1. Orientierungsschwierigkeiten

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Ich schlucke und merke, wie meine Wangen warm werden.

Das Vorstellungsgespräch mit Dr. Edwards vor vier Monaten war äußerst angenehm. Er war zu einem Ärztekongress in New York, meiner Heimatstadt, eingeladen und rief mich kurzerhand an und fragte, ob wir uns treffen können. Er meinte, es wäre unsinnig, wenn ich die fünf Stunden Autofahrt auf mich nehmen müsste, wenn er doch ohnehin gerade in meiner Nähe wäre.

Also trafen wir uns zum Frühstück in seinem Hotel und ich mochte den alten Mann auf Anhieb. Man sah ihm sofort an, dass er ein Doktor ist, weil er selbst auf dem Kongress einen weißen Kittel trug – als einziger der anwesenden Ärzte. »Die Menschen begegnen einem anders, wenn man so auftritt«, hat er erklärt, als ich ihn interessiert gemustert, aber nichts gesagt habe.

Zum Ende unseres Treffens hat er meine Hand mit festem Griff geschüttelt und gesagt: »Oak Hills ist klein und ein typisches Nest. Aber die Menschen sind freundlich und nehmen einen auf, als wäre man ein Teil ihrer Familie. Wenn Sie diesen Großstadtdschungel gegen ein ruhiges Leben auf dem Land mit einem sicheren Arbeitsplatz tauschen möchten, wäre ich überaus glücklich, wenn Sie sich dafür unser kleines Nest aussuchen würden.«

Ich lächelte und nickte ergeben, erbat mir aber noch einige Tage Bedenkzeit. Um ehrlich zu sein, brauchte ich gerade mal einen Tag und an diesem nahm New York mir die Entscheidung ab. Es war voll, es war laut, ich fand keinen Parkplatz und als mir vor dem Laden, in dem ich mit meiner Schwester zum Essen verabredet war, ein Betrunkener direkt vor die Füße pinkelte, stand meine Entscheidung fest. In New York hielt mich ohnehin nichts. Als lediger Mann mit achtundzwanzig Jahren sah ich keinen Grund, den Schritt nicht zu wagen. Zurück könnte ich immer noch.

Ich lache nervös und murmle: »Na hoffentlich setzt er seine Erwartungen nicht zu hoch. Ich bin gerade erst mit dem Examen fertig.«

Brianna lächelt aufmunternd und steigt bereits aus. »Er hat eine großartige Menschenkenntnis, also hab ein wenig Vertrauen. Komm, ich bring dich rein.«

Ich folge ihr zur Tür der Praxis und komme nicht dazu, sie ihr zu öffnen, so wie ich eben erzogen wurde, da sie einfach vorausgeht. Brianna scheint eine sehr selbstbewusste, junge Frau zu sein.

»Hey Theo«, ruft sie fröhlich und hinter dem Anmeldetresen erscheint der Kopf eines jungen Mannes mit einer Brille, die ihm sogleich fast von der Nase rutscht.

»Johnson«, begrüßt er sie strahlend und seine Wangen röten sich ein wenig. »Hast du dir schon wieder in den Daumen geschnitten?«

»Ha ha«, macht sie und winkt ab. »Ich hab den neuen Doc mitgebracht. Er hatte sich etwas verirrt. Und stell dir mal vor, er hat einen DB11!«

Theos Augen hinter der Brille werden riesengroß und er steht kerzengerade auf. »Einen Aston Martin DB11?«, fragt er ungläubig.

Brianna verschränkt ihre Arme vor der Brust und nickt stolz. »In schwarz. Und jetzt rate mal, wer ihn herfahren durfte.« Sie zeigt mit ihrem Daumen auf sich und Theos Mund klappt so weit auf, dass ich schon überlege, wie ich seinen Kiefer wieder einrenke.

Ich räuspere mich, denn es ist mir etwas unangenehm, dass mein Auto eher vorgestellt wird als ich. Theos Mund klappt wieder zu – der Kiefer scheint noch an Ort und Stelle zu sein – und erst jetzt sieht er mich an.

»Oh«, stottert er los. »Dok-Doktor Portman, bitte entschuldigen Sie.« Schnell kommt er hinter dem Tresen hervor und eilt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. »Ich bin Theo«, stammelt er und schüttelt meine Hand mit seiner, die sich kalt und weich anfühlt. »Theo Simpson. Ich bin die Sprechstundenhilfe. Dr. Edwards sagte, dass Sie heute ankommen würden. H-Hatten Sie eine g-gute Anreise?«

Ich lache und nicke. »Ja, vielen Dank«, antworte ich. »Brianna hat mich gut hierhergebracht. Ich hoffe, ich finde den Weg demnächst auch allein.«

»Ich fahr dich auch jeden Tag«, zwinkert Brianna mir zu und mir entgeht nicht der eifersüchtige Blick von Theo. Oh.

»Ist Dr. Edwards da?«, frage ich und lasse meinen Blick durch die Praxis gleiten.

Theo nickt. »Ja, er hat gerade noch eine Patientin. Ich sage ihm danach, dass Sie da sind.« Verlegen schielt er an mir vorbei in Richtung Ausgang und ich grinse.

»Wollen Sie sich das Auto auch ansehen?«, seufze ich.

»D-Darf ich?«, fragt er mit großen Augen.

Ich nicke und gebe ihm den Schlüssel. »Nur einmal um den Block und bitte auf die Felgen aufpassen«, flüstere ich und befürchte, dass er gleich kollabieren wird. Sein Mund klappt auf und zu und er verbeugt sich allen Ernstes mehrfach, während Brianna ihn quietschend mit sich nach draußen zieht.

Ich schüttle lachend meinen Kopf und hoffe, mit dieser kleinen Geste wieder in seiner Gunst zu stehen. Er scheint ein Auge auf diese Brianna geworfen zu haben und kann ja nicht wissen, dass sie überhaupt nicht mein Typ ist.

Plötzlich höre ich Stimmen und drehe mich um. »Einmal morgens und abends sollte reichen«, ertönt die tiefe, ruhige Stimme von Dr. Edwards und ich erblicke ihn – wie bei unserem Treffen in New York – in einem weißen Kittel wie er mit einer älteren Patientin nach vorn zur Anmeldung kommt.

»Danke, Peter«, erwidert die Dame und umarmt ihn freundschaftlich. Hier scheint es nur Vornamen zu geben.

»Oh, wen haben wir denn da?«, freut er sich, als er mich sieht. »Ellen, darf ich vorstellen? Mein neuer Kollege ist soeben eingetroffen. Das ist Dr. Portman. Er unterstützt mich ab jetzt, denn ich bin ein alter, fauler Mann geworden und kann es mir inzwischen leisten, auch mal andere meine Arbeit machen zu lassen.«

Ich lache und schüttle ihre ausgestreckte Hand. »Er ist gar nicht so alt und über die Faulheit kann ich noch nichts sagen«, scherze ich. »Dan Portman, sehr erfreut.«

Ellen – für mich ohne Nachnamen – lächelt freundlich und antwortet: »Na, auf jeden Fall kann man Sie gut ansehen, junger Mann. Peter, trag in meiner Kartei schon mal ein, dass ich zukünftig nur noch von Dr. Portman behandelt werden möchte.«

Ich senke beschämt den Blick und Dr. Edwards lacht herzlich. »Noch besser, dann kann ich mich ja schon mal zurücklehnen. Aber du wirst dich sicherlich hinten anstellen müssen, denn du wirst nicht die Einzige sein, die diesen Wunsch äußert.«

»Aber die Erste«, gluckst die Patientin. »Willkommenin Oak Hills, Dr. Portman.«

Small Town Doc [Leseprobe]Where stories live. Discover now