5 | Tell me about the food

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Am nächsten Morgen hatte Taehyung ein Veilchen.

Schon als er die Augen aufgeschlagen hatte, wusste er, dass der Tag nicht gut werden konnte. Seine Augen waren verquollen und jeder Schritt tat ihm weh, da Jeongguk gegen seinen Oberschenkel getreten hatte, um ihn zu Boden zu befördern.

Das einzig positive war, dass kein Blut auf seinen Teppichboden gekommen war und sein Vater nicht gemerkt hatte, dass er noch wach war. Aber da hörte die Liste auch schon auf.

Taehyung versuchte den Bluterguss so gut wie möglich mit Make Up seiner großen Schwester zu kaschieren und aß zum Frühstück so schnell es ging, bevor sein demoliertes Gesicht jemandem auffiel und er sich irgendwie rechtfertigen musste. Zum Glück saßen an diesem Morgen nur Taeha und Bomi mit ihm am Tisch.

Bomi war zu vertieft in die Zubereitung ihres Obstsalates und Taeha interessierte sich generell seit neustem nicht wirklich für ihn.
Außerdem schienen sie beide an diesem Morgen zu müde zu sein, um ihn auf gestern Nachmittag anzusprechen, sodass Taehyung es schaffte ohne ein Wort zu sagen, das Haus zu verlassen, die Wäsche im Garten bei den Apfelbäumen aufzuhängen und sich dann in Richtung Bushaltestelle aufzumachen, an der er Jeongguks Silhouette schon ausmachen konnte.

Eigentlich grenzte es an einem Wunder, dass ihr Dorf an das öffentliche Straßenverkehrsnetz angeschlossen war, aber Taehyung hatte nie auch nur gewagt es zu hinterfragen. Er war zusammen mit Jeongguk eingeschult worden und dadurch, dass ihre Eltern so eng befreundet sind, wie sie es vor einiger Zeit selbst noch gewesen waren, waren sie auch auf dieselbe Mittelstufe und letztendlich auch auf dieselbe Oberstufe gekommen, weshalb sie sich seit sie denken konnten denselben Schulweg teilten.

Und nie fand Taehyung es schlimmer, als in diesem Montag.

Natürlich ignorierte Jeongguk ihn, doch Taehyung bemerkte sofort, dass seine Lippe ordentlich angeschwollen war und kam nicht darum herum sich darüber zu freuen.

Sie waren die ersten, die heute den Bus bekommen mussten. Im Gegensatz zu Junghyun - Jeongguks jüngerem Bruder - und Taeha - Taehyungs jüngere Schwester -, die beide auf eine nähere gelegenere Schule gingen, mussten Taehyung und Jeongguk beide erst bis zum nächsten Ort und von da aus mit der Regionalbahn in die Stadt fahren. Ein Weg von etwa anderthalb Stunden, den sie sich früher immer mit endlosen und dämlichen Spielchen vertrieben hatten, heute allerdings darauf hinauslaufen würde, dass sie gegenseitig zufrieden die Überbleibsel ihrer Prügelei am anderen bewunderten.

Zumindest dachte Taehyung das.
Jeongguk hatte wohl anderes vor.

„Erwarte nicht, dass ich mich entschuldige, Bartholomäus", zischte er, sobald Taehyung bei ihm angekommen war und sich mit Sicherheitsabstand zu seinem alten Freund auf die morsche Bank fallen ließ. Der Lack war schon lange abgeblättert und Pflanzen fraßen sich in das dunkle Holz, aber sie hielt.

„Ich hab nichts gesagt", erwiderte Taehyung und kam nicht darüber hinweg sich für sein Verhalten von gestern zu schämen. Er hatte sich nicht unter Kontrolle gehabt, einfach seinem ureigenem Instinkt nachgegeben ohne die Dinge zu reflektieren und zu einem von diesen unreifen, pubertären Jungs geworden, die sich immer wegen allem prügeln konnten.

„Wir sollten uns was für die Schule ausdenken..."

„Warum? Wir machen es einfach so wie die letzten beiden Jahre. Ich kenne dich nicht. Du kennst mich nicht. Jetzt sollte es sowieso leichter werden, weil ein paar Leute abgegangen sind, die uns noch als beste Freunde erlebt haben."

Es schmerzte Jeongguk das so gleichgültig sagen zu hören, doch Taehyung riss sich zusammen und dachte angestrengt an sein Veilchen, bis es besser wurde.

„Hat der Mops eigentlich weitergemacht?"
„Nenn Youngji nicht so. Wenn sie das hört, wird sie dir die Knochen brechen."

Auf Jeongguks Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus und Taehyung sah schon die nächste Beleidigung seiner besten Freundin, als Gott sei dank der Bus um die Ecke fuhr und vor ihnen hielt.

Wie jeden Morgen, um diese Uhrzeit war er menschenleer.

„Guten Morgen, Mark", begrüßte Taehyung den ruhigen, aber sehr aufmerksamen Busfahrer freundlich, zeigte seinen Fahrschein vor und lief nach hinten durch, um sich einen Platz in der letzten Reihe zu suchen. Jeongguk folgte ihm. Jedoch ohne Mark zu begrüßen.

Zu dieser Zeit gab es immer zwei Busfahrer, die im Wochenrhythmus abwechselnd eingeteilt waren. Einmal Mark Tuan, der nie mehr als notwendig sagte, und Park Jinyoung, der sich über jeden Menschen freute, der zu ihm in den Bus stieg, und dies auch kundtat indem er ein endloses Gespräch vom Zaun brach, das meist selbst dann noch kein Ende fand, wenn Taehyung und Jeongguk wieder aussteigen mussten.

Eigentlich war es Taehyung lieber, wenn er frühmorgens allein seinen Gedanken nachhängen konnte, doch in diesem Moment wünschte er sich Jinyoungs Gesprächigkeit mehr als alles andere. Zumindest um die unangenehme Spannung zwischen Jeongguk und ihm zu lockern, die jetzt entstanden war und definitiv anhalten würde, bis sie im nächsten Ort angekommen waren.

Auf dem Bahnsteig trennten sie sich ohne Worte und Taehyung war unendlich erleichtert darüber, als er Park Bogum in der Bahn entdeckte bevor Jeongguk einen seiner Freunde finden konnte.

„Scheiße, du glaubst nicht wie sehr ich dich vermisst hab, Kumpel", begrüßte Bogum ihn sofort lautstark und schob ein paar Menschen zur Seite, die ihm im Weg waren, um zu Taehyung zu gelangen und ihm kräftig auf die Schulter zu klopfen. Park Bogum war ein Mann wie ein Baum, aber Youngjis Idee ihn Bonsai zu nennen, wurde zerschmettert, bevor Taehyung seine Begeisterung dafür aussprechen konnte.

Er war groß, breit und wäre er nicht unbedingt Taehyungs bester Freund, seit sie zusammen in der Neunten schauspielerisch ein Gedicht vortragen mussten (sie hatten sich für den Erlkönig entschieden und die Klasse hatte blank vor lachen gelegen), vermutlich ziemlich angsteinflößend.
Aber obwohl er Taehyung metaphorisch und buchstäblich in den Schatten stellte, war dieser ziemlich dankbar für seine Freundschaft.

Bogum war einer der wenigen Menschen, die sich für alles begeistern konnte, was man ihm vor die Nase hielt und er noch nicht kannte, und als Taehyung ihm erklärt hatte, warum er immer ein Kreuz um den Hals trug, hatte er nicht komisch geguckt oder seine Einstellung hinterfragt, sondern ihm einfach nur interessiert bis zum Ende zugehört und sich am Nachmittag darauf die Bibel aus der Bibliothek ausgeliehen, nur um sie in einer Woche durchzulesen.
Vermutlich die Eigenschaft, die Taehyung am meisten an ihm schätze.

„Du musst mir alles erzählen, was in Europa passiert ist? Wie sind die Leute so? Das Essen? Stimmt es, dass da alle gleich aussehen? Hast du den Pabst gesehen?"

Ein schwaches Lächeln schlich sich auf Taehyungs Gesicht und er verdrängte alles, was mit seinem Zuhause zu tun, hatte bevor er anfing zu erzählen.

Die Fahrt mit der Bahn zur Schule dauerte nicht lang, da Taehyung wirklich eine Menge zu berichten hatte und Bogum jeden Atemzug dokumentiert haben wollte, den er in Europa gemacht hatte.
Allerdings wurde sie von Station zu Station voller, sodass sie immer näher zusammenrücken mussten und Taehyung Jeongguk, zu dem er bis zu diesem Zeitpunkt immer wieder rüber geblickt hatte, aus dem Augenwinkel verlor.

Mit Bogum an der Seite quetschte er sich auf den Bahnsteig des Hauptbahnhofes und nach dem üblichen, montäglichen Gedrängel letztendlich aus dem Gebäude, um die Straße zu ihrer Schule zu überqueren vor dessen Eingang sich schon eine ganze Traube an Schülern angesammelt hatte.

Unbewusst sah Taehyung sich noch ein letztes Mal nach Jeongguk um, während Bogum seinen Arm gepackt hatte und ihn durch die Menschenmassen hinter sich her schliff. Er redete ohne Punkt und Komma über seine eigenen Ferien und bemerkte nicht einmal, dass sich sein bester Freund versteifte, als er Jeongguk endlich entdeckte.

Er stand bei einer Gruppe von Jungs und nahm gerade eine Zigarette an, als er hochsah und Taehyungs Blick kreuzte.
Zum letzten Mal an diesem Vormittag, bis sie beide wieder zusammen im Bus nach Hause sitzen würden.














... ich liebe Bogum jetzt schon

Walk on water  ⇢ TaekookWhere stories live. Discover now