2. Der Morgen der Ernte

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Am nächsten Morgen kitzeln mich die Sonnenstrahlen wach. Es ist bereits geschäftiges Treiben aus der Küche zuhören, was bedeutet, dass in nicht all zu ferner Zeit meine Mutter hoch kommen wird um mich zu wecken. Diese Aufgabe möchte ich ihr abnehmen, deshalb stehe ich auf und öffne mein Fenster. Die Straßen sind leer, da die meisten Bewohner entweder noch schlafen oder die Zeit mit ihren Kindern genießen wollen. Es sind nur ein paar Friedenswächter zu sehen, die bereits die großen Bildschirme für die Übertragung der Ernte aufbauen. Wir haben recht Glück mit unseren Friedenswächtern, die meisten sind recht freundlich und als einer in meine Richtung schaut winke ich ihm zu, er kann nichts dafür dass er ein Friedenwächter ist denke ich mir immer. Was wäre wenn ich in Distrikt 2 aufgewachsen wäre und mein Vater ein Friedenswächter wäre? Das ist eher unwarscheinlich da Friedenswächter keine Kinder bekommen dürfen bis zu dem Ende ihrer Amtszeit, die meistens mit dem Tod endet, aber trotzdem, es liegt nicht an ihnen dass jedes Jahr 23 Unschuldige Kinder sterben müssen, genauso wenig wie es an uns liegt, es ist die schuld unseres Präsidenten - Präsident Cornelius Snow. Ich habe ihn bereits oft im Fernsehen gesehen, er ähnelt einer Mutation. So wie die, die in den Spielen oft eingesetzt werden. Genauso unatürlich und gefährlich.

Ich höre wie meine Mutter die Treppe hoch kommt und schließe schnell das Fenster und komme ihr entgegen. Ich falle ihr in die Amre und sie streichelt mir über mein Haar, dies machen wir an jedem Morgen der Ernte. Wer weiß, vielleicht ist es die letzte Möglichkeit. Gemeinsam gehen wir in das kleine Badezimmer, wo sie mir Wasser in unsere Wanne einlässt, wir haben kein fließendes Wasser, diesen Luxus besitzen nur der 1. 2. Und 4. Distrikt, die Distrikte der Karieros. Karieros sind meist die Gewinner der Hungerspiele und erhalten die meisten Sponsorengeschenke. Sie sind auch die Distrikte mit den wohl genährtesten Kindern, was ihnen als Tributen oft noch einen Vorteil verschafft.

Meine Mutter verlässt den Raum und ich entledige mich meinen Kleidern. Das Wasser ist lauwarm und wirkt beruhigend auf meinen Körper, meine Mutter hat noch ein paar Tulpen Blüten in das Badewasser getan. Tulpen sind meine Lieblingsblumen, mit ihnen verbinde ich den Frühling, den Sonnenschein und Wärme. Nach einer Viertelstunde, was mir der kleine Wecker auf der Fensterbank verrät, stehe ich auf, lege mir ein Handtuch um und schlüpfe in mein Zimmer. Auf meinem Bett wurde mir bereits Kleidung für die Ernte gelegt. Ein blass rosanes kleid mit kleinen Schleifchen an den Ärmeln, es geht mir nur knapp über die Knie. Dieses Kleid trage ich jedes Jahr zur Ernte, es hatte meiner Mutter gehört, die es an ihren Ernten getragen hat und von ihrer Mutter bekommen hat. Eines Tages werde ich dieses Kleid meiner Tochter geben, doch ich hoffe das sie es dann nicht mehr zu Ernten tragen muss. Fast schon Lautlos gehe ich die Treppen hinab, in die Küche, wo meine Mutter und mein Vater bereits auf mich warten, mein Vater lässt seinen Laden heute geschlossen, da entweder niemand kommt oder er die Zeit mit uns genießen möchte. Ich lasse mich auf den Stuhl sinken, der vor meiner Mutter steht. Langsam beginnt sie mir behutsam meine Haare zu kämmen und sie zu zwei Französischen Zöpfen zu flechten, die sie zu zwei schnecken aufrollt. Kurz nachdem meine Mutter fertig ist, ertönt auch schon das metallische Piepen das symbolisiert, dass wir uns alle auf dem Platz vor dem Judtizgebäude versammeln müssen. Ich umarme die beiden noch einmal und atme ihren Geruch ein. Meine Mutter hat Tränen in den Augen, als ich mich von ihnen löse, am liebsten würde ich den ganzen restlichen Tag so in ihren Armen verweilen doch das geht nicht, die Friedenswächter würden mich holen, nur wenn man auf der Schwelle zum Tod steht ist es erlaubt an der Ernte nicht teilzunehmen, doch man muss sie im Fernsehen mit verfolgen. Wenn man trotzdem nicht an der Ernte teilnimmt, werden Strafen für die Famielienmitglieder verhängt. Ich gebe ihnen beiden noch einen letzten Kuss und gehe hinaus auf die sandige Straße. Ich habe mit Sam besprochen das wir uns an der großen Straßenlaterne vor der Bäckerei treffen, damit wir den restlichen Weg gemeinsam gehen können. Als ich ihn erblicke winke ich ihm zu und er mir. » Na, aufgeregt?« fragt er mich wie jedes Jahr. »Nein, wie oft ist dein Name jetzt drinnen?« »12 mal« das sind verhältnissmäßig viele in unserem Distrikt. Die meisten Eltern hungern lieber anstatt ihre Kinder für Tesserasteine eintragen zulassen, meine Eltern vermeiden es so gut es geht, doch ich möchte nicht das sie meinetwillen hubgern und trage mich oft heimlich ein. In unserem Distrikt gibt es skurilerweise mehr Mädchen als Jungen, was meine Chance nicht gezogen zu werden erhöht, doch auch wenn es mehr Mädchen gibt habe ich eine hohe Anzahl an Losen. Den Rest des Weges gehen wir schweigend nebenher, bis wir uns anstellen müssen, damit uns ein Tropfen Blut zur Identifikation abgenommen werden kann. Sam muss zu den 16-Jährigen Jungs und ich zu den 15- Jährigen Mädchen, als ich an der Reihe bin greift der Friedenswächter nach meiner  Hand, piekt mit einem kleinem Gerät hinein und drückt sie auf das Papier, wo mein Bluttropfen von dem Gerät gescannt wird. Als es erkannt wurde, werde ich unsanft weiter geschoben und in einen, mit Seilen abgesperrten Bereich gezwängt. Auschauhaltend nach Sam recke ich meinen Hals über die Menschenmassen, doch ich bin zu klein um ihn zu enddecken. Nun lasse ich meinen Blick in Richtung Bühne schweifen, denn die abgetrennten Bereiche füllen sich immer mehr. Bald wird unsere Betreuerin die Lose gezogen haben und zwei unglückliche Kinder werden sich die Hand schütteln müssen und ich kann wieder zu meinen Eltern gehen, sie in die Arme schließen und ein weiteres Jahr ohne Ängste leben.

Finch: the Story of a TributeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt