Friedhofsblumen

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Dies ist eine kurze Geschichte zu dem Sience-Fiction-Film "Gravity".

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Dr. Ryan Stone fühlte sich von einer unglaublich großen Last befreit, als sie wieder vor ihrem Zuhause in Lake Zurich, Illionis stand. Es hatte eine Woche gedauert, bis man sie wieder nach Hause gelassen hatte. Nach dem man sie aufgegabelt hatte, hatte sie Houston ihre Geschichte erzählt. Wie sie es letztendlich doch geschafft hatte, als Einzige diese unglückliche Mission zu überleben, die durch ein Trümmerfeld im All so tödlich geworden war. Sie verbrachte mehrere Tage in einem Krankenhaus, wo sie wieder einigermaßen aufgepäppelt wurde. Man hatte sie außerdem einigen medizinischen Tests unterzogen, bevor man entschieden hatte, dass sie wieder nach Hause konnte.

Und hier stand sie nun und ließ ihr mehr als ungewolltes Abenteuer im Weltraum vor ihrem inneren Auge nochmal Revue passieren. Sie hatte sich eine Woche frei genommen, um wieder auf der Erde anzukommen und das Geschehene zu verarbeiten. Sie schloss die Haustür mit dem Schlüssel auf, der unter ihrer Fußmatte lag. Ryan war sehr froh, den Ersatzschlüssel vor langer Zeit mal dort deponiert zu haben, denn das machte sich spätestens jetzt defintiv ausgezahlt, da die Habseligkeiten, unteranderem ihr Handy und ihr Schlüssel (sie wusste selbst nicht, wie sie auf die Idee gekommen war, ihren Hausschlüssel mitzunehmen), die sie mit in den Weltraum genommen hatte, natürlich der Trümmerkollision unterlagen.

Ryan betrat den dunklen Flur und hängte ihren Mantel an die Gardarobe. Sie ging in die Küche, schaltete dort das Licht an und machte sich einen Pfefferminztee mit Zitrone. Sie wärmte sich ihre Hände an dem heißen Gebräu, während sie auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand blickte. Sie war anscheinend erst nach zehn Uhr abends hier angekommen. Nach dem Ryan den Tee ausgetrunken hatte, spülte sie die Tasse ab und stellte sie wieder in den Hängeschrank über der Anrichte. Dann machte sie das Licht in der Küche wieder aus und ging durch den Flur in Richtung Bad, um sich schnell zu waschen und dann ins Bett zu gehen.

In dieser Nacht schlief sie, wie auch in den Nächten davor, nicht gut. Sie wachte mehrmals in der Nacht schweißgebadet auf, bevor ihr Sekunden später wieder einfiel, das sie in ihrem Bett lag und nicht hilflos mit erschreckend wenig Sauerstoff im Raumanzug einsam und allein durchs All trieb. Sie hoffte sehr, dass die Alpträume bald aufhören würden. Man sagte ja allgemein, dass man in Träumen, vorallem in Alpträumen, das Geschehene verarbeitete, weswegen Ryan recht optimistisch eingestellt war, was ihre wiederkehrenden Alpträume betraff.

Als Sarah gestorben war, hatte Ryan auch mit Alpträumen zu kämpfen gehabt. Anfangs hatte sie sich die Schuld an ihrem Tod gegeben und konnte nicht wirklich damit abschließen. Um sich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen, war sie nach der Arbeit immer mit dem Auto durch die Gegend gefahren. Hatte versucht mit dem Schmerz fertig zu werden und irgendwie weiter zu machen.

Am nächsten Morgen stand Ryan um 08:30 Uhr auf. Nachdem sie gefrühstückt hatte, entschloss sie sich, das Grab ihrer Tochter zu besuchen. Die Ärztin zog sich ihren Mantel über, schnappte sich ihre Handtasche und legte den kurzen Fußmarsch zum Friedhof zurück. Unterwegs ging sie noch kurz an einem Blumenladen vorbei und besorgte einen Strauß Marienblumen.

Während Ryan den Friedhofsweg entlang ging, blickte sie sich um. Keine Menschenseele war zusehen, was aufgrund der frühen Uhrzeit auch nicht weiter verwunderlich war.

Ryan blieb vor einem schwarzen Grabstein stehen auf dem in goldenen Lettern der Name und das Geburts- und Todesdatum ihrer viel zu früh verstorbenen Tochter stand.

Sie wickelte die Blumen aus dem Papierumschlag, hockte sich vor das Grab und legte diese vor den Stein. ,,Siehst du, Sarah?", fing Ryan an zu sprechen, ,,ich habe nicht aufgegeben, mein Schatz. Ich lebe. Ich habe dieses Abenteuer überstanden. Und ich vermisse dich, meine Kleine." Ryan musste kurz schlucken, bevor sie weiter sprach: ,,Es tut mir leid, dass ich dich früher nicht besucht habe. Bitte verzeih mir. Die Geschehnisse da oben haben mir die Augen geöffnet. Darüber, dass man sehr schnell sterben kann und man das Leben deshalb umso mehr nutzen und genießen sollte. Du bist diejenige, die das am besten weiß, Sarah. Hätte ich ein bisschen weniger Glück gehabt, wäre es mir genauso ergangen wie Matt." Ryan seufzte leise.
,,Ich werde ab jetzt endgültig nach vorne blicken und mich nicht mehr an die Vergangenheit klammern. Das schwöre ich dir."
Und mit diesen Worten erhob sich Ryan, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und strich mit der Hand noch einmal sanft über den Grabstein. Dann wandte sie sich um und verließ den Friedhof mit der Absicht, ihr Versprechen zu halten, das sie soeben ihrer Tochter gegeben hatte.

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