Kapitel X

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Nacht.

Eine dunkle Nacht, so wie sie nur selten vorkam. Keine Sterne waren am Himmel zu sehen und nur der helle Vollmond verteilte Licht auf der dunklen, schattigen Lichtung, auf der Jasper nun war. Er irrte in Schlangenlinien durch die dunklen Schatten der Bäume. Die Waldluft hinterließ einen erdigen Geruch in seiner Nase.
Jasper rannte. Er rannte schneller als jemals zuvor, denn er hatte auch noch nie zuvor eine solche Angst gespürt und diese Angst trieb ihn voran. Er wusste nicht vor wem oder was er weglief, aber er war auch nicht so lebensmüde, stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Aber er wusste genau, dass ihn jemand oder eher gesagt etwas verfolgte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, es pochte so laut, er hörte nicht einmal mehr sein erschöpftes Keuchen. Aber er wusste, dass seine Atemfrequenz mindestens um das fünf-fache gestiegen sein musste. Was war das?! Ein Bär? dachte er als er dann doch anhielt um ruhig zu atmen. Ein Kratzer machte sich an seinem Arm bemerkbar. Jasper spürte das warme Nass, welches aus der Wunde floss. Sein Verfolger, ein bärenartiges Geschöpf mit leuchtend saphirblauen Augen, hatte ihn durch den halben Wald, bis hin zu den entlegensten Stellen gejagt. Wie ein Raubtier, welches seine Beute bis zur Erschöpfung hetzte, um ihm dann den Todesbiss zu verpassen
Es hatte ihn einmal bekommen, aber Jasper konnte sich mit einem rettenden Tritt gegen den Kopf des Monsters befreien und blieb nur mit einem Kratzer zurück. Ein eisiger Windstoß ließ Jasper erzittern. Wo ist es? dachte er. Jasper sah sich um. Es muss wohl weg sein... Jasper atmete erleichtert auf und legte die Hände erschöpft auf seine Knie. Hinter ihm ertönte ein ohrenbetäubendes Knallen. Das Beben des Bodens ließ Jasper beinahe umkippen.

Er sah auf und wollte laufen, aber das Biest stand schon mit seinen blau leuchtenden Augen vor ihm. Das Blau in den Augen des Biestes war dunkel und schien doch so kalt, es ließ Jasper erzittern und bescherte ihm eine Gänsehaut. Das Monster fing an zu knurren. Seine großen Nüstern bebten bedrohlich, als es seinen schweren Kopf etwas höher hob. Sein riesiger Kopf ähnelte dem eines Wolfes. Aber das kann doch nicht sein... Es gibt in dieser Gegend doch keine Wölfe, und schon gar nicht so große. dachte er.

Der riesige Kiefer der Bestie öffnete sich. Klarer Speichel tropfte aus dem Maul des Ungeheuers und leuchtete in dem Licht des Mondes. Es fletschte seine gewaltigen Zähne. Als Jasper es von der Nähe betrachtete, sah es nicht mehr aus wie ein Bär, sondern Jasper war sich sicher, dass es sich um einen schwarzbraunen Wolf handelte, der beinahe die Größe eines Ponys besaß.

Aber Wölfe werden doch niemals so groß...

Ist das mein Ende?

Werde ich sterben?

Ich bin noch nicht so weit...

Ich will leben...

Es wurde schwarz um ihn.

Stille.

Als er aufstand spürte er einen starken Schmerz in der rechten Seite. Sein T-Shirt war zerfetzt und voller Dreck und Blut.

Ist...

"Ist das mein Blut...?" Er fing an zu zittern. Eine Angst überströmte ihn. Aber nun kam allmählich die Erinnerung zurück, an gestern. An die Hetztirade, diese schreckliche Angst. An diese Bestie, die ihn angefallen hatte.

An einfach alles.

Er sah verschwommen als er den ersten Schritt tat. Sein Kopf dröhnte extrem, und alles um ihn begann sich zu drehen. Er wusste zwar, dass er im Wald war, aber er wusste nicht genau wo. Das Rauschen des Wassers verriet ihm jedoch, dass er irgendwo nahe den Wasserfällen im Nationalpark, neben der Stadt war, in der er lebte. Jasper quälte sich Schritt für Schritt weiter. Bei jedem Schritt stach es wieder in seiner Seite. Es war eine Art Schmerz, die sich anfühlte, als würde beinahe zusammengewachsenes Fleisch wieder gewaltsam auseinandergerissen werden. Er bekam Panik als er sein T-Shirt hochhob, um zu sehen, was den Schmerz verursachte. Von seiner rechten Seite bis zu seinem Bauchnabel waren eindeutig große Bissspuren zu sehen, die aber, an schon länger verheilte Wunden deuten ließen. Das geronnene Blut klebte an seiner Haut und bei jeder Bewegung sickerte wieder etwas Blut aus der Wunde. Der süßliche Geruch von Eisen erfüllte seine Nase.

Hüter Where stories live. Discover now