Ob ich ihm folgen und ihm beistehen sollte?

Unentschlossen werfe ich einen Blick über meine Schulter. Von Aljan ist keine Spur mehr zu sehen. Ich mache ein paar unentschlossene Schritte, bis ich wieder vor der Tür zu Aljans Refugium stehe. Die Wiese war schön, aber alleine wage ich keinen Schritt hinein. Ich schaue auf den Gang zu meinen Füßen. Schwarze Platten mit rätselhaften Symbolen. Verstörende Bilder und tanzendes Licht. Unzählige Türen, hinter denen noch unbeschreiblichere Orte liegen. Plagiate des Jenseits. Erdacht von Menschen, geglaubt von ganzen Völkern und Religionen im Verlauf vieler Jahrhunderte. Nachgebaut von Tenebris und seinen Söhnen. Ein seltsamer Ort. Und ausgerechnet mich hat das Schicksal hierhin verschlagen.

Selbst wenn ich zu Aljan wollte, ich wüsste gar nicht, wo ich ihn suchen sollte. Ob sein Vater noch immer in der Bibliothek ist?

Eines ist sicher, ich werde ohne Begleitung keine dieser Welten betreten. Die Fratzen auf der Tür zu meiner Rechten starren mich derart bedrohlich an, dass ich zusammenzucke. Wer weiß, welche Schrecken mich dahinter erwarten?

Ich finde den schmalen Durchlass ohne Probleme. Wie von alleine haben mich meine Schritte hierher geführt. Die samtenen Vorhänge zu beiden Seiten wiegen sich im Windstoß des wirbelnden Lichtes. Wenn überhaupt tanzen die Farben noch wilder durcheinander. Rot umschlingt schwarz. Kaum scheint rot zu gewinnen, vollführt schwarz eine Drehung und erhält die Oberhand. Tenebris scheint sich noch nicht beruhigt zu haben. Eher im Gegenteil, aber vielleicht kann ich schlichten oder die Hoffnung in ihm wecken. Irgendwie.

Ich lenke meine Schritte durch den Durchgang. Immerhin weiß ich, was mich dahinter erwartet und tatsächlich erhebt sich der weite Saal vor mir. Die Kuppel türmt sich über meinem Kopf auf, während sich vor mir Lesepulte, Tische, Lesesessel und Reihen von Regalen erstrecken. Abertausende Reihen. Mein Blick schweift über die Polstersessel und Lehnstühle, aber in keinem von ihnen erkenne ich den Fürsten der Finsternis oder seinen Sohn. Mir bleibt nichts übrig, als in Sichtweite des Ausgangs zu bleiben, um mich nicht zu verirren. Es ist mir ein Rätsel, wie Aljan sich vorhin orientiert hat. Hier sind sie also nicht. Mein Gemüt schwankt zwischen Enttäuschung ob dieser Feststellung und Erleichterung. Immerhin könnte es auch keine gute Idee sein, zu intervenieren und ich sollte ihnen ihre Privatsphäre lassen. Gerade als ich umkehren und zurück zu meinem Zimmer gehen will, höre ich Tenebris.

"Nicht einmal das bekommst du hin, du Nichtsnutz!" Er schreit die letzten Worte förmlich. Es ist kaum zu überhören, wie aufgebracht er ist. Ich zucke unwillkürlich zusammen.

Aljans Erwiderung kann ich nicht verstehen.

"Es war ein ganz einfacher Auftrag!", brüllt Tenebris. "Was daran hast du nicht verstanden? Bring mir die Übersetzung. Und was machst du? Lässt einen Teil davon liegen. Unfähiger, nichtsnutziger Bengel. Bei all der Mühe, die ich in dich gesteckt habe. Wozu soll ich dich überhaupt brauchen?"

Diese Mal scheint überhaupt keine Antwort von Aljan zu erfolgen. Ich atme leise aus, stelle fest, dass ich die Luft angehalten habe.

"Und das Mädchen? Schaffst du es wenigstens, dich um unseren Gast zu kümmern und ihr bei ihrer Aufgabe zu helfen?" Die Stimme des Höllenfürsts klingt ein wenig ruhiger, nur noch Resignation schwingt darin mit, als wäre aller Ärger verraucht.

Die nächsten Worte verstehe ich deutlich. "Ich tue mein Bestes, Vater. Wie immer und das weißt du. Sie ist auf ihrem Zimmer. Nach all den neuen Eindrücken, braucht sie mit Sicherheit ein wenig Ruhe. Gibt ihr Zeit. Hab Geduld."

Wieder braust Tenebris auf. "Zeit? Geduld? Ich fürchte, das ist genau das, was wir nicht haben! Sieh zu, dass sie ihre Aufgabe erfüllt."

"Ja, Vater." Erschrocken halte ich inne. Sie kommen näher. Dann reiße ich mich aus meiner Starre und haste auf den Durchgang in Richtung Flur. Gerade noch rechtzeitig trete ich auf den Gang und schlage unverzüglich den Weg zu meinem Zimmer ein. Weit bin ich noch nicht gekommen, als mich etwas innehalten lässt.

"Siehst du Aljan, du irrst dich schon wieder", bemerkt Tenebris. "Sie ist nicht in ihrem Zimmer." Ich erstarre. Hat er mich gesehen? Langsam drehe ich mich um und stoße einen leisen Schrei aus. Keine fünf Schritte hinter mir steht der weißhaarige Mann, ein Ebenbild von Verfall und Alter und daneben sein Sohn, Sinnbild des blühenden Lebens und der Schönheit.

"Woher seid ihr so schnell gekommen?"

Tenebris lacht leise. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich das Licht verändert hat. Es wirkt ruhiger. Nur noch vereinzelt durchziehen rote Fäden, das orangfarbene Licht.

"Direkt aus der Hölle, mein Schätzchen. Aljan, bring unseren Gast zurück auf ihr Zimmer. Sicher ist sie müde und möchte sich ausruhen."

Ohne meine Antwort abzuwarten, wendet er sich ab und humpelt in die entgegengesetzten Richtung davon.

"Komm mit", sagt Aljan und klingt dabei alles andere als erfreut.

"Du musst mich nicht bringen", werfe ich ein. "Ich finde den Weg schon alleine und dieses Mal bleibe ich wirklich in meinem Zimmer, versprochen. Ich bin wirklich erschöpft", gestehe ich, aber Aljan lässt sich nicht erweichen, sondern begleitet mich schweigend, bis wir die Tür zu meinem Zimmer erreicht haben und sich diese hinter mir verschließt.

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now