2 - In der Theorie

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Wir schlendern durch die Hintertür des Schulgebäudes auf die Tribüne am Rand unseres Football-Felds zu. Heute ist ein relativ schöner Tag. Auf dem Innenhof unserer Schule treiben sich im Moment bestimmt alle möglichen Schüler rum. Ein Grund warum wir die Tribüne so mögen. Hier hat man seine Ruhe, aber natürlich auch nur in den Pausen, wenn keines der Sportteams Training hat.
Bis auf die paar Junkies, die ab und zu unter der Tribüne kiffen, ist es hier in den Pausen meist Menschenleer.
Unser Schulinnenhof ist schön, sehr schön sogar, mit Bäumen, Bänken, Tischtennis-Platten, nur hat man dort leider nie seine Ruhe. Zu viele Stimmen, Blicke, zu viel was vorausgesehen oder wahrgenommen werden kann.
,,Wann hast du eigentlich deinen nächsten Dienst auf der Krankenstation?" Amalia und Louis blicken mich an.
„Nachher in der 5. Stunde", antworte ich grinsend. Es macht mir jedes Mal Spaß unseren Schulkrankenschwestern auszuhelfen. Hinzu kommt, dass ich in meiner Freistunde etwas Geld verdiene, ohne überhaupt viel zu tun. Es kommt relativ selten vor, dass ein Schüler wirklich einmal Hilfe benötigt. Meistens sind es nur Kleinigkeiten oder Sportunfälle bei denen ich und Amalia aushelfen müssen.
„Perfekt", Louis grinst, „dann kann ich gleich zu Anfang von Sport umknicken."
Louis nutzt unsere Stellung gerne aus. Der Sportlehrer hält ihn mittlerweile einfach nur für einen unfähigen Tollpatsch. Zwar ist diese Annahme nicht ganz falsch, aber eigentlich verletzt sich Louis nur, um mit uns im Krankenzimmer Zeit zu verbringen und seinem Sportkurs aus dem Weg zu gehen.
Natürlich wird er nicht gemobbt oder Ähnliches. Allerdings ist er auch nicht der beliebteste und bei seinem Sportkurs kann ich seinen Motivationsmangel wirklich nachvollziehen.
Er hat nicht nur die Kylies in seinem Kurs, die wirklich jedes Gegnenteam fertig machen, sondern auch die ganzen Tussen die vor jeder Sportstunde ein riesen Theater veranstalten, weil ja ihre kostbaren Nägel abbrechen könnten.
Amalia lacht laut auf „Fällt es nicht langsam auf, dass du immer, wenn einer von uns Dienst hat, Sport schwänzt?".
„Ich habe keine Ahnung, aber aufhören werde ich erst, wenn ich vom Direktor oder Herr Malek dazu aufgefordert werde."
Typisch Louis denke ich mir.
Herr Malek ist auch mein Sport Lehrer und ehrlich gesagt hatte ich nie ein Problem mit seinem Unterricht. Meistens macht der Unterricht bei ihm sogar echt Spaß. Vielleicht liegt das wiederum auch daran, dass ich schon immer sehr sportlich wahr.
Meiner Mutter und meinem Vater war und ist es sehr wichtig, dass ich auf mich aufpassen kann, also fing ich mit 5 Thaiboxen an.
Der größte Nachteil an dieser Sportart in Verbindung mit meiner Fähigkeit ist, dass ich Schläge die ich abbekomme oftmals zwei mal spüre. Einmal bevor sie passieren und einmal, wenn sie passieren.

- Zeitsprung: Anfang 5. Stunde -

Hier sitze ich also und verbinde den „verletzten" Knöchel von Louis.
„Weißt du Angel diese komische Pferdesalbe hättest du diesmal echt weglassen können", mault Louis.
„Aber wenn ich sie weglasse, dann verpasse ich deinen gequälten Gesichtsausdruck, den du immer Aufsetzt, wenn ich sie dir draufschmiere."
Wir albern noch einige Minuten weiter rum, während ich Louis Knöchel verbinde.
Ein Räuspern unterbricht mein Kichern und ich drehe mich abrupt zur Tür um.
Ein mir nicht unbekanntes Augenpaar schaut mich an. Kyle steht in der Tür und blickt zu uns hinüber.
Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch. Er hat  sich soweit ich weiß noch nie im Sportunterricht verletzt. Generell hatte ich noch nie davon gehört, dass er sich in irgendeiner Weise jemals eine Verletzung zugezogen hat. Wusste er überhaupt wo er sich grade befand.
Kyle ging gar nicht auf meinen Gesichtsausdruck oder auf Louis und mein Gespräch ein und fragte ganz lässig: „Wo sind die Schulkrankenschwestern?"
„Im Moment nicht da", antworte ich knapp. Ich weiß nicht, wieso ich so knapp Antworte, aber irgendwie bekomme ich nicht mehr raus.
Mit einem enorm ironischen Unterton sagt er daraufhin: „Das habe ich auch schon bemerkt, Dankeschön". Er rollt mit den Augen.
„Wenn irgendwer versorgt werden muss, dann kümmere ich mich darum. Ich habe diese Stunde Dienst. Wenn du mich jetzt einen Moment entschuldigst, ich muss Louis kurz noch zu Ende versorgen."
Ohne seine Reaktion zu erhaschen, drehe ich mich zurück zu Louis und beende den Alibi-Verband.
Währenddessen liegt mir dauerhaft dieser stechende Eisengeruch in der Nase und ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Wahrnehmung etwas mit Kyle zu tun hat. Als ich fertig bin, steht Louis auf.
Wahrscheinlich möchte er gehen und um weiteren Kontakt mit unserem Schul-BadBoy höchstpersönlich zu vermeiden. Das kann ich ihm nicht einmal übel nehmen, denn ich hätte genauso gehandelt. Meine Augen folgen Louis bis zur Tür.
Kyle lehnt nach wie vor im Türrahmen, hält sich aber eigenartigerweise mit der linken Hand die rechte Seite.
„Was ist passiert?" Ich klinge viel zu hektisch.
„Nichts", antwortete er und will grade zum Gehen ansetzen.
„Wenn nichts wäre, dann wärst du ja wohl kaum hier und würdest dir deine Seite halten."
Er bleibt stehen.
„Lass mich deine Wunde wenigstens ansehen, ich habe viele Kurse gemacht und bin sehr gut darin, offene Wunden zu versorgen."
Wieso mache ich mir eigentlich die Mühe, ihn zu überzeugen? Er wird schon wissen, wie er sich um seine Gesundheit zu kümmern hat. Dennoch ich kann dieses Verlangen, ihm helfen zu wollen nicht unterdrücken. Er ist schließlich verletzt, vielleicht sogar schwer.
„Woher weißt du, dass es sich um eine offene Wunde handelt?" er kneift die Augen zusammen.
Ich tippe mir auf die Nase. ,,Man riecht es".
Er schaut ein wenig überrascht ,,das nenne ich mal nen guten Geruchssinn."

Er schaut skeptisch in meine Augen. Das Blau in seinen Augen scheint zu erfrieren.
„Bist du dir sicher, dass du das versorgen kannst?" er blickt mir nun zweifelnd und ein wenig spöttisch entgegen.
„Ja", antworte ich möglichst selbstbewusst.
Er muss schließlich nicht wissen, dass ich das noch nie wirklich gemacht habe.
Ich habe mich damit nur in der Theorie befasst. Aber hey, in der Theorie kann ich's.
Er schaut immer noch skeptisch, lockert aber seine Haltung und kommt langsam auf mich zu geschlendert.

Flying HighWhere stories live. Discover now