"Bring sie zu dir, ich komme nachher nach" befehlt Emir seinem Bruder.

"Kannst du mir mal erst erklären, was hier vor sich geht? Und wohin du gehst?"

"Später, ich muss etwas erledigen" winkt er ab und verschwindet dann auch schon, während Mert und ich ihm ahnungslos nachschauen.

Emir's Sicht:

Mit gemischten Gefühlen und einer so kochenden Wut in sich, steigt Emir in sein Wagen, während er die Nummer von Yavuz wählt und ihn dann anruft. Er umklammert das Lenkrad fest um seine Finger und drückt auf Vollgas.

"Hallo?" geht endlich Yavuz ran.

"Komm mit Can zum Friedhof. Nimmt was zum graben mit" verlangt er und legt dann auch schon auf.

Er wirft Dünya's Handy auf dem Beifahrersitz und steuert zum Friedhof zu. Emir ist verzweifelt, niemals hätte er gedacht, dass jemand wie Cem mit ihm so sehr spielt. Emir ist jemand, mit dem man nicht spaßen konnte, doch jetzt fragt er sich, wie blind er denn sein konnte. Seine Schwester war immer nur wenige Meter von ihm entfernt, ohne das er es gemerkt hat. Wütend schlägt er auf das Lenkrad und spannt sein Kiefer an. Am liebsten würde er seine ganze Wut raus schreien und seine Tränen frei im Lauf lassen, doch das kann er nicht zulassen. Seine Fassade würde dadurch bröckeln und er würde wieder zu seinem alten ich- seinem kindlichen Ich- zurück kehren. Noch nie hatte ihn etwas so sehr aus der Fassung gebracht- allein die Stimme seiner Schwester hat in ihm ein Sturm ausgelöst.

Er hält am Friedhof an und sieht schon, wie Can und Yavuz mit drei Schaufeln da stehen. Er steigt aus und deutet mit einem Nicken, dass sie ihm folgen sollen.

"Bruder ich will nicht nerven ab-" fängt Can an, doch wird von Emir's monotoner Stimme unterbrochen.

"Dann Nerv einfach nicht"

Er geht auf das Grab seiner Schwester zu. 26.07.2015 ist auf dem Grabstein drauf graviert wurden. Mit seinen Fingern streift er über die Schriftart und kneift für einen kleinen Augenblick die Augen zu. Jahre lang hat er hier gesessen und hat für sie gebetet. Jahre lang hat er an einer Lüge geglaubt und mit einem leeren Grab geredet.
Er ballt seine Hand zu einer Faust und schlägt mit einem Schlag wieder seine Augen auf. Von Can und Yavuz kommt kein einziges Geräusch.

"Grabt" befehlt er und nimmt sich eine Schaufel.

Yavuz und Can gucken ihn zweifelnd an.

"Eh stören wir nicht dadurch ihren Frieden?" fragt Can, erntet jedoch nur einen bösen Blick von Emir, weshalb er sofort anfängt zu graben.

Er weiß, dass er die Stimme von seiner Schwester am Telefon gehört hat, doch er will sich nur sicher sein. Er möchte nicht wieder von Cem veräppelt werden. Vielleicht ist er auch nur verrückt geworden und hat all das halluziniert.
Emir Krempelt seine Ärmel hoch und wischt sich den Schweiß, der sich um seiner Stirn gebildet hat, weg.
Zu dritt fangen sie dann an bis tief in die Nacht zu graben, bis endlich der Sarg in Sicht ist.

"Ich bin tot" seufzt Yavuz nach Stunden und wirft die Schaufel zur Seite, während er sich auf den Boden setzt.

Emir's ist hingegen immer noch energievoll und denkt sich, was für Luschen das sind. Einige Minuten blickt er den Sarg an und traut sich nicht, es zu öffnen. Seine Finger scheinen versteinert zu sein und wagen sich nicht in die Nähe des Sarges zu gelangen.

"Can mach das mal auf" Emir zeigt auf den Sarg und fährt sich mit seiner Hand durch seine Haare.

Seine Klamotten und sein Gesicht sind völlig von der Erde verdreckt. Er merkt wie vor Angst sein Herz anfängt schneller zu schlagen. Can zögert etwas, aber geht dann auf das Sarg zu und öffnet es. Automatisch guckt Emir weg, da er trotzdessen Angst hast, die Überreste seiner Schwester zu sehen.

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