Sternschnuppen

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Magnus

Der Himmel ging langsam schlafen. Er schminkte sich mit den Wolken ab, ließ es zu das seine Dunkelheit leuchtete. Ich war naiv, egoistisch und redete mir seit ich klein war ein, das die Sterne nur für mich so strahlten. Ich sah dabei zu, wie sie voller Hingabe fielen, nur damit jemand sich unter diesem Himmel traute einen sehnlichsten Wunsch zu äußern. Fallen sie, weil sie auch Wünsche haben? Wohin fallen die Schnuppen? Schmerzt der Aufprall? Vor Alexander hätte ich eine Sternschnuppe nur betrachtet, jetzt sah ich ihr beim Fallen zu und hoffte sogleich das sie einen kleinen unscheinbaren Fallschirm hinter sich herzog. War der Schweif, den sie hinter sich herzogen vielleicht eine Art Superhelden Umhang?

Das gefüllte Weinglas setzte ich mit den Augen am schlafenden Himmel hängend, an meine Lippen. Sie küssten das Glas und der liebliche, fast schon kühle Wein streifte meine Kehle mit so einer zaghaften Gewalt, das ich jede Facetten schmecken konnte. Die dunkelrote Flüssigkeit war der seelenlose Ausklang eines Tages, der aus Gartenarbeit und vollster Entspannung mit meinen Ehemann bestand.

Ich ließ zu das meine Augenlider sich senkten. Mein ganz persönliches Opus bildete sich sofort. Ich sah die blauen Augen, sie waren der Ozean den ich nur mit einem kleinen Papierschiff durchschwamm. Hemmungslos war ich in diesem ertrunken. Hatte ich erst Jahre später verstanden, wie tief seine Seele reicht. Die kleinsten Sachen wie Sternschnuppen bekamen eine vollkommnen neue Bedeutung, waren sie sogleich ein Wunder des Sonnensystems. Das gräuliche volle, stets chaotische Haar. Ich kämmte es mit meinen Fingern. Sie waren der Kamm der Zartheit. Etwas was er nur bei mir zuließ. Da war blasse Haut. Falten, vom Lachen gebildet und manchmal von Sorge durchzogen. Ein Mensch, der sich hingab und die Liebe in sich trug, die so rein war, wie der Ozean in dem ich ertrunken bin. Nie wieder bin ich aufgetaucht. War die Landschaft, die es zu erkunden gab immer noch nicht zu Ende. Trockene, rosafarbene Lippen, welche die pure Lebensfreude als Lippenstift trugen. Lippen die mein ganzes Da sein geküsst, fast schon getauft hatten. Da waren Hände, bedeckt mit einer Creme aus Sanftheit. Ein Auftreten voller Anmut und Eleganz. Auch wenn er es so nie sehen würde. Da war Alexander Lightwood-Bane. Meine Ehemann, Wegbegleiter, bester Freund und Herzensdieb. Er war der Dichter meines Lebens und ich dankte ihm für dieses Gedicht.

Ein Geruch, welcher ich unter tausenden erkennen würde, stieg mir in die Nase, kitzelte mein Herz und ließ es für einen Höhenflug über diesen Ozean gleiten. Bekannte, lächelnde Lippen legten sich kaum greifbar auf meine, bedeutete es doch gerade das ich mir das alles nicht nur erträumt habe. "Egal wo du gerade mit deinen Gedanken warst, es muss ein schöner Ort gewesen sein." Ich hob meine Augenlider um meinen Dichter anzusehen. Er setzte sich neben mich auf die Bank. Sie stand vor den Hortensien und somit auch vor unserem Garten. Sein Arm legte sich wie eine wärmende Decke um meine Schulter, brachte mich somit nach Hause. Ich würde ewig mit ihm gehen und gäbe es mehr als dieses Leben, dann möchte ich es nur mit ihm verbringen.

"Du kannst dir die Schönheit gar nicht vorstellen." Schief lächelte er mich an. "Entschuldige, das ich dich da heraus gerissen habe." Leicht schüttelte ich den Kopf, würde er doch nie wissen, was er für mich ist. Ein ganzes Leben lang an seiner Seite verbracht und dennoch schien er seinen Wert nicht zu verstehen. Man könnte mir alles nehmen, nur nicht meine Familie. Ohne sie ist dieser Planet nichts wert.

"Nicht schlimm. Ich kann immer wieder einen Blick drauf werfen." Von der Seite betrachtete er mich eingehend. Alexander schien mich mit seinen blauen Augen zu entwaffnen. Ich zwinkerte ihm zu. "Würdest du etwas an mir ändern wollen, wenn du könntest?" Die Frage ließ alles verstummen. Das Zirpen der Grillen erschien weiter weg. Der unvollständige Mond war Lichtjahre davon entfernt, mich zu erreichen und dennoch flüsterte er mir die Antwort zu. "Ja." Wenn man jemanden liebte, dann nahm man ihn so wie er war. Seine Ecken hatten schon immer gut zu meinen Kanten gepasst. Und dennoch war da eine Sache, die sich nie zu verändern schien.

"Was?" Ich bettete meinen Kopf auf seine starke Schulter, war sie der See für meine vergangenen Tränen. Ich war zwanzig Jahre als Alexander vor meiner Tür stand. Er war achtzehn. Es dauerte genau zwei Jahre bis wir vor dem Altar standen, wussten wir das es keinen anderen Menschen mehr geben würde. In geraumer Zeit würden wir die eiserne Hochzeit feiern. Fünfundsechzig Jahre mit ihm verheiratet. Siebenundsechzig Jahre zusammen. Eine so lange Zeit, die uns nur noch mehr verbunden hatte. Erschien das Leben jetzt unvorstellbar ohne den anderen. Wir brauchten uns. Und genau deswegen war es für uns das Glück, das wir mit siebenundachtzig und fünfundachtzig noch gemeinsam hier draußen sitzen konnten. Es war unser Segen, den wir mit allen Mitteln behüten würden, solange wir konnten. "Deine Einstellung zu dir selbst." Sein Kopf lehnte er voller Vorsicht auf meinen. "Aber das habe ich in den letzten Jahren schon nicht hinbekommen."

Ich spürte sein Lächeln so deutlich, als könnte ich es gerade sehen. Wir waren verbunden, kannten den anderen in und auswendig. Dennoch schien es Punkte zu geben, die ich noch nicht bereist habe. Der Ozean war groß, schien er so viele Dinge in sich zu verbergen und verstecken. Ich liebte ihn. "Mit dieser Antwort kann ich leben." Ein schiefes Lächeln entstand auf meinen Lippen. War dieser Mann doch ein Stück des Himmels. Ich war von ihm gefesselt und dennoch habe ich mich noch nie so frei gefühlt. Jeder noch so kleiner Tag war wie ein ganz kleines Leben und ich führte mein Traumleben mit ihm. Jeden Tag.

"Wir müssen uns noch Gedanken machen, was wir Charlotte zum Geburtstag schenken." Sie war unseres erste Enkelkind und die Tochter von Rafael. Wir würden am Wochenende ihren Geburtstag mit der gesamten Familie feiern. Zuvor wollte sie aber uns nochmal besuchen. Irgendetwas hatte sie auf dem Herzen, das hatten wir schon bei dem heutigen Telefonat gespürt. Alexander und ich haben da zwar schon eine kleine Vorahnung aber ganz genau wussten wir es natürlich noch nicht.

"Vielleicht warten wir erstmal ab, was sie uns zu verkünden hat." Wir schmunzelten den schlafenden Himmel an, der über uns wachte. "Worauf stoßen wir an?" Ich hielt Alexander mein Weinglas entgegen. "Auf die Zeit die noch kommt." Das Klirren der Gläser, war der Beginn einer unvergesslichen Zeit, die wir gemeinsam durchleben würde. Dabei fiel ein weitere Stern vom Himmel. Und wieder wurde gerade irgendwo ein stummer Wunsch geäußert, welchen wir vielleicht bei erfahren würden. Ich hatte alles, was ich brauchte. "Auf die Zeit, die kommt."

Der WegWhere stories live. Discover now