Northfleet - Groß Britannien, 2002

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„Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe." Der Versuchsleiter, Mister Groban, räusperte sich. Er befand sich im Labor, sein Publikum bestand aus einer kleinen Gruppe Biochemikern und einer Naturwissenschaftlerin. Mehr durften es auch nicht sein, wenn sie keine Aufmerksamkeit erregen wollten. Offiziell untersuchten sie die menschliche DNA, inoffiziell waren sie bereits viel weiter gegangen. Wenn die Regierung davon erfuhr, würde das für jeden von ihnen verhängnisvoll enden. Jahrelange Haftstrafen, keine Chancen mehr auf ein weiteres Arbeitsleben in diesem Beruf, von Karriere ganz zu schweigen. „Vor wenigen Monaten ist es uns erstmals gelungen die DNA eines einzelnen Menschen zu vervielfältigen und als selbstständiges Lebewesen heranwachsen zu lassen." Er lüftete das weiße Tuch unter dem nun ein nach oben hin geöffneter Glaskasten sichtbar wurde. Darin lag ein auf einem Polster schlafendes Baby. Man hatte ihm eine kontrollierte Dosis Beruhigungsmittel verabreicht, damit es nicht stören konnte. Ein aufgeregtes Flüstern entbrannte im Publikum

„Ich bitte Sie, beruhigen sie sich. Das ist nur das Ergebnis unserer langjährigen Arbeit. Ich möchte die Geburt dieses Kindes in Kürze reflektieren." Er drückte auf den Knopf einer Fernbedienung, woraufhin Rollläden hinunter fuhren. Der Beamer projizierte das Bild eines Reagenzglases mit bläulich anmutender Flüssigkeit auf eine Leinwand. „Dort sehen Sie versuch 1A. Wir entnahmen vor genau neun Monaten und siebzehn Tagen Mrs Serena Olivian eine Eizelle, die wir künstlich befruchteten und in deren Entwicklungsprozess wir eingriffen." Er nickte Olivian zu, dem einzigen weiblichen Gesicht im Projekt seit Cynthia van Green nicht mehr unter ihnen weilte.

Serena Olivian hing mit einem Glitzern in den sturmblauen Augen an seinen Lippen. Sie lebte für dieses Projekt. Dort in dem Glaskasten lag ihre DNA. Ihre, nicht van Greens. Bei dieser Frau hatte die Möglichkeit einer Erbkrankheit bestanden, man hatte das Projekt nicht gefährden wollen. Nicht, dass van Green davon gesprochen hätte, aber man hatte es inoffiziell in Erfahrung bringen können. Letztenendes war van Green dann auch an dieser Krankheit, die sich tatsächlich in sich getragen hatte, gestorben und somit war sie selbst einzige Frau, die noch zur Verfügung gestanden hatte. Für was mussten die Menschen sich auf den Zufall verlassen, wenn sie das Schicksal selbst in die Hand nehmen konnten? Für was ein Sklave der Willkür der Natur sein, wenn selbst die Natur so leicht zu ersetzen war? Wenn nachteilhafte Gene in Zukunft einfach ausgeschalten werden könnten? Es ging hier nicht darum verrückte Wissenschaft zu betreiben, sich in Machthunger zu verlieren oder sich schöpferische Züge anzumaßen, wie es in vielen Science Fiction-Filmen und Comics oft der Fall ist, es geht um Fortschritt und Heilung, um einen Dienst für die Menschheit.

Der Versuchsleiter fuhr fort: „Neun Monate lang trug sie das Kind aus, wir analysierten die Ultraschallbilder aufs Genauste und ich darf Ihnen nicht ohne Stolz versichern, dass Versuch 1A, abgesehen von der Selbstentwicklung einer neuen, individuellen DNA, wie jeder andere menschliche Embryo heranwuchs und auf natürlich Weise geboren wurde. Wir erzeugten einen Tracer, einen Klon im Volksmund, unserer Kollegin hier." Er deutete mit seiner Hand auf die nun lächelnde Olivian, „Wir unterzogen den Tracer vielerlei ärztlicher Tests. Dieses Kind, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kerngesund und biologisch in jeder Hinsicht menschlich."

Die Wissenschaftler und Biologen applaudierten. „Ich übergebe das Wort an den Leiter unseres folgenden Projektes."

Ein schlanker Mann im Anzug nahm den Platz des Versuchsleiters ein. Seine markanten Gesichtszüge und die entschlossenen Augen sorgten dafür, dass er eine respekteinflößende Ausstrahlung besaß, seine zurückgekämmte graue Haarpracht ließ die Schätzung zu, dass es sich um einen Mann in den Fünfzigern handeln musste. Das Team war an der Auswahl des Projektleiters beteiligt gewesen, darum wussten sie bereits, um wen es sich hier handelte, doch vom nun folgenden Projekt an sich hatten sie noch nicht viel Ahnung. Seine sichere Stimme und die Körperhaltung ließen erkennen, dass er es gewohnt war vor Publikum zu sprechen. Vor weitaus größerem Publikum. „Guten Morgen, Herrschaften", begann er. „Mein Name ist James Goodman, ich bin der Leiter Ihres Projektes, das ich in Zusammenarbeit mit Mister Groban ausgearbeitet habe und Ihnen nun vorstellen werde. Ihre drei Klone werden auf dem Erdball verstreut werden. Versuch 1A wird nach Australien geschickt, wo er ohne Eltern oder Familie aufwachsen wird. In wenigen Monaten werden wir auch die Versuche 2A und B aussenden, sobald diese, ebenfalls von Mrs Doktor Olivian, geboren wurden. Dabei wird 2A in einer amerikanischen Familie der Unterschicht aufwachsen, während 2B bei wohlhabenden europäischen Eltern unterkommt. Für die Versuche 2A und B wurde, wie bereits erwähnt, ebenfalls Doktor Olivians DNA verwendet. Die Klone werden einige Jahre von Pädagogen, Psychologen, Verhaltensforschern und Medizinern beobachtet werden, die Mister Groban in Zusammenarbeit mit mir ermittelt hat, doch umfangreichere Informationen dürfen Sie aus Sicherheitsgründen erst nach Vollendung des Projektes erhalten. Da dieses erst mit dem Tod der einzelnen Versuchsobjekte endet, werden Sie in regelmäßigen Abständen aktuelle Zwischenberichte über die Klone erhalten. In welchen Zeitperioden wird in den künftigen Besprechungen verhandelt werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."

Identity ZeroWhere stories live. Discover now