Valerie - Kapitel 65

124 6 1
                                    

Eine halbe Stunde vorher

--

Es ist arschkalt, und ich ziehe meine Jacke enger um meine Schultern. Ich stehe nervös vor dem grossen Haus, in dem angeblich meine Eltern wohnen sollen. Nervös trete ich von einem Bein aufs Andere und wärme mir meine Hände immer wieder in den Jackentaschen, ehe ich einfach auf das Haus zu laufe. Insgesamt führen fünf Treppenstufen zur Klingel, was ich etwas unnötig finde. Drei oder zwei sind doch auch genug, oder?

Meine Reisetasche hängt schwer über meiner rechten Schulter, und das Schwindelgefühl von vor ein paar Stunden ist fast vollständig weg. Ich denke, das hat auch was mit der momentanen Aufregung zu tun. Ich habe gerade einfach keine Zeit um umzukippen. Zitternd nähern meine Finger sich der Klingel, und ich schliesse die Augen, ehe ich einfach drücke. Wie wenn ich mich verbrannt hätte ziehe ich meine Hand wieder zurück und reiße die Augen auf.

Ich habe gerade tatsächlich bei meinen Eltern geklingelt.

Ich schaue mich schnell nach einer Versteckmöglichkeit um, falls ich es mir in einer Sekunde doch noch anders überlegen würde, als ich auch schon Schritte von innen höre, die sich der Türe nähern. Sofort verdoppelt sich mein Puls, und ich stehe mit geöffnetem Mund vor der Türe, welche von einem grossen Mann geöffnet wird.

„Guten Abend" begrüßt er mich, und auch wenn ich ihn schon so lange nicht mehr gesehen habe, erkenne ich meinen Vater sofort. „Kann ich Ihnen helfen?" Mein Vater beugt sich etwas zu mir runter, und ich schlucke. „Nein, ich – äh – habe mich wohl in der Hausnummer vertan" stottere ich, und will mich gerade verabschieden, als eine Frauenstimme durchs Haus hallt.

„Will, wer ist da?"

Mom.

Sofort erstarre ich, und mein Vater tritt etwas zurück. „Ein Mädchen, ich weiss nicht ob wir ihr irgendwie helfen müssen oder so" murmelt er, und meine Mutter erscheint im Gang. Als ich sie erkenne treten mir fast die Tränen in die Augen, und hektisch kommt die Frau auf mich zu. Sie schaut noch nicht auf, da sie gerade ein paar Kabel am entwirren ist. Als sie dann vor mir stehen bleibt und den Blick hebt, erstarrt sie ebenfalls.

„Was... du... Valerie?" flüstert sie leise, und als eine kleine Träne mein Auge verlässt, nicke ich leicht. „Mom" murmle ich, und obwohl ich so wütend war, bin ich jetzt gerade einfach nur glücklich, meine leiblichen Eltern zu sehen. „Warte mal, du bist Valerie?"

Mein Vater sieht mich aus grossen Augen an, und ich schmunzle leicht. „Du hattest noch nie ein Händchen für Gesichter" murmle ich, und mein Vater beißt sich auf die Lippe. „Das stimmt" sagt er dann leicht beschämt, und im gleichen Moment werden wir durch ein leises Schluchzen unterbrochen.

„Ich – darf ich... du weißt schon, dich..."

„...umarmen?"

Mom nickt als ich den Satz beende, und ich lächle. „Immer gerne." Meine Mutter wirft sich mir glücklich um den Hals, und ich stelle fest, dass sie auch nicht sonderlich groß ist. Das erklärt einiges... Meine Mutter löst sich von mir und lächelt mich glücklich an. „Kommt doch erst mal rein, ich mach dir einen Tee" sagt mein Vater, und scheint noch nicht so ganz zu realisieren, dass ich wirklich seine Tochter bin.

Naja, ich realisiere ja auch noch nicht so ganz, dass das hier wirklich meine Eltern sind.

Ich schliesse die Türe hinter mir und lasse meine Tasche auf den Boden fallen, da sie wirklich schwer ist. Drinnen ist alles schon für Halloween bereit, und es sieht aus, als wäre hier noch eine Party vorgesehen. „Das Haus ist ja riesig" murmle ich, und drehe mich um mich selbst. Meine Mutter lacht leise und nickt dann. „Ja, es ist wirklich sehr groß. Aber wir dachten, man darf sich ja auch mal was leisten."

What you don't know about meOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz