9) Moderne Medien

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Vieles geht mir durch den Kopf, während wir essen. Es ist wie Aljan gesagt hat, ein Automatismus. Aus Gewohnheit ausgeführte Bewegungen, Messer und Gabel koordinieren, einen Bissen zum Mund führen, schmecken, kauen, schlucken und es beruhigt mich. Nach der Suppe folgt ein Salatteller. Für einen Moment betrachte ich das Gemisch aus gehäckselten Karotten, geschnittenen Tomatenstückchen und Kräutern auf meinem Teller und frage mich, woher es kommt. Fast liegt mir die Frage nach dem Koch auf der Zunge, aber ich schlucke sie hinunter. Vermutlich möchte ich die Antwort gar nicht hören. Es ist ein wenig wie mit dem Tischlein Deck Dich, das worauf ich Lust verspüre, erscheint wie durch Zauberhand vor mir, ohne dass ich mich mehr als nötig darüber wundern würde.

Je mehr man sieht und erlebt, desto mehr stumpft man ab.

Mir kommt etwas anderes in den Sinn. "Nur Bücher und Gemälde?"

Aljan schaut von seinem Teller auf. "Wie meinst du das?"

"Was ist mit Filmen? Computerspielen? Mangas? Oder seid ihr nicht so modern?", präzisiere ich meine Frage und schiebe mir einen weiteren Happen in den Mund. Wer auch immer gekocht hat, es schmeckt köstlich.

"Achso, darauf willst du hinaus. Doch, doch, aber erst seit Kurzem. Das ist mein Gebiet. Soll ich dir zeigen,was ich umgesetzt habe?"

"Sehr gerne. Ein kleiner Verdauungsspaziergang nach dem Essen würde nicht schaden und moderne Medien sind eher mein Ding als diese ganzen alten Schinken."

"Naja, so viel hat sich in den letzten Jahrhunderten gar nicht geändert." Aljan klingt amüsiert. "Lediglich die Grafik hat sich ein wenig verändert. Noch immer ist in den Vorstellungen von der Unterwelt alles überwiegend dunkel und düster. Bedrohlich und gewaltig."

"Drückt es nicht auf die Stimmung, wenn man hier leben muss?" Ich beobachte seine Reaktion. "Ich will dir nicht zu nahe treten, aber schau dich um, und du weißt, was ich meine."

Er folgt meinen Worten und schaut sich in dem Esszimmer um. "Ich weiß nicht, was du hast. Hier ist es doch gar nicht so schlecht. Vielleicht nicht besonders modern, aber alles hell und freundlich."

Ich lache. "Ich meine nicht hier, sondern da draußen." Meine Hand vollführt eine Geste Richtung Tür.

"Eigentlich macht es mir nichts aus, hier zu leben. Ich hatte viel Zeit, mich daran zu gewöhnen. Außerdem habe ich meinen persönlichen Bereich nach meinen eigenen Vorlieben gestaltet und es steht mir frei, wann immer es mir beliebt, auf der Erde zu wandeln. Meistens treibt mich nicht die Tristesse nach oben, sondern die Launen meines Vaters." Er seufzt, ehe er ein paar Salatblätter auf seine Gabel spießt.

"Kann ich verstehen", gebe ich zu. "So wie dein alter Herr mit dir umspringt. Zeigst du mir das auch?"

Er kann meinem abrupten Themenwechsel nicht folgen, aber ich will das Gespräch nicht schon wieder auf seinen Vater lenken.

"Was meinst du?", fragt er, nachdem er den Mund wieder frei hat.

"Na, deinen persönlichen Bereich?"

Mir fällt auf, wie er kaum merklich den Kopf schüttelt und seine Haltung sich verändern. "Nein, tut mir leid, aber das geht nicht. Ich zeige dir dafür, wie ich die Welt der Shinigami aus meinen Lieblingsmangas umgesetzt habe."

"Du magst Mangas?" Vor lauter Überraschung vergesse ich meinen Mund zu schließen. Aljan lacht. "Ich habe eine beeindruckende Sammlung, aber die darf ich natürlich nicht in der Bibliothek meines Vaters aufbewahren, obwohl manche von denen ziemlich düster sind." Sein Tonfall erhält einen bitteren Beigeschmack. "Ich kann dir was ausleihen, wenn du möchtest?"

"Welcher ist denn dein Lieblingsmanga?"

Das Essen und das Gespräch mit ihm verlaufen überraschend angenehm. Falls dies ein Date wäre, würde ich es unter gelungen abspeichern und vielleicht sogar erwägen, ihm eine Chance zu geben. Blödsinn, wenn ein derart gutaussehender Kerl mich zum Essen ausführen würde und Interesse an mir hätte, würde ich ja und Amen sagen. Wem mache ich eigentlich etwas vor? Ich muss über mein lebhaftes Unterbewusstsein schmunzeln, welches mir das Date meiner Träume mitten in einem Traum beschert.

"Ich habe keinen eindeutigen Favorit." Er legt einen langen Finger an seine Lippen. "Aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann zwischen Death Note und Darker than Black."

Ich schaue ihn überrascht an. "Das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut. Wenn dein Angebot noch steht, könntest du mir Death Note ausleihen. Ich bin riesiger Fan von Light Yagami." Sowie von Männern, die aussehen wie sein dunkelhaariger, blauäugiger Zwillingsbruder.

"Ich glaube, es ist ein Weg, meinen Vater zu verärgern. Es macht ihn wahnsinnig zu sehen, welche Auswüchse die 'Kunst' auf Erden im 20. Jahrhundert angenommen hat."

"Aber er will auch nicht auf die Höllen-Darstellungen dieser Medien verzichten?"

"Du hast es erfasst." Er schnippst mit den Fingern und die leeren Teller lösen sich in Luft auf. "Lass uns den Hauptgang zu uns nehmen. Ich würde dir gerne mein Hel's Gate zeigen."

Vor uns erscheinen zwei gefüllte, noch dampfende Teller. Putenschnitzel mit Champignon-Rahmsauce und Spätzle, die aussehen wie die Selbstgemachten von meiner Oma. Ich lecke mir über die Lippen. "Wie hast du das gemacht?"

"Die Macht zu Erschaffen. Göttern gegeben." Er zuckt mit den Schultern, als wäre das Erklärung genug. "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Genesis 1."

Ich schaue ihn fragend über meinen Teller an, der einen köstlichen Duft verströmt. "Und wie hast du das jetzt gemacht?"

"Na einfach so eben, mit einem Fingerzeig. Ich denke da gar nicht mehr groß darüber nach. So ist hier alles entstanden. Die Welt, wie du sie kennst, die Unterwelt, wie du sie gerade eben kennenlernst." Er zeigt einmal nach oben und einmal um sich herum.

"Verrückt!", flüstere ich ungläubig. "Wie unfassbar praktisch. Du denkst an etwas und zack, liegt es vor dir." Welche Möglichkeiten sich mir mit dieser Fähigkeit auftäten. "Wieso repariert ihr den Schaden nicht einfach auf diese Art und Weise?"

Ein Schatten legt sich über sein Gesicht. "Glaubst du, wir hätten das nicht versucht? Es geht nicht. Da lässt sich nichts machen. Im Gegenteil, wenn wir eingreifen, reißt es noch schlimmer ein."

"Und ihr habt keine Ahnung, woran das liegt?"

Er schüttelt den Kopf. "Nur vage Vermutungen. Vermutlich sitzt Vater gerade über seinen Büchern und brütet über alte Prophezeiungen, auf der Suche nach einem Hinweis." Seine Gabel knallt unsanft auf den Teller und lässt einige spritzer Soße auf den Tisch regnen.

"Wie auch immer", lenke ich ein. "Lass uns essen. Es wäre viel zu schade um diese Köstlichlichkeit." Während der restlichen Mahlzeit brüte ich über seine Worte nach. Kauen lenkt vom Reden ab und die Stille ist keineswegs unangenehm. Ab und zu bemerke ich, wie Aljan verstohlen zu mir herüberblickt, auch wenn er denkt, ich sehe es nicht. Sie hegen große Hoffnung in mich. Ich schlucke den letzten Bissen hinunter.

"Was ist eigentlich, wenn ich es nicht schaffe?"

Aljans blaue Augen fixieren mein Gesicht. Er atmet lange aus, bevor er antwortet. "Das weiß keiner. Du schaffst es einfach, in Ordnung?"

Brennende Feuer - Dunkle SchattenWhere stories live. Discover now