13. Kapitel - Farblos

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„Hey." Eine Stimme mischte sich unter die verschwommenen Bilder, die in meinem Kopf herumirrten und ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ali."

Mit klopfendem Herzen fuhr ich hoch und stemmte die Ellenbogen in den Boden. Malek lag nicht mehr auf meinem Schoß und auch Aadil hielt ich nicht mehr in den Armen. Verwirrt zuckte mein Blick zur Seite und ich erkannte Ryan. Er hockte neben mir und lächelte sanft. Mein Blick wanderte zu Aadil, der mit großen Augen in seinen Armen lag, während ich mich wieder daran erinnerte, wo wir waren. „Shit", fluchte ich und setzte mich auf. Wo war Malek?

„Langsam, Aleyna." Bei Ryans Worte schoss mein aufgelöster Blick zurück zu ihm. „Wo ist", fing ich an, aber entdeckte Malek jedoch im selben Augenblick. Er stand etwas abseits bei den Pferden und hatte eine Hand nach ihnen ausgestreckt. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als sich die Ohren des braunen Pferdes neugierig auf ihn richteten und es den Kopf vorsichtig in seine Richtung neigte. Während mein großer Bruder an dem Holzpfahl lehnte und versuchte nicht umzukippen, berührte mich sein sorgenloses Lächeln so sehr, dass es beinahe wehtat.

„Wir müssen los. Es ist fast halb fünf", wisperte Ryan und zog meine Aufmerksamkeit erneut auf ihn. Normalerweise standen Bauern erst um fünf auf, also hatten wir noch genug Zeit, um hier unentdeckt rauszukommen.

„Meinst du, wir kommen heute noch an?", fragte ich, während er mir hochhalf und ich Aadil entgegennahm.

„Dafür sollten wir uns erstmal auf den Weg machen", erwiderte er und meine Mundwinkel zuckten. Ich nickte, ehe Ryan sich abwandte und zu der Frau mit dem Kind schlich. Zögernd musterte ich die restlichen Menschen, die alle bereits wach waren. Es war immer noch dunkel draußen, sodass ich ihre Gesichter nicht richtig erkennen konnte. Das wachsame Flackern in ihren müden Augen und das leichte Zittern ihrer Hände verriet mir jedoch, dass auch sie nicht länger hier sein wollten.

Sie haben Angst.

Als Malek in meine Richtung humpelte, lief ich ihm eilig entgegen und stützte ihn von der Seite. „Morgen", nuschelte ich währenddessen und er stieß laut die Luft aus. „Lustig, dass du nicht guten Morgen sagst. Wär irgendwie komisch gewesen", presste er so leise hervor, dass ich ihn beinahe nicht verstand. Ich musste lächeln.

„Ich gehe vor." Tareks Stimme war zwar gesenkt, jedoch so laut, dass jeder ihn verstehen konnte. Manche nickten, andere starrten ihn nur regungslos an. „Sei vorsichtig", hörte ich Ryan noch sagen, ehe Tarek langsam die Tür öffnete und mit einer schnellen Bewegung nach draußen verschwand. Die anderen folgten ihm nacheinander. Ich presste Aadil enger an meine Brust und strich ihm durch die schwarzen, weichen Strähnen, um die Panik in mir ruhiger zu stimmen. Malek, Ryan und ich bildeten das Schlusslicht. Vorsichtig schloss Ryan die Tür hinter uns, während die Kieselsteine unter unseren Schuhen kreischten, als würden sie nur darauf hoffen, dass wir erwischt werden würden. Aber wir lebten noch, als wir an der kleinen Abzweigung zum Feldweg ankamen. Ryan und Tarek stützten Malek, während die Frau und ihr Kind schweigend, gemeinsam mit dem älteren Mann, voranliefen. Der Junge, der anscheinend zu keinem der beiden gehörte, ging neben mir.

„Wie geht's dir?", wandte sich Tarek nach einer Weile an mich und ich löste den Blick von den weiten Weizenfeldern, die unter dem Streichen des Windes leise kicherten. Seltsamerweise kannte ich die Antwort auf seine Frage nicht. Ich wusste nicht, wie es mir ging. Da waren Ängste und Sorgen, aber selbst die konnten die Leere nicht füllen, die meine Wahrnehmungen an manchen Tagen seltsam farblos erscheinen ließ. „Keine Ahnung", antwortete ich also und blickte wieder in die Ferne.

„Mir auch." Ein Lächeln legte sich bei seinen Worten auf meine Lippen und er erwiderte es, während Malek ein tiefes Brummen von sich gab. „Halt die Klappe und such dir ein anderes Hobby", knurrte Malek und ich hob überrascht die Augenbrauen. „Er hat doch nur", erklärte ich, verstummte jedoch, als ich Ryans Blick begegnete. Seine tief braunen Augen bohrten sich aufmerksam in meine, während er über etwas nachzudenken schien. „Was?" Maleks Stimme erinnerte mich daran, dass ich meinen Satz nicht beendet hatte, also unterbrach ich Ryans Blickkontakt und sah stattdessen zu Malek. „Nichts", murmelte ich und wir gingen weiter.

Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessenWhere stories live. Discover now