Kapitel 6 - Alles auf Anfang

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Tracee

Langsam brach die Dämmerung über uns ein. Das Wasser peitschte gegen das Metall des "Flosses" und brachte es dadurch ins Schwanken. Es wurde stürmisch und windig. Meine Lunge brannte noch immer wie Feuer. Zudem musste ich ab und zu noch husten, was mir zusätzliche Schmerzen bereitete. Ich saß wie ein Häufchen ehlend da und zitterte am ganzen Körper. Während die Anderen aus unserer Gruppe vorwärts ruderten, saß Liam neben mir und wich mir nicht von der Seite. Seine einst so lockigen, schwarzen Haare klebten glatt an der Stirn. Die schmalen Lippen waren blau getönt und sein Kopf war zu Boden gerichtet. Warum hat er mich gerettet? Wollte ich wissen. Zwar war ich ihm dankbar. Dankbar, dass er sein Leben für meins in Gefahr gebracht hatte, obwohl wir uns kaum kannten und nicht gerade den besten Start miteinander hatten. Aber zugleich verfluchte ich ihn auch, da er mir die Chance nahm, mein Dad wiederzusehen. Auch wenn er gewollt hätte, dass ich für ihn weiter am Leben blieb. Ich wollte es nicht mehr. Ich wollte bei ihm sein. Ihn wieder in die Arme schließen und wie früher gemeinsam den Sonnenuntergang beobachten. Das war meine Gelegenheit, aus einem nicht beeinflussbaren Geschehnis zu sterben. Und Mam? Ich weiß nicht was aus ihr geworden wäre. Vermutlich hätte sie wieder nach der Flasche gegriffen und sich die Sorgen weg geext.

»Wir sind da.«, rief Robin in die Runde, als das Bruchstück gegen eine Steinwand donnerte. Gleich daneben befand sich eine Treppe die nach oben führte. Er sprang auf die erste Treppenstufe und half jedem von uns, rüber zu springen. Als wir uns oben versammelt hatten, begutachteten wir unsere Umgebung. Was wir sahen war schockierend: Riesige, teils zerfallene Betonblöcke bauten sich vor uns auf. Efeu rankte an den verosteten Balkongerüsten empor und Trümmerhaufen lagen zwischen den Hochhaus-Schluchten. Unsere Aussicht auf Rettung wurde mit einem Mal zerstört, denn die brüchigen Ruinen zeigten keinerlei Lebenszeichen. Eher das komplette Gegenteil. Es schrie förmlich nach Tod und Zerfall. »Was ist das denn?« mauserte der braunhaarige Junge entsetzt und überkreuzte seine Arme. »Also vom Weiten sah es besser aus...«, murmelte die Rothaarige betroffen. »Das ist also deine "Rettung". Ich sehe hier nur Schutt und Asche und unsere zukünftige Gedenkstätte.«, lachte Jonas ironisch und fasste sich an die Stirn. »Wenigstens treiben wir nicht mehr aufm Meer rum!« entgegnete sie ihm zornig und rollte die Augen. »Beruhigt euch. Es bringt nichts, wenn wir uns streiten. Wir müssen jetzt erstmal die Wunden versorgen und nach einem Unterschlupf suchen.«, meldete Liam sich zu Wort, der die Fahrt über still geblieben war. Daraufhin drängte sich Robin in den Vordergrund ohne Rücksicht auf Liam zu nehmen. »Wir suchen erst einen Unterschlupf, dann wird eine kleinere Gruppe nach Verbandsmaterial in den Gebäuden suchen.«, kommandierte er und stapfte im Fußmarsch voraus. Die Anderen, bis auf Liam, der ihm giftig hinterher sah, folgten ihm schleppend. Mir wurde schnell klar, dass Robin die Anführerrolle eingenommen hatte und noch große Probleme bereiten würde.

Ich schloss mich der Gruppe an und lief als vorletzte hinterher. Es war gespenstisch hier. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir trotzalledem nicht alleine waren. Das sich Menschen irgendwo im Untergrund aufhalten mussten. Ich schaute kurz nach hinten. Liam lief mit großem Abstand nach. Er war wohl noch sauer auf Robin, was ich gut verstehen konnte. Als ich mein Kopf wieder nach vorne drehte, wanderte das braunhaarige Mädchen neben mir. Sie funkelte mich mit ihren dunkelbraunen Augen von der Seite an. »Hey..«, grüßte ich sie überrascht und legte meine linke Hand auf die Brust. »Danke das du mir geholfen hast.«, flüsterte sie und schmunzelte dabei leicht. »Das hätte jeder getan.«, tat ich ab und starrte auf ihre linke Augenbraue, die im Flugzeug stark geblutet hatte. Das Blut war schon fast vollständig verkrustet und hatte eine braune Farbe angenommen. »Wie geht es dir?«, fragte sie mich umsorgt und lenkte meinen Focus wieder auf das Gespräch zurück. »Prima.«, scherzte ich und atmete tief durch. Doch sie blieb ernst und hob eine Augenbraue an. »Schon besser. Wie heißt du eigentlich?« Ich fragte gleich zusätzlich noch, ob sie die Namen der anderen wusste. »Ally. Die Rothaarige Lynn und der charmante, braunhaarige Junge in der schwarzen Stoffjacke Taylor. Und du bist?«, bohrte sie nach. »Tracee. Was so viel heißt wie Domäne von Thracius. Frag nicht warum ich das weiß. Mir war langweilig.« Ich zuckte mit den Schultern, worauf Ally kichern musste. »Du gefällst mir.« Sie stieß mich am Arm und winkelte ihren Mund an.

Robin streckte seinen Arm nach oben und blieb abrupt stehen. Vor uns stand ein kleines Gebäude aus Beton. Allerdings ohne Türen und Fenster. Eine ganze Wand fehlte und der Boden war bröckelig und an manchen Stellen aufgerissen. Die Außen- sowie die Innenwände sahen heruntergekommen und abgeblättert aus. Alles in einem wirkte es nicht gerade stabil. »Hier werden wir die Nacht verbringen.«, raunte Robin und blickte sich um. Wir knallten uns auf den harten Boden. In unseren Gesichtern stand Erschöpfung geschrieben. Kein Wunder. Vor ein paar Stunden haben wir einen Flugzeugabsturz überlebt, sind kilometerweit über den Ozean gepaddelt und anschließend am Rande einer unheimlichen Stadt gewandert, die zudem auch noch menschenleer war. »Ihr braucht euch garnicht erst zu setzten. Zwei aus unserer Gruppe müssen nach Verbandsmaterial und Zeug zum Feuer machen suchen.«, blaffte er als er in die Runde schaute. »Ich würde sagen in diesem Fall diejenigen, die am Wenigsten gemacht haben.« Lynn nickte mit dem Kopf in meine und Liam's Richtung. »Wie hätte sie denn deiner Meinung nach helfen können? Sie wäre beinahe ertrunken. Ist logisch das sie nicht behilflich sein konnte. Außerdem habt ihr euer Leben ihr zu verdanken.«, prustete Liam und fuchtelte wütend mit den Armen. »Dann gehst du eben alleine, mir egal.«, brodelte es aus Lynn heraus, die anschließend nach draußen stapfte und sich an die Wand mit abgesenkten Kopf lehnte. Auch Liam wandte sich ab und marschierte los. Der Rest der Truppe setzte sich in einem kleinen Kreis zusammen. »Setz dich.« Ally klopfte mit der Handfläche ein paar Mal auf dem Boden. »Ne, ich.. helf lieber Liam bei der Suche.« Ich ging durch die große Öffnung raus und sah ihn vom Weiten einen schmalen Weg entlang laufen. »Warte!«, rief ich und stolperte zu ihm. Mein Knie schmerzte mit jedem Schritt. Dennoch wollte ich mich nützlich machen. Er lächelte leicht, dann wurde seine Mine wieder ernst. »Geh zurück.«, befahl er streng, doch ich ignorierte ihn einfach und lief voraus.

Ein paar Meter weiter lagen vereinzelt Äste unter einem alten Baum. Ich sammelte sie auf während Liam in eines der Hochhäuser einstieg. Als er wieder rauskam, trug er verschiedene, abgenutzte Stoffe und ein Feuerzeug mit sich. Es war nun stockdunkel. »Das sollte fürs Erste reichen.«, meinte er und wollte schon wieder zurück zu den Anderen laufen. Als plötzlich laute, unmenschlich klingende Schreie erschallten. Ich duckte mich reflexartig nach unten. Ein Schauer lief mir den Rücken runter. »Was war das?«, fragte ich und flüsterte so leise wie ich konnte. Liam zuckte mit den Schultern. »Kein Ahnung. Lass uns lieber von hier verschwinden.« Ich setzte zum Laufen an, als es hinter mir knackste. Ich wirbelte herum, Liam tat es mir gleich. Eine dunkle Gestalt bewegte sich schnell auf mich zu. Mein Herz klopfte und meine Knie zitterten. Ich bereitete mich auf einen Angriff vor und hob meine Arme zum Schutz vor meinen Bauch. Liam zündete hastig einen Stock an und benutze ihn als Fackel. Als ich erkannte, was vor mir stand, sprang ich einen Schritt zurück.

𝘛𝘩𝘦 𝘐𝘴𝘭𝘢𝘯𝘥 𝘞𝘪𝘵𝘩𝘰𝘶𝘵 𝘔𝘦𝘳𝘤𝘺 ||【open】Where stories live. Discover now