst. Er meint Louis, mir ist völlig klar, dass er Louis meint. Ich habe wohl keine Wahl.
Heute werde ich das erste mal eine Wunde nähen. Und das ganze auch noch unter erschwerten Bedingungen, an einem halbnackten Typen der mich genervt beobachten wird und mir und meinen Freunden das Leben zur Hölle macht wenn ich es versaue.
Wieso musste ich ihn auch davon überzeugen, mich helfen zu lassen?
Danke Leben, du bist Mal wieder zu gütig zu mir.

Flying HighWhere stories live. Discover now