Chapter 3

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Keith zitterte noch immer, als er knapp zwanzig Minuten später die Haustür zu seiner Wohnung aufschloss, weshalb er Mühe hatte, den Schlüssel überhaupt ins Schloss zu bekommen, und kaum hatte er den dunklen Flur dahinter betreten schloss er die Tür wieder hinter sich und atmete ein paar Mal tief durch.
Noch immer konnte er kaum begreifen, was eigentlich geschehen war.
Dass dieser Anruf nichts weiter als ein dummer Streich gewesen war war zwar durchaus möglich, doch konnte er das einfach nicht glauben.
Dieses seltsame Rauschen...und diese Stimme... sie war ihm bekannt vorgekommen, sehr sehr bekannt, doch das konnte doch einfach nicht sein...und dazu noch die Sache zuvor im Café.
Das war einfach zu viel...was zur Hölle war bloß los? Was passierte hier?
"Das ist doch Schwachsinn!", flüsterte er, während er in Richtung seines Zimmers ging, er wollte bloß noch ins Bett und einfach schlafen. Vielleicht würde morgen alles wieder ganz anders aussehen...ganz...normal...
Zu wenig Schlaf. Zu viel Stress. Vielleicht Krankheit...wie ein Mantra wiederholte er diese Dinge immer wieder gedanklich, doch brachte es kaum etwas, sein Herz raste noch immer, ihm war übel und er fühlte sich als habe er ungefähr drei Liter Kaffee getrunken.
An Schlaf war so nicht einmal zu denken.
In diesem Moment wünschte er sich, mit irgendjemandem reden zu können, doch seine Freunde hätten ihn allesamt für vollkommen irre gehalten oder ihn ausgelacht, wenn er ihnen erzählt hätte, was ihm passiert war, vielleicht hätten sie auch geglaubt, er würde sie verarschen.
Und das konnte er ihnen nicht einmal übelnehmen. Er konnte das alles ja selbst nicht wirklich glauben. Das Ganze wirkte wie aus einem Horrorfilm; das Erscheinen einer Lebenden Toten, ein Anruf aus dem Jenseits... so etwas konnte es doch eigentlich überhaupt nicht geben!
Kurz dachte er daran, Rebecca anzurufen, einfach, um mit jemandem reden zu können; die Stille um ihn herum und die Einsamkeit machten ihn wahnsinnig, doch auch diesen Gedanken verwarf er wieder, er hatte ihr zwar gesagt, er würde sich bei ihr melden, doch bestimmt nicht wegen irgendwelcher Hirngespinste.
Letztendlich fiel ihm nur eine einzige Person ein, mit der er über das Geschehene hätte sprechen können und die ihn nicht dafür ausgelacht hätte.
Zwar waren er und sein Mitbewohner nicht wirklich das, was man "Freunde" nennen konnte, doch erstens war Kelso definitiv keine Person, die sich über andere Leute lustig machte, zweitens würde er auch niemandem von Keiths Problemen erzählen und drittens hatte er, als er noch auf der Uni gewesen war, Psychologie oder Medizin studiert. Womöglich wusste er also sogar, was solche Hirngespinste auslösen konnte...
Allerdings musste Kelso noch mindestens bis um zehn arbeiten.
Und so lange würde Keith bestimmt nicht herumsitzen, bloß mit diesen beängstigenden, quälenden Gedanken als Begleiter...
Nein.
Denn als er über seinen Mitbewohner nachgedacht hatte, war ihm noch etwas anderes eingefallen.
Kelso hatte extreme Schlafstörungen, und deshalb musste er auch jeden Abend Schlaftabletten nehmen.
Und wenn Keith jetzt etwas gebrauchen konnte, dann waren es Schlaftabletten. 

Die Zimmertür quietschte leise, als Keith sie langsam aufdrückte, wie blind tastete er nach dem Lichtschalter, fand ihn, und gleich darauf wurde der Raum in ein warmes, grelles Licht getaucht.
Er betrat das Zimmer, schloss die Tür hinter sich, sah sich suchend um. Und sofort wurde ihm klar, dass es wohl alles andere als einfach sein würde, hier so etwas Kleines wie Schlaftabletten zu finden.
Keith selbst war ein absoluter Ordnungsvernatiker, und so wie es aussah, war das eine weitere Sache, in der sich Kelso ganz eindeutig von ihm unterschied.
Doch das würde ihn nicht aufhalten. Er würde diese Tabletten finden, und dann würde er ruhig schlafen können - an irgendwelche Nebenwirkungen eines solchen Medikamentes dachte er überhaupt nicht - und morgen würde alles wieder in Ordnung sein...
Er ließ seinen Blick über den Boden schweifen, auf dem mehrere aufgeschlagene Bücher, höchstwahrscheinlich Fachliteratur, herumlagen, dann über den Couchtisch, der vollgestellt war mit leeren Flaschen, über die mit Postern beklebten Wände, die vollgestellten Bücherregale...und blieb schließlich an der kleinen Kommode neben dem Bett hängen.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das war wohl eindeutig der wahrscheinlichste Ort, an dem man so etwas wie Schlaftabletten aufbewahren würde, das glaubte er zumindest.
Also schob er mit dem Fuß zwei der auf dem Boden liegenden Bücher beiseite, machte sich daran, den Raum zu durchqueren...und hielt nach bloß drei Schritten wieder inne.
Da war etwas. Zunächst konnte er nicht genau sagen, was es war, nur, dass dort etwas war, und dann wurde es deutlicher, lauter. Ein Rascheln.
Leise, so als würde eine Spinne oder etwas Ähnliches über die Poster krabbeln...und dazu mischte sich nun ein intensiver, metallischer Geruch.
Langsam, wie in Zeitlupe drehte Keith sich um, sein Atem ging schnell und flach und die Übelkeit wurde stärker...
Dieses Mal konnte er seinen Schrei nicht unterdrücken.
Stand wie eingefroren da, nicht fähig, den Blick von dem abzuwenden, was sich dort direkt vor seinen Augen abspielte.
An der Wand vor ihm, neben der Tür, quer über die Poster von Linkin Park, My Chemical Romance und Rise Against zogen sich langsam, ganz langsam fünf dünne, zueinander parallel verlaufende Blutspuren.
Als würde jemand mit blutigen Fingern die Wand entlangstreichen...
Doch dort war niemand.
Das war zu viel. Für alles andere hätte es noch irgendeine halbwegs logische Erklärung geben können -ein grauenhafter streich womöglich -doch das hier war vollkommen unmöglich.
Diese Blutspuren die sich wie von Geisterhand immer weiter über die Wand ausbreiteten, dieser durchdringende Geruch...ein weiterer Schrei löste sich aus seiner Kehle. Laut und Schrill, unfassbare Angst ausdrückend. Zurückstolpernd schlug Keith sich die Hände vors Gesicht, lies sie wieder sinken, doch nichts hatte sich verändert, der Anblick war noch immer derselbe, beinah noch grauenhafter als zuvor, der Geruch nach Blut wurde immer und immer stärker...
Und dann übertönte eine laute, zischende Stimme seine Schreie.
"Ich habe dich gefragt, warum! Antworte mir!"
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Entsetzt riss er seinen Blick von der Wand los, fuhr herum, starrte auf bleiche und mit Blut befleckte Finger, die sich in sein Fleisch gruben, unkontrolliert zuckten...und erkannte in einer weiteren Welle des Schocks, dass diese Hand zu niemandem gehörte.
Es sah aus als hätte sie jemand sauber am Handgelenk abgetrennt, bloß der bleiche Knochen ragte noch ein Stück weit heraus...und dennoch wurde ihr Griff immer fester.
Es gelang ihm noch, einen letzten Schrei auszustoßen, der ein wenig wie „Hilfe!", klang, bevor seine Beine unter ihm nachgaben, er stürzte, versuchte noch, sich abzufangen, doch noch im Fallen, wurde ihm schwarz vor den Augen und er spürte, wie er in ein tiefes, dunkles Nichts glitt.
Begleitet von einem schrillen, ohrenbetäubenden Lachen.

PersecutedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt