5 ┃Buchfund

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Platz am Fenster

Geschafft ließ ich mich auf meinen Fensterplatz im Zug fallen, ich wusste nicht wie meine Eltern reagieren würden, wenn ich einfach so bei ihnen vor der Tür auftauchen würde. Meine Nervosität äußerte sich durch das auf und ab Wippen meines Beines, diesmal wurde das "Klack"-Geräusch meiner Absätze jedoch vom Teppichboden des Zuges verschluckt. Der Zug - oder viel mehr die Regionalbahn, in der ich saß, war nicht sonderlich voll, was auch kein Wunder war -  denn der Rest der Welt war auf dem Weg zur Arbeit oder bereits da - nur ich saß hier und konnte vor Nervosität nicht klar denken. Nicht nur das bevorstehende Wiedersehen mit meinen Eltern machte mir zu schaffen, sondern auch meine Semi-Kündigung - klar war nichts offiziell, denn Julius war weder mein Chef noch von der Personalabteilung, aber ich hatte ihm dennoch meinen Job, mehr oder weniger, überlassen.

Plötzlich fiel mir das Buch wieder ein, welches ich auf Eddas Platz gefunden und vorerst in meine Tasche geschmissen hatte. Vielleicht würde mich das von meinem Gedankenchaos ablenken. Ich zog es hervor und strich über den Einband - in kursiver Schrift stand dort;

Dienstags bei Morrie 

- Mitch Albom

Sowohl Titel als auch Autor waren mir unbekannt. Vorsichtig schlug ich die erste Seite auf. Über dem ersten Kapitel stand ein mit handgeschriebener Satz, er musste wohl von Edda stammen -immerhin war es ihr Buch, wobei das auch nur meine Spekulation war - jeden Tag fuhren hunderte Menschen Zug, doch irgendwas in mir war sich sicher; das Buch gehörte Edda.

"Die Vergänglichkeit der Dinge, wird uns erst im Augenblick des Verlustes bewusst."

Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus - sowas konnte nur sie sagen. Ich begann das Buch zu lesen, es war zwar nicht sonderlich dick, jedoch regte es zum nachdenken an. Immer wieder musste ich eine Pause machen, um das Gelesene zu überdenken und zu verarbeiten. 

Irgendwann wurde meine Haltestelle durchgesagt, zum zweiten Mal an diesem Tag packte ich meine Sachen zusammen und stand wenig später auf dem Gleis. Ich sah noch eine Weile dem Zug hinterher - wie er weiter fuhr. Danach suchte ich mir ein Taxi und hatte Glück - zwar wohnten meine Eltern nicht komplett abgeschieden von der Welt, aber es war dennoch schwierig ein Taxi in der kleinen Stadt zu finden, da es nur wenige Fahrer gab. 

Während der Fahrt beobachtet ich wie meine alte Heimat an mir vorbeizog, hier kannte jeder jeden und der neuste Tratsch wurde noch über Telefonketten weiter getragen. Ich seufzte es sah immer noch alles aus wie früher, der Bäcker an der Ecke verkaufte seit Jahren den gleichen Kuchen - die Verkäuferin wusste immer über alles bescheid, als würden sich alle Informationsströme in ihrem Laden bündeln. Danach kamen wir an einem Friseur vorbei, hier wurde stets über alles diskutiert und jedes noch so kleine Ereignis analysiert. Ein paar Straßen weiter war mein Gymnasium, an welches ich überwiegend positive Erinnerungen hatte - ich war eins dieser nervigen Kinder, dass die Schule tatsächlich mochte. 

Nach einer Weile hielt das Taxi schließlich vor dem Haus meiner Eltern. Es stand am Ende der Straße, dahinter führte ein schmaler Weg in den Wald. Ich beobachtet das kleine Haus mit dem roten Dach eine Weile - es strahlte eine Ruhe aus. Fasst fühlte ich mich 10 Jahre jünger, nach der Schule bin ich immer mit meinen Geschwistern nach Hause gelaufen - bis sie ausgezogen sind und ich irgendwann alleine mit meinen Eltern zusammenwohnte. Am Anfang war es komisch - vor allem, weil das Haus auf einmal so ruhig war, doch ich genoss die Vorzüge meines 'Einzelkind-Daseins' sehr.

Mit einem Räuspern machte mir der Taxifahrer klar, dass er nicht ewig hier stehen und auf sein Geld warten würde - also bezahlte ich ihn und stieg aus.

Amor Est Vitae EssentiaWhere stories live. Discover now