Was gesagt werden muss

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Die nächsten Wochen entwickelte ich eine seltsame Verbindung zwischen Leif und mir. Da es mir unangenehm war, wenn jemand zu viel darüber wusste, wie mein emotionaler Zustand war, zog ich mich sehr von Leif zurück. Ich reduzierte unseren Körperkontakt auf ein Minimum und verschloss mich vor vielen tiefergehenden Gesprächen. Leif tat sein Bestes dran, dies zu respektieren, doch gleichzeitig versuchte er meine Barriere langsam wieder aufzuweichen, weshalb mir seine Anwesenheit doch teils unangenehm wurde.

Gleichzeitig wurden unsere abendlichen, bzw. nächtlichen Serien- und Filmsessions häufiger und wenn man uns dabei gesehen hätte, hätte man genauso gut denken können, wir wären ein Paar, so kuschelten wir uns aneinander. Regelmäßig schlief ich dabei ein, vor allem bei Action-Filmen. Leif fasste mir dann, wenn mich der Plot davon überhaupt interessierte, am nächsten Tag die Handlung zusammen. Das waren teils die einzigen Gesprächsthemen, dich ich von mir aus startete.

In den Semesterferien, die nicht allzulange nach der letzten Klausuren begannen, fuhr ich zu meiner Mutter und ließ Leif für zwei Wochen alleine. Es war eine willkommene Flucht und meine Mutter gab mir einen Anker, der mein vampirerfülltes Leben wieder etwas realer erscheinen ließ. Gleichzeitig bemerkte ich dort gegen Ende der Woche aber auch, wie dieser Aspekt fehlte. Natürlich fragte sie mich darüber aus, was für eine Beziehung ich inzwischen mit meinem Mitbewohner hatte, ob er sich inzwischen mir gegenüber etwas geöffnet hatte oder wir noch so distanziert wie vor einem viertel Jahr waren.
Ich erzählte ihr die Grundzüge von dem, wie sich unsere Beziehung entwickelt hatte und selbst wenn sie noch sehr viel mehr Details von mir verlangte, konnte ich ihr diese nicht geben, ohne Leifs Geheimnis zu erzählen - mal davon abgesehen, dass meine Mutter mir das sowieso nicht geglaubt hätte.
Als ich jedoch an jenem Abend im Bett lag und den warmen Körper beim Napflixen vermisste, dachte ich lange darüber nach, was ich eigentlich von ihm im Endeffekt wollte.
Es kam mir selbst bis zu einem bestimmten Grad bescheuert vor, doch wenn ich ehrlich war, dann wollte ich nicht mehr, als wir bereits jetzt hatten. Ich wollte die Aufmerksamkeit, die er mir gab und mochte die vielen kleine Dinge, die er bemerkte und beachtete. Ich mochte, wie wir uns langsam immer mehr Insider aufbauten und uns gegenseitig doch ständig aufzogen. Ich mochte den doch irgendwo zärtlichen Kontakt wenn wir abends Serien schauten und wenn ich behaupten würde, mir läge nichts an ihm, würde ich lügen müssen.
Aber weiter? Ich glaubte nicht, dass ich das wollte. Ich wollte ihn nicht ausziehen und wollte nichts körperliches von ihm, was auch einer der Gründe war, warum es mir unangenehm war, wenn er wirklich sagte, dass er mich mochte. Mir kam es vor, als würde er mehr wollen und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, kam es mir so vor, als würden wir mit unserem aktuellen Beziehungsstand keine Beziehung im romantischen Sinn haben können.
Meine Gedanken begannen zu kreisen und drehten sich immer wieder um diese Punkte, wobei sich mit jedem Kreis ein Gefühl von "Ach, ich weiß einfach nicht", verstärkte, bis ich mich dazu zwingen musste, nicht daran zu denken um überhaupt schlafen zu können.
Nicht viele Tage mussten vergehen, bis ich wieder so genervt von den Geschichten meiner Mutter war, die mich nicht betrafen und mich nicht interessierten - und sie wusste, dass das der Fall war - dass ich froh darüber war, nach zwei Wochen wieder in die WG zurückzukehren.
Dort konnte ich mich aber nicht länger davor drücken, den unausgesprochenen Fakten zwischen Leif und mir ins Gesicht zu sehen, weil ich keine drei Seminararbeiten schreiben musste und mich auf keine fünf Klausuren vorbereiten musste. Ich selbst fand die Woche bevor ich zu meiner Mutter gegangen war, schon seltsam genug und ich wusste deshalb: ich kann so nicht mehr weiter machen.

Vielleicht eine halbe Stunde war ich von meiner Mutter zurück und hatte gerade die kleine Tasche ausgepackt, die ich dabei gehabt hatte, als ich mit klopfendem Herzen an Leifs geschlossener Zimmertür klopfte. Er hatte Hallo gesagt, als ich ankam, doch die komplette Konversation war trivial und sehr kurz gewesen.
Auf ein "Ja", trat ich ein.
"Hast du eine Sekunde?"
"Klar, komm rein."
Ich trat ein, ließ aber die Tür und meinen Fluchtweg offen.
"Ich glaube wir haben beide ein paar Sachen, die wir miteinander klären müssen", begann ich und er nickte, während ich meinen Blick nicht auf ihm ruhen lassen konnte, sondern stattdessen an ihm vorbei auf die Aloe Vera am Fensterbrett starrte.
Da ich nicht wusste, wie ich genau sagen sollte, was ich sagen wollte, nahm mir Leif das Wort ab: "Willst du, dass ich ausziehe?"
"Was? Nein", es schien als sei ein riesen Gewicht von ihm gefallen war.
"Ich mag dich, Leif, aber-", ich suchte wieder nach der richtigen Formulierung: "Mehr als was wir aktuell haben, wäre zu viel für mich."
"Was genau meinst du?", Leif versuchte meinen Blick aufzufangen, doch ich wich dem weiter aus.
"Ich mag unseren gemeinsamen Abende, ich mag es, wenn du mir eine Stütze gibst und ich glaube ich habe auch eigentlich kein Problem damit, wenn wir eine richtige", ich machte Gänsefüßchen in der Luft, "Beziehung hätten, aber alles was ich bereit wäre, dir körperlich zu geben, ist und bleibt mein Blut."
Sichtlich überrollt blickte mich Leif an und fand keine Antwort.
"Ich weiß, du magst mich mehr als nur so ein bisschen, das hast du klar genug ausgedrückt, aber es tut mir leid, wenn ich dir nicht das geben kann, beziehungsweise möchte, was du wahrscheinlich erwartest. Und das liegt nicht an dir, das ist was Allgemeineres."
Ein paar Sekunden wartete ich auf eine Antwort, wie auch immer die ausfallen mochte, doch Leif kriegte den Mund nicht auf.
"Sorry, es ist wahrscheinlich dumm", murmelte ich und drehte mich um zum Gehen, die Türklinke in der Hand. Ich blickte nicht hinüber und wollte die Tür hinter mir schließen, da wurde sie aufgehalten. Leif hatte sich aufgerappelt und war zu mir herübergesprugen, damit er mir eine Hand auf den Arm legen konnte.
"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, es ist okay."
Endlich hob ich meinen Blick und sah wieder das Feuer in seinen Augen, selbst wenn es nur leicht schien. "Ich würde dich nie zu etwas zwingen wollen, auch dazu nicht. Es ist okay, wenn du nicht weiter gehen willst. Es ist okay."
Einem Impuls folgend ließ ich mich gegen Leifs Brust fallen und zog ihn an mich heran. Für einen kurzen Moment irritiert, stockte er kurz, legte dann aber auch seine Arme um mich und fuhr sanft über meinen Rücken: "Es ist okay."
"Ich möchte nicht, dass irgendetwas Seltsames zwischen uns steht", meinte ich und ich konnte fühlen, dass er nickte.
Nach einigen Momenten drückte ich ihn sanft etwas weg von mir und blickte ihm richtig in die Augen: "Danke, für alles. Du bist der Beste."
Er lächelte sanft und wieder strahlten seine Augen so unendlich glücklich, dass es mir einen Stich versetzte, weil ich weiterhin das Gefühl hatte, ihm etwas vorzuenthalten. Natürlich machte ich mir wieder viel zu viele Gedanken, während er wahrscheinlich sich einfach darüber freute, meine Seite endlich gehört zu haben.
Nach einigen Sekunden hob Leif langsam seine Hand und schien sie mir auf den Kopf legen zu wollen, doch er zögerte für einen Moment. Mit ihr sich schlussendlich im Nacken kratzend, setzte er wieder sein schelmisches Grinsen auf und meinte: "Dann können wir ab morgen wieder Serien schauen."
Ich nickte: "Gerne, aber jetzt lass ich dir deine Ruhe."
Nun wandte ich mich wirklich zum Gehen und wurde auch nicht mehr aufgehalten. Ich hatte den starken Eindruck, Leif wollte zum Schluss mehr machen oder sagen, als er es getan hatte, doch vielleicht würden wir wie so oft am nächsten Morgen darüber sprechen.

Ich irrte mich. Wir nahmen die Serienabende wieder auf, blödelten sehr viel mehr miteinander herum, als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt zuvor. Durch die Arbeit hatte ich zwar trotzdem meinen Stress, aber das wenigstens zeitweise Wegfallen der Uni war ein Segen. Insgesamt fühlte ich mich freier und glücklicher in der Zeit, wie selten zuvor — es war eben doch wunderschön, wenn man jemanden in seinem Leben hatte, mit dem man all den Blödsinn teilen konnte, über den man so stolperte.
Zur gleichen Zeit wusste ich nicht, was Leif fühlte. Er blühte auf, wenn wir redeten und herumalberten, doch jedes Mal, wenn wir irgendetwas mit einer Beziehung schauten, wurde er doppelt so still wie sonst und verschloss sich. Ich war mir sicher, dass es an meiner Aussage lag, dass ich keinen Sex weder mit ihm, noch mit irgendjemanden wollte, doch ich sprach ihn nicht darauf an. Im Gegenteil, ich tat so als ob ich es gar nicht bemerkte, doch jedes Mal, wenn das passierte, kam es mir vor, als würden wir uns wieder ein bisschen von einander entfernen.

VampirbissWhere stories live. Discover now