TEIL 1 II PART 10

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Elaria 

Zugegeben, ich war nervös. Mit in den Manteltaschen vergrabenen Händen stand ich auf den Stufen vor dem Plaza und wartete auf Caleb. Ein Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass er bereits 25 Minuten zu spät dran war. Was wenn er nicht auftauchte? Das würde mich ein gutes Stück zurückwerfen... Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, und sandte seine spätherbstliche Wärme auf die trockenen Straßen. Heute musste alles nach Plan laufen, ich hatte unser Treffen bis ins kleinste Detail geplant und es duften mir keine Fehler unterlaufen. Die Erinyen zählten auf mich, das war ein Grund wieso ich bereits eine Viertelstunde zu früh am Treffpunkt erschienen war.

Als ich nach Ende meiner Vorlesung hektisch meine Sachen in die Tasche gestopft, und gleichzeitig versucht habe meinen Mantel anzuziehen, hatte mich Brittney stirnrunzelnd angesehen. „Mensch Mädel, du hättest auch während der Vorlesung aufs Klo gehen können. Das hätte dir einiges an Stress erspart." Zur Hälfte im Mantel steckend riskierte ich einen Seitenblick. „Ich muss nicht aufs Klo, Britt. Ich treffe mich mit ... einem Freund." Seite an Seite verließen wir den Hörsaal und meine Freundin räusperte sich. „Ein Freund, soso. Und was sagt deine ehemalige bessere Hälfte dazu?" Ich gab ihr einen feuchten Schmatzer auf die Wange und lief in Richtung der Aufzüge während Britt im Gang stehen blieb. „Glaub mir, für ihn ist das überhaupt kein Problem."

Bis vor Kurzem galten Chris und ich als das Vorzeigepärchen schlechthin und meine Eltern liebten ihn. Er war ein gerngesehener Gast, denn seine Eltern waren hohe Tiere auf dem Immobilienmarkt. Chris galt in den Augen meines Vaters als sichere Partie. Manchmal lies er sich sogar dazu herab, sich mit mir und Britt zu treffen. „Alles nur damit es echt wirkt.", beteuerte er, als ich ihn darauf angesprochen hatte. Insgeheim glaubte ich allerdings, es machte ihm Spaß mit uns abzuhängen und Brittneys Ausführungen über ihren derzeitigen Schwarm und ihren Lästereien zuzuhören. Am Anfang kam es mir befremdlich vor der Welt mit einem derart launischen und sarkastischen Menschen eine Beziehung vorzuspielen, doch mit der Zeit lernte ich die Tage, die ich mit Chris verbrachte zu schätzen und mit ihm umzugehen.

Wir hatten uns arrangiert. In der Öffentlichkeit gaben wir uns schwer verliebt, und im Untergrund konnten wir zueinander als Freunde stehen. Doch bevor ich meine jetzige Mission antrat inszenierten wir unsere Trennung, was meine Eltern mehr als bedauert hatten. Doch eine Beziehung hätte mein Verhältnis zu Caleb beeinträchtigt und die Mission gefährdet. Außerdem gaben mir die Erinyen grünes Licht ohne diese extra Kontrolle zu agieren, solange ich Chris regelmäßig Bericht erstattete. Bis heute war es mir unklar, was die vorgespielte Beziehung mit Chris für einen Mehrwert hatte, abgesehen davon, dass sich so unsere regelmäßigen Treffen rechtfertigen ließen. Wahrscheinlich konnten sie über diesen Weg ebenfalls prüfen, was ich bereit war zu tun, um ein Teil von ihnen zu sein.

Als ich erneut auf die Uhr schaute waren weitere zehn Minuten vergangen und ich trat unruhig von einen auf den anderen Fuß. Hektische Schritte ließen mich aufschauen. Calebs blonde Locken standen in alle Richtungen ab und dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Wie es scheint hat er die letzte Nacht nicht ganz so gut weggesteckt. Keuchend kam er vor mir zum Stehen. „Es tut mir so leid, dass du warten musstest!" Beschwichtigend hob ich die Hände und schenkte ihm das wärmste Lächeln, das ich auf Lager hatte. „Ach kein Problem. Ich war ebenfalls ein wenig zu spät dran." Glatte Lüge. Caleb legte eine Hand auf meinen unteren Rücken und führte mich ins Innere des Lokals. „Trotzdem. Die Rechnung geht natürlich auf mich." Natürlich tut sie das...

Wir saßen am selben Platz, an dem Chris und ich bei unserem ersten „Date" gesessen hatten. Diesmal standen jedoch vereinzelte Tische Draußen auf der Terrasse und einige Menschen genossen die letzten herbstlichen Sonnenstrahlen. Als ich die Karte studierte, deren Inhalt ich eigentlich auswendig kannte, ergriff Caleb das Wort. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir uns so schnell wiedersehen würden. Verstehe mich nicht falsch„ ,er nippte an seinem Wasser, welches er zusätzlich zum Wein geordert hatte, „ich freue mich sehr darüber." Ein gewinnendes Lächeln erhellte sein Gesicht und zum ersten Mal fiel mir sein ausgeprägter Lippenborgen auf. Warum denke ich an seine Lippen? Ich sollte mich mehr auf die Inhalte, und nicht die Verpackung konzentrieren! „Es freut mich auch, dass es geklappt hat. Ist dein Freund eigentlich gut nach Hause gekommen, nachdem wir gestern einfach so gegangen sind?" Caleb runzelte die Stirn. „Kain? Ach mach dir um ihn mal keine Sorgen. Er findet immer Heim, egal wie spät oder dicht er ist." Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen und ich faltete die Hände. Es wäre sicherlich interessant mit den beiden eine Runde Poker zu spielen und mich dabei über ihre Geschichten zu amüsieren. „Ich hoffe du hast auch einen inneren Kompass, sonst muss ich mir demnächst auch um dich Sorgen machen." Es war riskant, ihm jetzt schon Sorge beizumessen und so zu vermitteln, dass er mir bereits etwas bedeutete. Doch ich musste unsere Beziehung langsam auf eine neue Ebene lenken. „Ach um mich muss man keine Angst haben, ich bin zäh." Beinahe wirkte es als ob er verlegen wäre, denn Caleb sah hinunter auf den Tisch und nestelte an seinem Hemdärmel. Apropos Sorge: als er den Stoff unbewusst weiter nach oben Schob, konnte ich einen Blick auf seine Armbeuge erhaschen. Hellrot vernarbte Haut blitzte mir entgegen und in meinem Bauch begann sich ein flaues Gefühl zu regen. Natürlich konnte es sein, dass er sich in diversen Partynächten einen Stoß setzte, doch gestern hatte er nicht gewirkt, als ob er unter Drogen gestanden hatte. Und eine frisch aussehende Einstichstelle verriet mir, dass er sich vor Kurzem etwas gespritzt haben musste. Ist er deswegen zu spät gekommen? Diesmal musste ehrlich gemeinte Sorge in meinen Augen stehen, als ich das Wort ergriff. „Und geht es dir gut?" Meine Stimme klang rauer als beabsichtigt und ich räusperte mich. „Ich meine nach dieser kurzen Nacht..." Mein Kopf sagte mir, ich solle ihn nicht darauf ansprechen und alles so unkompliziert wie möglich halten. Wenn ich allerdings nach meinem Bauchgefühl handelte, und alles in mir schrie ich solle es tun, dann würde ich riskieren, dass er sich von mir distanzierte.

Sapphire LiesTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon