Kapitel 2 - Die Wahrheit

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»Tracee, aufwachen.« Meine Mum rüttelte sanft meine Schulter.
»Wir sind da.« Vorsichtig öffnete ich meine Augen zu schmalen Schlitzen, um mich allmählich an das Tageslicht zu gewöhnen. Noch verträumt und mit unklarer Sicht, schnallte ich mich ab und stieg langsam aus. Währenddessen holte Mum schonmal die Sachen aus dem Auto und stellte sie auf den breitgebauten Gehweg ab. Mittlerweile sah ich den überwältigend, großen Flughafen. Ich musste hier schonmal gewesen sein, denn er hatte etwas Vertrautes.

Wir liefen gemeinsam zum Eingang. Verschiedene Gesichter traten uns mit ihrem Gepäck entgegen und verließen die Halle. Sie war gigantisch. Licht überflutete den Raum durch seine hochpolierten, glänzenden Glaswände. In der Mitte hing ein großes weiß-rotes Modell-Flugzeug von der Decke. Es herrschte zu meiner Überraschung eine recht angenehme Lautstärke. Lange Schlangen bildeten sich unermüdlich an den Schaltern. Ein paar vereinzelte Durchreisende standen nachdenklich vor der Informationstafel. Klar, dass man bei den Anzeigetafeln schnell den Überblick verlor, bei den ganzen Symbolen und Fachbegriffen.

Meine Mum lief in zügigen Schritten voraus zu einen der nummerierten Terminals. Nach einer halben Stunde kamen wir dran. Eine blonde Frau mit hochgesteckten Haaren und einer dunkelblauen Uniform lächelte uns mit ihren rosaroten vollen Lippen an.
»Guten Tag.«
»Hallo. Hier ist einmal das Flugticket meiner Tochter und ihr Gepäck.« Sie gab der freundlichen Dame die Karte.
»Mh hm, haben Sie auch den Personalausweis dabei?«
»Selbstverständlich.«,erwiderte Mum und legte meinen Perso zu der Karte.
»So, dann dürfen Sie das Gepäck auf die Waage stellen.«
Während ich stillschweigend das Geschehen beobachtete, befolgte sie die Anweisung der Dame und stellte die Sachen auf die Metallfläche ab.
»Mit ihrem Gepäck geht alles in Ordnung. Es wird schonmal im Frachtraum verladen.« Sie bückte sich zum Gepäck vor und brachte eine Banderole an meinen Rollkoffer an. Schließlich stellte sie es zu ihrer Seite ab.
»Dann bekommen Sie einmal Ihren Personalausweis zurück und dazu noch die Boardingkarte. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.« Mum bedankte und verabschiedete sich.

Wir liefen zurück zur Hallenmitte, wo sich auch der Ein- und Ausgang befand und anschließend geradeaus bis zum Aufzug. Links vom Aufzug gab es auch eine Treppe, doch ich hatte keine Lust mich bis nach oben rauf zu schleppen. Nach dem sich die Tür wieder öffnete, sah ich in der Ferne auch schon eine kleine Truppe Jugendlicher und einen größeren, muskulösen Mann mit olivgrünem Tanktop, der ein Brett fest in seiner Hand umklammert hielt. »Sind das die Anderen?«, fragte ich und schaute meine Mum, die links von mir lief, fragend an.
»Ja, dass müssten sie sein.«, sagte sie ruhig. Meine Schritte wurden immer kürzer und langsamer, um Zeit raus zu zögern. Ich spürte wie sich die Blicke der Anderen auf mich legten.

»Sind Sie Mr. Nolan?« Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich gepresst. Er musterte uns mit seinen dunklen braunen Augen von unten nach oben. »Das ist korrekt. Sie müssen Miss Pomeroy sein.« Er zuckte ein Augenbraue nach oben. Seine Stimme klang kräftig, wie als hätte er eine lange Zeit dem Militär gedient. Meine Mutter nickte und beobachtete, wie er einen blauen Haken auf eine Check-Liste setzte. Dann schaute er uns wieder an. »Sie haben 3 Minuten Zeit sich von Ihrer Tochter zu verabschieden.«, äußerte er sich kalt und wendete sich zu den anderen Jugendlichen ab.

Meine Mum blickte mit tränengefüllten Augen auf mich ab. Gleichzeitig hielt sie mich leicht an den Handgelenken fest und strich mit den Daumen in kreisenden Bewegungen über meinen Handrücken. »Ich will nur dein bestes, verstehst du? Weil ich dich liebe. Wenn du dich anstrengst, werden wir uns schon bald wieder sehen. Das verspreche ich dir.« Entsetzung machte sich in mir breit. Ich verstand das alles nicht, doch hatte ich das Gefühl, dass ich es schon bald erfahren werden würde.

»Die Zeit ist um. Komm mit.« Der große Mann berührte mich am Rücken und drückte mich nach vorn.
»Fass mich nicht an.«, zischte ich und schlug seinen Arm weg. Er grinste nur leicht, was mich anwiderte. Ohne weiter zu zögern lief ich schließlich der Gruppe hinterher. Ich war mir ziemlich sicher, dass mir Mum noch eine lange Zeit hinterher sah. Wenn sie wirklich nur das "beste" für mich gewollt hätte, dann wäre sie nach Dad's Tod mehr für mich dagewesen und hätte die Zeit nicht mit einer vollen Flasche Wodka verbracht.

»Ziemlich blöd, was?« Ein blondes Mädchen, mit lockersitzendem Dutt und zarter Stimme verlangsamte ihr Tempo, bis sie auf meiner Augenhöhe war. Ich nickte. »Hast du eine Ahnung wo wir hinfliegen?« Das Mädchen starrte mir direkt in die Augen und fing an zu lachen. »Schonmal auf deine Boardingkarte geschaut?« Ich schüttelte den Kopf. An die hatte ich garnicht mehr gedacht. Ich verlangsamte meine Schritte und wühlte in der Tasche rum. Da ist sie. Ich hielt sie mit angewinkelten Armen vor mir. Mein Blick glitt von der linken oberen Ecke des Papierzettels nach unten. Und tatsächlich. Nun wusste ich es endlich. »Japan?!«, rief ich entsetzt. »Genauso ist es Süße.« Ich legte den Kopf in den Nacken und fuhr mit einer Hand durch meine schwarzen, langen und gewellten Haare, die locker auf meine Schulter fielen. Fassungslos blickte ich wieder zu dem Mädchen rüber. »Wie heißt du eigentlich?« fragte ich mit heißerner Stimme. »Miriam, aber nenn mich Miri. So werde ich von allen genannt.« Ein leichtes Lächeln machte sich auf ihr breit. Es erstaunte mich, wie sie in dieser Situation mit einer Leichtigkeit umging.

»Zack, zack, zack! «, drillte es von vorne. Mr. Nolan stand breitbeinig drei Meter vor uns und verschränkte seine Arme. Bis wir vor ihm stehen blieben. »Bewegt eure Hintern, im Flugzeug könnt ihr noch genug schnattern!«, zischte er und machte hektische Schwenkbewegungen mit seiner Hand. Ich griff fest an meine Rucksackträger und schaute ihm empört ins Gesicht. Doch dieses Mal grinste er nicht. Stattdessen biss er sich fest auf die Zähne. Zwischen den Augenbrauen bildeten sich Falten, die seinen Zorn abzeichneten. Widerwillig liefen wir ihm dicht hinterher. »Der hat sie doch nicht mehr alle.«, flüsterte Miri mir direkt ins Ohr. Ich konnte mir ein leises Kichern nicht verkneifen.

Die Gruppe hielt an. Vor uns befand sich eine Kontrollstelle, die durch elektronische Schranken gesichert war. Mr. Nolan erklärte uns, was wir zu tun hatten und sorgte dafür, dass wir uns hintereinander aufreihten.
Bei dem ersten, schwarzhaarigen Jungen wurde direkt erstmal die Zigarettenschachtel eingezogen.
»Gebt mir meine verdammten Kippen zurück!«, schrie er aggressiv und ballte die Hände zu Fäusten. Unbeeindruckt packte Mr. Nolan ihn wie einen räudigen Hund im Nacken und zog ihn zur Seite. Er flüsterte ihm etwas zu und stoß ihn anschließend nach vorne Richtung Ausgang. Diese "Vorführung" hatte Auswirkung auf die Anderen, denn diese schwiegen nur und führten den Kontrollvorgang gezwungenermaßen durch.

Nach dem alle Anderen dran waren, kam ich an die Reihe. Ich kramte Gegenstände aus Metall und mein Handy hervor, die ich anschließend in ein extra Schälchen reinlag. Zudem stellte ich mein Handgepäck auf das Fließband. Währenddessen winkte mich eine Kontrollkraft zum Sicherheitsscanner. Ich lag sämtliche Kleidungsstücke bis auf mein Unterhemd und die Hose ab. Nach der Prüfung wurde ich schließlich freigegeben, denn bis auf zwei Zigarettenpackungen, konnten sie nichts unerlaubtes oder bedrohliches finden.

Den Schildern nach liefen wir zu unserem Gate und nahmen auf den Sitzbänken Platz bevor das Boarding began. »Aufgepasst!«, brüllte Mr. Nolan in die aufgewühlte Menge. »Jeder von euch hat seinen Sitzplatz einzuhalten. Es wird nicht getauscht!« weiter plärrte er »Alle elektronischen Geräte sind bei mir in der Kiste abzugeben! Auf geht's!«
Empörung und Entsetzung standen uns auf der Stirn geschrieben. »Das können sie von uns nicht verlangen!«, rief ein blonder Junge mit schwarzer Cap. »Natürlich kann ich das. Ich habe die Einverständniserklärung eurer Eltern.«, erklärte er wie selbstverständlich in die Runde und lächelte dabei. Zwangsläufig gaben wir unsere Handy's ab und marschierten zu unseren Sitzplätzen.

Es war im Verhältnis zu den sonstigen Flugzeugen eine merkwürdig kleine Flugmaschine. Die königsblauen Sitze waren wie in einem Schulbus aufgereiht. Ich huschte den schmalen Gang entlang bis zu den mittleren Sitzplätzen im Heckbereich. Mein Sitzplatz befand sich zum Glück am Fenster. Ich nahm mein Handgepäck mit auf den Platz und stellte es zwischen die Beine. Wenig später ließ sich ein schwarzhaariger Junge, der sich vorhins schon an der Kontrollstelle wegen Einzug seiner Kippen aufgeregt hatte, neben mich fallen. Sein Gesicht war schmal und herzförmig. Er hatte ein schwarzes Shirt an und funkelnde, blaugrüne Augen. Erst jetzt begann ich zu merken, dass er mich beobachtete. »Was glotzt du so bescheuert?« motzte ich und schaute ihn misstrauisch an. »1. Ich glotze nicht und 2. habe ich aus dem Fenster geschaut. Also reg dich ab Kleine.« Kleine!? Für wen hält er sich?!
Wütend kehrte ich ihm den Rücken zu und verschränkte die Arme. Dabei bemerkte ich, wie sich das Flugzeug langsam in Bewegung setzte - bereit zum Abheben.

Nach dem wir uns in sicherer Höhe befanden, betrat Mr. Nolan den Gang. »Hört mal alle her!«, gröllte er und formte dabei seine Lippen zu einem spitzen Mund. Einige missachteten ihn dennoch.
»Das hier wird weder eine Urlaubsreise, noch ein Vergnügungstrip. Der Grund, warum ihr heute alle hier versammelt seid ist-«, er machte eine kurze Sprechpause. Nun hatte er selbst von denen, die noch leise getuschelt hatten, die volle Aufmerksamkeit. »dass eure Eltern euch für das Boot Camp angemeldet haben. Und dreimal dürft ihr raten, wer für euch zuständig ist.«

𝘛𝘩𝘦 𝘐𝘴𝘭𝘢𝘯𝘥 𝘞𝘪𝘵𝘩𝘰𝘶𝘵 𝘔𝘦𝘳𝘤𝘺 ||【open】Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt