„Die Tageszeitung liegt direkt drunter", sagte ich, während ich in dem Schrank nach einer Pfanne suchte und auch fündig wurde.

„Du solltest mal anfangen, nach Relevanz zu sortieren." Ich fragte mich, ob es etwas gab, dass er noch nie an mir kritisiert hatte. Vermutlich nicht, er liebte es, mein Selbstwertgefühl zu zerstören.

„Marc. Ruhe jetzt, ich bin beschäftigt." Ich wollte es zurücknehmen, die Worte einfach wieder einfangen. Irgendwie musste das gehen. „Tut mir leid, das war zu- Entschuldigung", fing ich eine große Rede an. Es tat mir nicht leid, ich wusste, dass es das auch gar nicht sollte, aber trotzdem verspürte ich das Bedürfnis danach.

„Lass' gut sein", sagte er bloß und irgendwie half das nicht. „Mach' einfach ein bisschen schneller. Ich muss in knapp einer Stunde los, zu dem blöden Büro brauch' ich ewig."

Du redest zu viel, wollte ich sagen. Tat ich aber nicht.

„Ja...klar. Ja, das weiß ich." Ich räusperte mich und stellte die Pfanne auf den Herd. So geräuschlos wie möglich hantierte ich, um Marc ja nicht zu stören, bei was auch immer er tat. Ich war gerade ungeschoren davongekommen, das sollte mir erhalten bleiben.

Es fühlte sich, als würde alle in Zeitlupe geschehen. Ich saß gegenüber von Marc, sah stumm auf den Tisch und dachte darüber nach, worüber ich mit Lucie reden würde. Marc aß sein Frühstück in Stille, nicht einmal das Radio lief. Danach ging er sich umziehen, während ich seinen Teller abräumte. Ich musste einfach nur der Routine folgen, dann würde alles gutgehen, ganz bestimmt. Es würde reichen, mich an den Plan zu halten.

Um nicht an Nutzlosigkeit zu verenden, fing ich an, alle Regale im Wohnzimmer abzustauben. Normalerweise hätte ich Musik gehört, aber Marc mochte meine Musik nicht und ich seine noch weniger. Raum für Gedanken war manchmal auch okay, entschied ich. Er kam aus dem Bad, griff nach seiner unnötig teuren Aktentasche und schlüpfte in seine Schuhe. Ich sah ihm nach, als er die Wohnung verließ, ohne sich zu verabschieden.

„Bis spä-" Die Tür fiel zu, bevor mein Satz beendet war. Ich sank auf die Couch und lehnte mich zurück. Meine Glieder waren schwer und mürb, als würden sie sich eigentlich gar nicht bewegen wollen. Vielleicht wollt mein Körper einfach hier verharren und nichts tun, bis es Zeit war, zu gehen. Vielleicht war das gar keine schlechte Idee. Ich warf einen Blick zu der Uhr, deren leises Ticken das einzige Geräusch war, das ich in dem Moment vernahm. Kurz vor halb zwölf. Ich musste nur zwei Stunden warten und sagte mir, dass ich das wohl schaffen würde.

Zwei Stunden hatten sich noch nie in meinem Leben so lang angefühlt, nicht einmal zu meiner Schulzeit. Warten auf den Bus hatte noch nie wie eine Ewigkeit gewirkt. Der Busfahrer nahm sich heute besonders viel Zeit, so kam es mir zumindest vor. Aber es war es wert, als ich Lucie erblickte. Sie schloss mich in die Arme, direkt als sie mich sah. Und wie immer hatte ich das Gefühl, nach einem langen Urlaub nach Hause zu kommen.

„Schön, dich zu sehen", sagte sie leise und zog mich erneut in eine Umarmung, nur ein paar Sekunden, nachdem wir uns aus der Ersten gelöst hatten. „Du siehst gut aus", sagte sie dann. Bei ihr wusste ich, dass sie ihre Komplimente ernst meinte. Lucie log nicht.

„Du auch", erwiderte ich leise.

Sie nahm mich an der Hand und zog mich mit sich zum Ufer. „Keine Sorge, heute zwinge ich dich nicht zum Schwimmen." Sie grinste dabei leicht. „Ich meine...außer du willst gerne!"

„Ich verzichte", winkte ich ab. Ordentliche Sätze kannst du also nicht mehr bilden?

„Na dann." Eine Weile sagten wir beide nichts und hörten stattdessen einfach dem Wasser zu. „Ich hab' die Scones vergessen", sagte Lucie irgendwann aus dem Nichts. Meine Verwirrung konnte man mir ganz sicher ansehen.

„Was?"

„Die Scones. Ich hab' dir welche versprochen und ich hab' extra..." Den Rest ihrer Worte verschluckte sie.

„Die Scones sind mir echt egal, Lu."

„Aber ich hatte ein Rezept und alles." Sie starrte in den Himmel und spielte mit dem Grashalm in ihrer Hand. „Tut mir echt leid."

„Wir essen nächstes Mal Scones." Das hatten wir eigentlich schon letztes Mal ausgemacht, fiel mir ein. Egal. Je öfter wir es sagten, desto öfter würde es ein nächstes Mal geben. Das war ein guter Weg, es zu betrachten.

Ich wandte den Blick von ihr ab und wollte eigentlich nur den Schwan beobachten, der in der Mitte des Sees schwamm. Früher hatte ich Angst vor Schwänen gehabt, jetzt faszinierten sie mich eher. Meine Augen sahen eine Weile nichts außer diesen einen Vogel. Eine Sekunde, zwei, drei. Zu vier kam ich nicht, weil sich jemand näherte. Ich drehte den Kopf und erstarrte, als Marc mich anlächelte. So breit, dass mir schaurig wurde.

Sein Meeting war wohl verschoben worden. Und wo sonst hätte er hingehen können als an den einzigen Ort, an dem ich mich wirklich frei fühlte?

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now