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Ruby

Liebes Tagebuch,

ich glaube, ich war heute nicht ich selbst. Oder zumindest zweifle ich daran. Ich bin auf einmal so hibbelig. Heute, genau am 24.12.2016, am Heiligen Abend- da sah ich ihn. Er war in einer klassischen schwarzen Jack Wolfskin Jacke vergruben, hatte eine dunkle Jeans an und ein roter Schal schmeichelte seinen Hals. Er stand lässig an der Bushaltestelle. Hatte die Hände tief in den Taschen sitzen. Ich kam gerade von meinem regelmäßigen Spaziergang, den ich immer um 19 Uhr pflegte. Ich liebte es, wenn der Abend anbrachte. Vor allem im Winter. Da war alles so schön kalt und dunkel. Perfekt für wirre Gedanken wie meine.

Auf jeden Fall hatte der ziemlich attraktive Kerl seine Schultern eingezogen und den Blick gesenkt. Gleichzeitig fragte ich mich, was einer denn an diesem Abend draußen machte. Es würden keine Busse fahren. Ob er es wusste? Keine Ahnung.

Ich blickte mich kurz um, doch bemerkte ich, dass die Straßen alle Mutterseelenallein waren. Es hatte auch sehr viel Überredung gekostet, um wirklich eine kleine Runde drehen zu dürfen. Meine Eltern wollten mich gar nicht gehen lassen. Doch ich war schon immer ein Mensch, der tiefgründiger war. Ich brauchte meine Zeit.

„Hey", sprach ich dann leise den Fremden an. Hatte gehofft, dass er mir keine Abfuhr gab. Vielleicht war es auch ein Geisteskranker? Langsam hob sich sein Blick und seine Kupferfarbigen Augen sahen mir aufrichtig entgegen. Ich wusste noch- im selben Augenblick hatte ich die Luft angehalten. Überwältigt von seiner Ausstrahlung, seiner Aura. Sie wog mich in eine sanfte Wärme. Schon komisch, ich kannte ihn noch nicht mal. Und trotzdem wusste ich, dass mein Schicksal noch vieles mit ihm vorhatte. „Hi", erwiderte er leise, jedoch mit festen Druck. Das angenehme Kratzen in seiner Stimme bescherrte mir eine Gänsehaut. Es war so intensiv, dass ich meine Jacke noch enger an mich zog. „Du weißt schon, dass heute kein Bus fahren würde?", das war meine erste Frage an den Fremden. Kritisch hatte ich ihm entgegen geschaut. Er war anders. Oder einfach nur irre. Oder vielleicht beides? Mir gefiel es.
„Darf man nicht an Weihnachten an einer abgelegenen Bushaltestelle weilen? Sehen, wer Familie hat und wer nicht?" Seine hellen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.
Und ich wusste, wir würden uns noch verstehen.
„Ruby", kam es von mir schmunzelnd. Ich streckte ihm meine Hand entgegen, hoffte mal wieder, dass ich keine Abfuhr bekam. Mein dummes Herz, echt...
Der Unbekannte mit den dunklen Haaren und den unfassbar schönen Kupferfarbigen Augen lächelte. Dann schüttelte er meine Hand, vorsichtig, ganz so, als wäre ich zerbrechlich.
„Mares."
Und ja, was das mit uns werden würde, das steht noch in den Sternen.

Ruby

Satisfied | ✓Where stories live. Discover now