Klärung

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Der Satz schwebte zwischen uns in der Luft und Leifs Gesichtszüge waren eingefroren. Er hielt immer noch meine Hand, doch plötzlich kam es mir so unglaublich falsch vor.
„Was genau meinst du?", fragte er endlich und in seiner Stimme schwang unterdrückter Schmerz mit.
„Du hast dieses Feuer, Leif. Jedes Mal, wenn du mich ansiehst, dann brennt in dir so viel Leidenschaft", erklärte ich langsam und zog dabei meine Hand von seiner weg. In seinen Augen sah ich genau, was ich beschrieb.
„Aber ich spüre das nicht", meinte ich nach einer halben Ewigkeit. Das Feuer wurde blasser in Leifs Augen. „Ich habe das noch nie gefühlt. Weder bei dir noch bei irgendwem anderen. Und eigentlich wärst du genau die Person, für die ich das alles fühlen sollte. Ich mag dich. Verdammt gerne sogar. Und irgendwie liebe ich dich auch, aber... aber ich habe nicht diese rosa-rote Brille, die man angeblich hat. Ich habe nicht dieses Feuer. Und das liegt nicht, an dir Leif, ich glaube, ich habe das einfach nicht." Meine Stimme zitterte, doch ich sprach weiter: „Ich glaube nicht, dass ich dir ‚Liebe' bieten kann, Leif. Aber ich glaube, das ist das Beste, was ich dir bieten kann."
Für einen Moment blickte ich ihn wieder an, doch ich konnte ihn nicht deuten. Irgendwas zwang mich dazu weiterzusprechen: „Ich habe Angst, dass dieses bisschen Gefühl nicht reicht. Dass es zu schnell erlischt. Dass du mich nicht willst, weil ich diese ganze Liebe einfach nicht kann – nicht empfinde."
Am ganzen Leib inzwischen zitternd holte ich Luft und gab Leif eine Chance mich zu stoppen. Tränen rollten mir inzwischen über das Gesicht. Leif schwieg; zu viel musste in seinem Kopf vor sich gehen und er war intelligent genug, nicht einfach so loszureden – nicht so wie ich. Mir wurde die Stille zu schnell zu laut und ich begann wieder: „Weißt du, kurz bevor wir an Neujahr heimgefahren sind, meinte Gawain zu mir, ich sei zu gut für dich. Aber eigentlich ist es umgedreht. Du verdienst definitiv mehr als ...das... Dieses unvollständige Wrack..."
„Nein, Sumi. Jetzt fang nicht damit an." Endlich sprach Leif. Er atmete einmal tief ein und mit gefasster Stimme begann er zu reden: „Du weißt, wie ich von dir denke, Sumi. Du bist einer der wunderbarsten und interessantesten Menschen, die ich kenne. Es ist schrecklich, dass du meine Gefühle nicht teilen kannst, aber dass du es möchtest... Das ist mir genug." Er holte noch einmal tief Luft: „Solange du mit mir Zeit verbringen möchtest, bin ich zufrieden." Er lächelte mich auffordernd an und unter den Tränen musste ich selbst auch lächeln. Leif war die beste Person. Es war vielleicht keine Liebe, die ich für ihn empfand, aber es war die tiefste Zuneigung, die ich gegenüber einer Person je empfunden hatte.
„Sumi. Ich werde dich erstmal nicht gehen lassen – nicht wenn du das nicht selbst willst. Du musst keine Angst haben, du seist nicht genug, weil was wir doch haben ist gut, oder? Deine Angst lügt dich doch nur an und ich sage dir gerne, dass sie unrecht hat – egal wie oft du es zu hören brauchst."
Meine Tränen strömten mir inzwischen stetig über die Wangen, doch gleichzeitig war ich so glücklich über seine Worte – über ihn – dass es mir das Herz zerriss. Und weil ich eh schon dabei war und inzwischen einige Emotionen aufgestaut hatte, brachen bei mir nun alle Dämme. Leif zog mich wortlos in seine Arme und hielt mich solange es nötig war.

Sobald ich mich halbwegs beruhigt hatte, löste ich mich aus Leifs Umarmung. Er schaute mich lange an, doch sein Blick war unergründlich. Nach ein paar Momenten wandte ich mich ab, um endlich den Verbandskasten wegzuräumen und er ließ mich. Er schaute mir weiter nach, während ich im Bad verschwand. Während ich den Verbandskasten wegräumte, fiel mein Blick in Spiegel und unter meinen verheulten Augen, waren tiefe Ringe. Wie auf Kommando gähnte ich – meine Nacht war eben doch zu kurz und auf dem Boden extrem unbequem gewesen.
Bevor ich das Bad verließ, wusch ich mir kurz das Gesicht.
Leif hatte seinen Kopf inzwischen in den Kühlschrank gesteckt, auf der Suche nach etwas Essbarem, doch schaute auf, als ich das Bad verließ.
„Ich sollte mich nochmal hinlegen, glaub ich", informierte ich ihn und unterstrich meine Behauptung mit einem Gähnen.
„Schlaf gut", antwortete er mit einem warmen Lächeln und drehte sich wieder zum Kühlschrank um.
Ich warf meine Kleidung ab, die ich noch vom Vortrag trug und dementsprechend auch mit Leifs eingetrocknetem Blut verdreckt war, und wechselte in meine Schlafkleidung. Es war angenehm, mich wieder auf einer weichen Matratze unter meiner Decke einzukuscheln und es war mir ein echtes Rätsel, wie ich auf dem Boden einschlafen konnte. Trotzdem, als ich die Augen schloss hatte ich ein Lächeln auf dem Gesicht. Ich hatte Leif und die Sicherheit, dass er zu mir hielt, komme was wolle.

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