Noch drei, zwei: 13

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Papa war mittlerweile schon bestimmt einen ganzen Monat in Dortmund. Er musste arbeiten... und ausnahmsweise vermisste ich ihn total. Ich vermisste seine Art, seine Stimme, seinen Geruch. Ich vermisste, dass er sich immer um mich gekümmert hatte und ja, ich vermisste irgendwie sogar seine komischen Ausflüge - auch wenn er das mit dem Café echt lassen sollte.

Aber trotzdem, ich wollte ihn unbedingt bald wieder sehen. Mama vermisste ihn genauso - und genau dies war der Grund für unseren Spontantrip. Meine Mutter schrieb eine Entschuldigung für die Schule und dann fuhren wir los. Ab nach Dortmund, um meinen Vater zu besuchen. Für mich zwar nur für einen Tag, aber immerhin...

Nach dem Montagabend brachte mich meine Mutter wieder zurück nach Hause damit ich Dienstag wieder zur Schule gehen könnte. Meine Mutter selbst fuhr aber zurück nach Dortmund, um wenigstens ein paar Tage mehr mit ihm zu verbringen.

Den nächsten Morgen wachte ich pünktlich zu viertel vor sieben auf.

Ich wollte mich eigentlich für die Schule fertig machen, so wie ich es auch sollte und wie es geplant war ... doch ich blieb liegen. In meinem Kopf kreisten zu viele Gedanken. Gedanken, die mir wichtiger waren als zur Schule zu gehen.

→Ich beschloss die Schule zu schwänzen. Einfach nicht hinzugehen - ohne Entschuldigung, ohne Vorwarnung, ohne das irgendjemand davon wusste.

Mir war es egal. Und genau darum kreisten auch meine Gedanken.
Egal. Mir ist alles egal... Ich bin mir selbst egal... ich bin anderen egal... mir ist mein Leben egal.
Was will ich eigentlich noch hier? Ich meine, hallo? Ich bin ein Einzelgänger! Niemand kümmert sich um mich, selbst meine ... Mutter. Hat mich verlassen. Und...

Dadurch das ich nachdachte verging die Zeit wie im Flug.
Wenn mir alles egal ist, dann...
Nein!

Mir war immernoch nicht ALLES egal. Die Dinge, die mich auch schon vorher in meinem Leben verfolgt hatten, dieses waren die Dinge, die mich auch jetzt noch verfolgten. Die Dinge, die mir nicht egal waren.

Ich dachte immer jeder hat einen Sinn im Leben... Ich dachte doch, ich habe meinen gefunden, doch ich hatte ihn noch nicht erledigt.

Umso mehr ich meinen Kopf anstrengte, desto depressiver wurde ich.
Meine Lebensmission: Perfekt sein! Und was war ich nicht? ... Irgendwann hatte ich dann eine Idee.

**

Ich machte mir einen hohen Zopf, zog mir meine schwarze Leggins an, dann ein graues T-Shirt. Eine Jacke, eine Mütze. Ich nahm mein Handy und meinen Schlüssel und zog meine Laufschuhe an. Dann ging ich aus der Tür, machte Musik an und lief los.

Es schneit! Perfekter Tag. Wer friert, nimmt ab! Wer sich bewegt, nimmt ab! Wer abnimmt, wird perfekt!
Okay... noch drei Tage. Nicht mehr, nicht weniger. Die überlebe ich!
Ich... ja, genau. Nix essen, nur Wasser trinken, nicht faul rumliegen, immer unterwegs sein. Du schaffst das! Ich schaff das! Ich muss es schaffen, sonst erreiche ich mein Ziel nicht!
Wird bestimmt schön... zumindest besser als je zuvor!

Ich musste lächeln. Endlich würde ich mein Ziel erreichen, endlich würden alle Leute mal wieder stolz auf mich sein. Endlich!

Ich wurde schneller. Gab alles, was meine Beine her gaben. Sprintete förmlich die Straßen entlang. Links, rechts, in den Wald hinein, durch ihn hindurch, ... ich konnte nicht aufhören zu rennen.
Ja. Tritt den Boden. Tritt ihn so fest du kannst, Lacy! Renn! Lauf vor allem weg. Vor deiner Mutter, deinen "Freunden" , deinem Leben. Du schaffst es. Du bist stark. Du kannst allen zeigen, dass ... dass es sich lohnt auf dich stolz zu sein!

"AUF MIIIIIIIIIIICH!"

Verkeucht schrie ich durch die Welt. Ich wollte, dass jeder es mitbekam - und doch auch keiner...

Meiner Wut wollte ich freien Lauf lassen, ich wollte auf alles schei***.

Ich wollte mich einfach frei fühlen! Das allererste und letzte Mal!

Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich schaute auf mein Handy. Ich war bereits eineinhalb Stunden am Laufen und machte mich deshalb auf den Weg nach Hause. Ich würde noch zirka vierzig Minuten unterwegs sein.
O... kay, vierzig Minuten. Schaff ich - vielleicht. STOPP! Du musst es schaffen. Tritt auf den Boden. Jeder tritt geht auf Menschen die du nicht magst. In den Magen, auf die Rippen, Hals, Kopf, ... Jeder Schritt... Ich komme meinem Ziel näher! Endlich!

**

Den gesamten Tag aß ich nichts. Den Rest des Tages hockte ich im Wohnzimmer. Ganz alleine. Wenn es klingelte, jemand anrief, ... - ich ignorierte es. Öffnete nicht die Tür, ging nicht ran. Ich verbrachte den Tag damit Fern zu sehen, zu trinken und alle halbe Stunde ein paar Workouts zu machen. Ich musste mein Ziel verfolgen! Am Abend ging ich dann schon um acht ins Bett. Im Schlaf ist der Stoffwechsel aktiver!

**

Ich war unterwegs. Ich ging gerade spazieren. Fett eingepackt. Jacke, Schal, Mütze, dicke Schuhe, höchstwahrscheinlich auch noch mit Kuschelsocken drunter, weil ich so eine Frostbeule war. Auch wenn ich früher daran gefallen hatte...

Überall wo man hinsah fielen Schneeflocken vom Himmel und bedeckten den Boden. Man konnte mir ansehen, dass mich etwas beschäftigte. Und zwar nicht nur so ein kleiner Mist. Es war keine Entscheidung die bestimmt, ob du nach links oder rechts gehst. Es war viel mehr! Das spüre ich.

Den gesamten Weg, den ich entlang ging, sagte ich nichts. Ich war alleine. Alleine mit meinen Gedanken und meiner Entscheidung. Es fuhr kein einziges Auto an mir vorbei, kein Mensch war in meiner Nähe. Ich war ganz allein.

Irgendwann blieb ich stehen. Ich stand mitten auf einer Autobahnbrücke. Und plötzlich war ich nicht mehr der gefühlt einzige Mensch auf Erden. Unmengen an Autos fuhren unter mir mit mindestens 100 km/h. Ich stellte mich an den Rand der Brücke und schaute auf die ganzen Autos. Nicht allzu viel später verloren meine Augen die Autos und wanderten starr in die Luft. Es wirkte, als sei ich komplett in mich selbst gekehrt.Als würde ich meine letzte Energie noch einmal bündeln und tief durchatmen. Dabei schloss ich meine Augen und breitete meine Arme aus.
Freiheit?!

Ich wachte auf. Mein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es noch mitten in der Nacht war.

3.17 Uhr. Mir wurde klar, dass ich mal wieder geträumt hatte. Doch in dem Moment war mir dies egal. Ich wollte einfach nur schlafen.

Gefühlte zehn Minuten später öffnete ich meine Augen erneut. Ein Blick zur Uhr verriet mir, es waren keine zehn Minuten, sondern acht Stunden.

10.49 . Ich hatte verschlafen. Die Schule begann schon vor knappen drei Stunden. Mein Kopf führte ein kurzes Selbstgespräch.
Lohnt es sich noch dorthin zugehen? Nein, eigentlich nicht. Was soll ich auch da... Will ja sowieso niemand was mit mir zutun haben. Sogar Sue hat mich verlassen. Ich bin eben einfach verlassen und verletzt. Ich seufzte.

Alles sprach gegen Schule und so verbrachte ich auch den Mittwoch alleine zu Hause. Ohne Mama. Ohne Papa. Ohne Freunde.

Mein Mittwoch sah so ähnlich aus wie der Tag zuvor.

Aufstehen. Wiegen. 2 Stunden laufen. Trinken. Trinken. Trinken. Anschließend nochmal wiegen.
Ja, wiedee abgenommen. Es funktioniert! Knappe 42kg. Es funktioniert!

Den Abend brachte ich mit Fernsehen, noch mehr zu trinken und einer Menge Workouts hinter mich.

Irgendwann legte ich mich in mein Bett und genoss die Ruhe.
Niemand ist hier. Alles ist ruhig. Keiner kann mir sagen wie schlecht ich doch bin. Keiner kann mir etwas vorschreiben. Und das Beste: Keiner kann mich von meinem Ziel abbringen! Ich werde es schaffen!

Eingeschlafen bin ich dann zirka um Neun mit dem Gedanken an mein Ziel. An meinen großen Tag.
Noch zwei...

Destroyed girlWhere stories live. Discover now