18 | Hin- und hergerissen

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Aber seine Demütigung und das Wissen, dass Sammy nicht erfreut darüber ist, wenn ich weiter Kontakt mit ihm habe, sorgen dafür, dass sich die zarte Blüte wieder in ihre Knospe zurückzieht.

Ich will so gerne glauben, dass Reece mich verstehen kann, aber selbst wenn das der Fall sein sollte, kann ich Sammy nicht verletzen.

Ich schaue von meinem Block auf, auf dem ich geistesabwesend ein paar Stichworte zur Diskussion notiere, und blicke auf Reece' Rücken. In dem Moment hebt er die Hand, um ein Pro-Argument zur Debatte beizutragen.

Wie der Papierdrache würde ich mich gerne nach links wenden ...

Ich lasse meinen Blick weiter zu Sammy schweifen, der als Reaktion auf Reece' Argument nur abfällig den Kopf schüttelt.

... spüre aber den Gegenwind, der mich davon abhält.

Als er sieht, dass ich ihn anschaue, wirft er mir ein Lächeln zu. Fast lautlos flüstert er: »Alles okay?«

Ich nicke, lächle zurück und frage mich, ob ich gestern Abend einen Fehler gemacht habe, als ich ihn auf die Wange geküsst habe, oder ob ich mir zu viele Gedanken mache. Sammy hat mir schon oft ein Küsschen auf den Kopf gegeben, besonders wenn er mich getröstet hat. Warum sollte ein Kuss von mir an ihn eine andere Bedeutung haben?

Weil ich ihm noch nie einen gegeben habe, gebe ich mir selbst die Antwort.

Von meinen Gedanken eingenommen male ich Kreise, Linien und Schnörkel auf die Seite mit meinen Diskussionsnotizen, sodass die Ränder am Ende genauso durcheinander und chaotisch aussehen wie es in meinem Kopf ist.

Als die Stunde schließlich endet, weiß ich immer noch nicht, was ich heute Abend tun soll. Soll ich schwimmen fahren? Oder soll ich es bleiben lassen?

In Gedanken versunken packe ich meine Sachen zusammen und folge Sammy aus dem Raum. Auch die nächsten Stunden – Musik ohne Sammy und Französisch mit Sammy – kommt mein Verstand nicht zur Ruhe.

In den Pause zwischen Musik und Französisch sitze ich wieder mit Sammy bei seinen Freunden und die ausgelassene Stimmung schafft es, das Karussell kurzzeitig zum Stillstand zu bringen. Abgelenkt lasse ich mich von witzigen Geschichten, die in den letzten Tagen passiert sind, mitreißen.

Mir wird warm ums Herz, als ich spüre, wie mich die anderen inzwischen ganz selbstverständlich in ihre Gespräche miteinbeziehen, aber als ich in Französisch wieder meinen Gedanken überlassen bin, nimmt das Karussell erneut Fahrt auf.

Bis die letzte Doppelstunde des Tages anbricht – Literatur.

Mit Ginger.

Dann werden alle anderen Gedanken verdrängt. Übrig bleibt nur ein einziger: Wie sie heute wohl gelaunt ist?

Zum Glück bin ich in Literatur nicht alleine mit ihr, wie es in Englisch der Fall ist. Sammy ist bei mir.

Doch ich mache mir umsonst Sorgen. Wie schon seit Beginn der Woche ist Ginger gut gelaunt. Fröhlich stolziert sie mit Reece Hand in Hand in den Klassenraum und mein Herz setzt bei seinem Anblick für ein paar Schläge aus.

Er geht nicht in diesen Kurs.

Ohne mich zu beachten folgt er ihr an ihren Platz und beugt sich verliebt lächelnd zu ihr nach unten. Strahlend reckt sie sich ihm entgegen und gibt ihm einen Abschiedskuss, ehe er aus der Klasse verschwindet.

Warum mache ich mir eigentlich Hoffnungen mit ihm befreundet sein zu können? Selbst wenn er mich nicht ignorieren würde – er ist Gingers Freund. Sie würde mich niemals dulden.

More than meWhere stories live. Discover now