-25- zwei Brüder

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Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, hatten wir Nikolas Kamerad zu genüge versorgt.
Das Blut war an den meisten Stellen abgewaschen, außer dort wo es als ein normaler Schutz diente, die Verletzungen an Bauch und Hals wurden durch einen Verband geschützt und alle anderen, die weniger Besorgnis erregend erschienen, waren gereinigt und desinfiziert.
Seinen Pullover hatte Nikolas zusammen gefaltet und auf den Boden gelegt. Ich wollte ihn wegräumen, aber er verneinte, als ich ihn fragte, weshalb das Oberteil einfach liegen blieb.
Warum sein Kumpane noch immer nicht aufgewacht war, wussten wir nicht. Vielleicht hatte die Wunde an seinem Kopf doch mehr Schaden angerichtet, als es sich bis hierhin vermuten ließ.
Wir konnten es nicht sagen. Aber egal was es war, uns blieb vorerst nichts zu tun, außer abzuwarten. Nikolas kniete unverändert neben dem Krankenbett und betrachtete den Schlafenden.
Ich wusste nicht, ob es besser wäre, etwas zu sagen oder zu schweigen. Da kam mir die Idee, die Schale mit dem Lappen wegzuräumen, wie das derzeit beste Vorhaben vor.

Also nahm ich beides vom Tisch, ging nach hinten zu den Waschbecken und schüttete die nunmehr rot gefärbte Flüssigkeit in das Gestell aus Keramik. Als kleiner Strudel verschwand sie letztendlich. Danach mussten die Schale und der Lappen nur noch einmal gründlich mit sauberem Wasser ausgespült werden.
Den nassen Stoff hängte ich anschließend zum Trocknen über eine der hinteren Heizungen und die Schüssel trocknete ich mit einem Handtuch ordentlich ab, bevor sie wieder ihren ehemaligen Platz im Schrank einnahm.
Schließlich waren auch diese kleinen Aufgaben erledigt und es schien vorerst nichts zu geben, was man noch erledigen konnte.

Dann sah ich noch einmal nach Oskar. Dieser schlief noch immer und hatte sich zwischendurch auf die linke Seite gedreht. Ein paar seiner etwas längeren Haarsträhnen waren ihm ins Gesicht gefallen und bildeten nun einen dünnen Schleier.
Der Schlaf schien ihm bereits zu helfen, denn seine Atmung hatte sich normalisiert. In einem regelmäßigen Takt hob und senkte sich sein Brustkorb.
Und obwohl ich Wut oder so etwas wie Abscheu ihm gegenüber empfinden sollte, fühlte ich nichts als Erleichterung. Ich war froh zu wissen, dass es ihm bestimmt schnell wieder besser gehen würde.
Jedenfalls was den physischen Zustand betraf. Ich hatte den Blick gesehen, den Kay ihm beim Gehen zugeworfen hatte. Darin hatte pure Kälte gelegen.
Umso mehr sich die Erinnerungen daran vor mein inneres Auge drängten, desto mehr wuchs mein Mitleid für ihn. Wenigstens war er vorerst hier geschützt.

Mit dem Gedanken schielten meine Augen zur Uhr. Ihr Bild hatte sich mittlerweile gewandelt.
Der kleine Zeiger war dem Beispiel des Großen gefolgt und eine Runde gelaufen, um anschließend eine Zahl weiter erneut zu ruhen. Der große Zeiger hielt gerade auf der 16. Er würde wohl noch einige Male dort stehen bleiben, bevor die Krankenschwestern eintrafen.
Ich seufzte leise, bevor ich entschloss zurück zu Nikolas zu gehen.
Mein Weg endete vor der Bettkante seines Kameraden. Wie zuvor herrschte totenstille.

Nach kurzem Zögern überwand ich mich schließlich. „Sag mal.", begann ich vorsichtig. „Was hat Kay eigentlich zu dir gesagt, als du dich zuerst geweigert hast, mitzukommen?" Als die letzten Worte ausgesprochen und verklungen waren, spannte sich Nikolas deutlich sichtbar an.
Jeder hätte erkannt, dass ihm die Frage Unbehagen bereitete. Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Er kannte mich kaum und trotzdem sprach ich ihn einfach darauf an.
„Tut mir leid, das war unangemessen." Mir selbst wäre eine solche Frage wohl auch unangenehm gewesen. Peinlich berührt wendete ich den Blick ab, wobei sich meine Finger automatisch ineinander verschränkten.
Dennoch war Nikolas nachdenklicher Blick deutlich spürbar.
Dann atmete er einmal tief durch. „Kay hat mir gesagt, dass er nicht für den Schutz meines kleinen Bruders garantieren könne, wenn ich mich nicht fügen würde."
Überrascht sah ich erst ihn und dann den schlafenden Jungen an.
„Er ist dein Bruder? Das hätte ich niemals erkannt."
„Das tut keiner und das ist auch gut so. Ich halte es für besser, wenn so wenig wie möglich auf dieser Schule erfahren, dass wir verwand sind. Bis jetzt wusste auch kaum ein anderer davon. Nur unsere engsten Freunde, aber keiner von denen hat in irgendeiner Weise mit Kay zu tun."

Afraid of the AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt