Isabelle

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Ich habe mir Northfleet wesentlich kleiner vorgestellt, warum auch immer, vielleicht weil ich noch nie davon gehört habe. Der Ort stellt sich hingegen als Kleinstadt heraus. „Was für süße Häuser." Taylor ist ganz aufgeregt und klebt geradezu an der Fensterscheibe. Ich bin selbst auch immer davon ausgegangen dieser typisch britische Baustil wäre traditionell, also nur noch hier und da zu entdecken. Doch Northfleet belehrt mich vom Gegenteil. Die Gebäude hier sind kleiner als von zu Hause gewohnt und es wurde mit viel grauem Backstein gebaut. Ich sehe auch weitaus mehr Sprossenfester als ich sie aus Deutschland kenne. Ein Hupen durchbricht unsere in Schweigen gehüllte Musterung dieser Gegend. "Ja Mann, relax doch!", ruft Sven dem anderen Autofahrer zu, während er schwungvoll von der Hauptstraße abbiegt. Der Linksverkehr scheint ihm mehr Probleme zu bereiten als er zugeben will. "Wir sind übrigens da." Auf dem schmalen Parkplatz neben dem Stadtpark kommt unser roter Gefährte zum Stehen. Nervös nehme ich das Smartphone in die Hand, welches uns als Navigationsgerät dient. „Wir müssen nur noch die Straße runter und dann sind da." Taylor nickt nur wortlos, Sven schweigt. Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren machen wir uns auf den Weg. Hinter dem Staßpark eird die Straße abschüssig und ein Schild verkündet den Namen: „Snowden Hill". Laut Taylors Akte soll das unser Zielort sein. Meine Augen suchen die Hausnummern ab und als ich die zehn finde, muss ich stutzen. „Das kann nicht sein, was steht an dem Schild dort an der Tür? Institute of Human Nature?" Ich schüttle den Kopf. Die zehn ist die eine Hälfte einer Doppelhaushälfte, was für ein Institut höchst untypisch ist, doch das Metallschildchen neben dem Briefkasten lässt keinen Zweifel zu. Neben der anderen Hälfte hängt dasselbe Metallschild, dort ist allerdings kein Briefkasten. Die Doppelhaushälfte muss wohl vom Institut aufgekauft worden sein, mir erscheint das alles dennoch seltsam. Unprofessionell irgendwie. „Lass uns die Klingelschilder an den Nachbarhäusern absuchen", schlage ich vor.

Die anderen willigen auf diesen Vorschlag ein und wir beginnen die Suche, doch in keinem der umliegenden Häuser wohnt eine Serena Olivian. „Vielleicht ist das ihr Arbeitsplatz", denke ich laut. Taylor kräuselt zweifelnd die Nase. „Aber warum sollte der in meiner Akte stehen?"

„Oder das Institut ist dort später eingezogen und die Akte wurde nicht aktualisiert", versuchte sich auch Sven an einer Erklärung.
Unschlüssig betrachten wir das Gebäude und ich muss unwillkürlich seufzen. „Wir sollten hineingehen und nach ihr fragen."

„Ja, sollten wir wohl." Taylor mustert das Haus mit verschränkten Armen, dann lockert sie ihre Haltung und wir steigen die Stufe hinauf, die zu einer verspiegelten Glastür, führt. Es hätte mich nicht gewundert, ließe sich die Tür nicht öffnen, das ist aber nicht der Fall, weshalb wir einen Moment später im Eingangsbereich stehen. Kühle klimatisierte Luft empfängt uns, das leise Schnaufen eines Computerpeozessors, sowie der Geruch nach Teppichreiniger. Die Frau am Empfang schaut nicht einmal auf, sondert starrt unverwandt mit ihren kleinen Augen in den Bildschirm vor sich. Ich kann nicht einmal feststellen, ob sie unser Eintreten bemerkt hat. Sie trägt ihr stumpfbraunes Haar, das von grauen Strähnen durchzogen wird kurz und in ihre Gesichtszüge haben sich ganze Jahrzehnte eingegraben. Taylor und ich werfen einander einen kurzen, absichernden Blick zu ehe wir gemeinsam vortreten. „Entschuldigen Sie bitte", spricht Taylor die Frau an. Diese schaut auf. „Guten Mittag", sagt sie mit unangenehm hoher Stimme.
„Können Sie uns sagen, ob hier eine Mrs Serena Olivian arbeitet?"
Die Empfangsdame mustert uns rasch, sie sieht von der einen zur anderen, während sie uns wohl in Kürze einzuschätzen versucht. „Ja, einen Moment." Sie wendet sich wieder ihrem Computer zu, tippt etwas auf ihrer Tastatur. „Sie arbeitet hier. In der Forschungsabteilung F3. Dort gibt es noch einige Untergruppen, die allerdings intern geregelt und auf meinem PC nicht vermerkt sind. Wenn ihr sie also sucht, dann geht zur F3." Mit einer Kopfbewegung weist sie uns auf ein wegweisendes Schild zu ihrer linken hin, das neben einem Durchgang hängt.
Wir bedanken uns und die Frau versinkt abermals in ihrer Arbeit. Taylor und ich schauen uns um, die Australierin deutet mit dem Kopf auf den Ausgang und daraufhin verlassen wir das Gebäude.

„Was jetzt?", fragt sie. Wenn ich das nur wüsste.
„Ich weiß auch nicht", sage ich laut. „Wir könnten sie nach der Arbeit hier abfangen."
Taylor zuckt wenig begeistert mit den Schultern. „Wenn es sein muss. Ist wohl das Beste."
Noch während wir reden, weht aus irgendeiner Richtung Zigarettenrauch zu uns hinüber und ich schaue mich automatisch nach dem Ursprung um. Dieser liegt bei einem Mann, der sich aus einem Fenster im ersten Stock lehnt. Er beobachtet uns. „Seid ihr Praktikanten?", fragt er, während er zum Mundwinkel Rauch auspustet. Obwohl er nicht mehr in der Blütezeit seines Lebens steht, scheint seine Haut recht gut und gesund zu sein, trotz des Rauchens und auch seine Stimme hat einen melodischen Klang, weder rau noch kratzig.

„Nein." Ich muss den Kopf in den Nacken legen um hoch zu sehen.
„Ihr seht aus als würdet ihr jemanden suchen."
„Tatsächlich?", frage ich nur unbestimmt. Was will der von uns? Ist es derart ungewöhnlich, dass Menschen dieses Gebäude betreten oder liegt es an unserem Alter?
„Kann ich euch behilflich sein?" Er zieht nicht mehr an seiner Zigarette, stattdessen hängt diese nun qualmend zwischen seinen Fingern, vergessen in der aus dem Fenster hängenden Hand.
Wieder tauschen Taylor und ich einen Blick aus, dann ergreife ich abermals das Wort: „Nein, vielen Dank. Wir haben uns, glaube ich, nur in der Straße geirrt."
Der Mann nickt uns kurz wortlos zu. Ich habe das unangenehme Gefühl, dass er uns beobachtet bis wir um die nächste Biegung verschwinden.

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