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Ruby

Schluchzend näherte ich mich seiner Haustür. Ob das eine gute Idee war? Langsam zweifelte ich daran. Nach langen zwei Wochen hatte ich endlich den Mut gefunden, ihn zur Rede zu stellen. Zumindest war es mein Vorwand gewesen.

Ich erwartete es noch nicht mal, dass er mich wieder zurück wollte, mich in seine starken, sicheren Arme nahm. Meinen Fluchtort.
Ich. Erwartete. Es. Nicht.

Nein, ich wollte nur, dass er mich anhörte. Er brauchte nicht mal Verständnis zu zeigen. Das wäre zu dreist. Gott, langsam bekam ich echt Panik. Ob es die falsche Entscheidung war?
Nein. Es schien nie die falsche Entscheidung, wenn man miteinander über Probleme redete.
Nur fühlte es sich verdammt falsch an.

Schnell schluckte ich den angestauten Klos herunter und kam schleichend an seiner Hausnummer an. Man, wie oft ich einfach hier war. Wie viel hier einfach passierte. Und nun war alles weg? Ich konnte einfach nicht glauben, dass es meine Schuld war. Nicht glauben.

Bevor ich selbst reagieren konnte, fanden meine zittrigen Finger schon den Weg zur Klingel. Ganz so, als wäre es ein unbedingter Reflex.
Ängstlich wollte ich schon wegrennen, da es sowieso unnötig war, doch dann öffnete sich die Tür. Wie versteinert musterte ich Bela, der desinteressiert von seinem Handy hochblickte, dann den Blick abwandte und zur Seite trat.

„Hey, Bela. Ist Mares vielleicht zuhause?", fragte ich den kleineren Bruder gedehnt. Ein knappes Nicken seinerseits folgte, ehe er die Tür hinter sich schloss und wieder seine Aufmerksamkeit sein Handy schenkte. Also wenn er nicht mit einem Mädchen schrieb...

Plötzlich durchfuhr mich ein Stich, aber auch etwas wie Stolz. Ich habe Bela kennengelernt, da war er gerade zwölf und nun war er fünfzehn und schrieb mit einem Mädchen. Wie schnell die Zeit einfach verging. Ich sah ihm noch lange hinterher, bis ich dann erneut meinen Mut aufschnappte und mich nach oben begab.

Die Treppe knarzte unter mir, und der leichte Schwung, welches die dritte Stufe gab, versetzte mir Erinnerungen. Erinnerungen, wie Mares und ich diese Stufen herunter gerollt sind. Dann haben wir gelacht und uns geküsst. Dabei hatte er immer gemeint, wie sehr er mich doch liebte.

Ich unterdrückte die Tränen, die rauswollten und blieb vor seiner Zimmertür stehen. In alten Buchstaben stand sein Name. Das ‚A' war etwas abgerutscht, aber dies zeigte nur, wie er hier Tag-ein-Tag-aus reinging und rausging, dass er hier lebte. Es war eine Zustimmung, dass es Mares noch gab.

Wärme durchflutete mich, als das nächste Lied zu spielen begann. Der ganzen Boden wackelte und der Neunzehnjährige war wie immer vertieft in seiner Musik. Ich wollte da nicht stören, ich wollte ihn lassen. Aber nein. Wir mussten reden. Unbedingt.

Rasant, damit ich es hinter mir habe, klopfte ich einmal und hielt den Atem an, als die Musik leiser gedreht wurde.

Oh. Gott. Oh Gott, oh Gott! Scheiße, was tat ich hier?! Ich hatte genau vier Sekunden, um hier zu verschwinden. Doch, als ich mich verstecken wollte, war es schon zu spät.

Und plötzlich vergaß ich all den eingeübten Text. Meine Entschuldigung. Alles. Ich stand leer hier. Vor ihm. Denn sein Anblick schockte mich.

Er war da. Er war da. Er war da. Seine Kupferfarbigen Augen flogen kurz über mein Erscheinungsbild, bevor er wortlos wieder in sein Zimmer trat und mir die Tür aufhielt.

Verdammt. Warum fühlte es sich an, als würde ich in der Hölle verschwinden, obwohl das damals mein Lieblingsort war?

Satisfied | ✓Where stories live. Discover now