Kapitel 5 - Rettung?

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Liam

Die Boeing begann plötzlich zu sinken. Tracee war bislang nicht wieder aufgetaucht und ein unruhiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich riss mir mein T-Shirt runter, holte noch einmal tief Luft und sprang kurzerhand in das klirrend kalte Gewässer. Dann ruderte ich die Stelle runter, an dem das Flugzeug vollständig versunken war.

Das Wasser brannte mir in den Augen, am Liebsten wäre ich wieder aufgetaucht. Doch mir war bewusst, dass wenn ich jetzt aufgegeben würde, sie für immer in der Tiefe des Meeres verloren bliebe. Zum ersten Mal war mir etwas Wichtiger, jemand Wichtiger, als ich selbst. Und dieses Gefühl wollte ich nicht nicht verlieren. Ich wollte sie nicht verlieren.
Adrenalin schoss mir durch den Körper. Ich spürte wie sich die Blutgefäße zusammenzogen und sich die Wärme im Zentrum des Körpers sammelte. Auch mein Herz pochte schneller als sonst.
Ich schwam weiter in Tiefe. Die verschwommene Sicht erschwerte es mir, Unterwasser etwas zu erkennen.

Etwas schemenhaftes Weißes glitzerte auf. Ich presste mich weiter nach unten. Dann sah ich sie mit weit geöffneten Armen und der Schwerkraft hingegeben. Ihre Lippen waren bläulich und ihr Mund leicht geöffnet. Die Augen standen offen und schienen so leer. Ich packte sie an der Kapuze und drängte mich nach oben. Mein Verlangen nach frischer Atemluft gab mir einen kräftigen Antriebsschub. Ich wurde müde. Meine Augenlider immer schwerer. Du schaffst das. Gib jetzt nicht auf.
Mit letzter Kraft tauchte ich an die Oberfläche auf. »Hier her!« schrie einer aus der Gruppe. Ich paddelte orientierungslos der Stimme nach.

»S-s-sie zu erst.« befahl ich zittrig und gab sie in die Hände der Anderen, die sich auf ein Bruchstück des Flugzeugs gerettet hatten. Sie griffen ihr unter die Achsel und hoben sie auf das Gerüst. Auch mir wurde eine Hand entgegen gestreckt. Erschöpft ließ ich mich auf das Metall niedersinken. Die Anderen knieten sich um Tracee herum. Ein blondhaariger Junge zog ihr den Hoodie aus und führte eine Herzdruckmassage durch, während die Anderen zusahen und um ihr Leben fieberten. »Sie... hat keinen Puls.« stammelte er und entfernte sich von ihr. Reflexartig kroch ich zu ihr und fuhr fort, wo er aufgehört hatte. Ich machte eine Mund-zu-Mund-Beatmung. »Dreh sie auf die Seite!« kam es von einer Rothaarigen. Als ich sie zur Seite drehte, vibrierte ihr Körper. Wie eine Fontäne schoss ihr das Wasser aus dem Mund.

Sie röchelte kurz und sog dann tief Luft ein. Ich half ihr, sich aufzusetzen und klopfte ihr leicht auf den Rücken. Sie spuckte das restliche Wasser aus, das sich in ihrer Lunge festgesetzt hatte. »Was zur Hölle hast du da drinnen gemacht?!«, schrie ich sie ungebändigt an. Sie redete kein Wort. Ich formte meine Lippen zu einem schmalen Strich. Als ich sachte an ihrer Schulter rüttelte und sie zur Rede stellen wollte, schubste mich ein blonder Typ nach hinten. »Lass sie in Ruhe.«, grölte er und schubste mich nochchmal. »Jonas!«, krähte eines der Mädchen. Das Wrack schaukelte ordentlich hin und her. Wasserspritzer peitschten mir in mein blutverschmiertes Gesicht. Die Stimmung war angespannt.

Was mischt dieser Junge sich ein, der soll sich mal verpissen und sich um seinen eigenen Scheiß kümmern. Ich zog meine Augenbrauen wütend zusammen. Es machte mich rasend, wie er sich behauptete und einen auf heilig tat. Schließlich war er derjenige, der Tray nach nur ein paar Reanimierungsversuchen aufgab. »Jetzt reicht's...«, wutentbrannt trat ich vor ihn. Ich holte weit aus und verpasste ihn eine mitten aufs Auge, woraufhin er sich direkt die Handfläche aufs Augenlid hielt. »Dich mach ich fertig!«, plärrte er und stoß mir mit seiner Faust direkt in die Seite. Ein pochender Stich durchfuhr meinen Körper. Ich biss meine Zähne fest zusammen und wollte erneut ausholen, hielt jedoch inne als die Rothaarige anfing laut zu röhren. »Leute! Da vorne ist eine Stadt! Wir sind gerettet!« Ich kniff die Augen zusammen und blickte in die Ferne. Tatsächlich. Ungefähr 2 Kilometer weiter entfernt, reihten sich Betongebäude nebeneinander auf.

»Wir paddeln dort hin bevor es dunkel wird.«, kommandierte Robin und warf einen Blick in die Runde. »Warte, was ist mit Miriam und den Leuten von der Fluggesellschaft?«, kam es schwach von dem braunhaarigen Mädchen, die von Tracee gerettet wurde. »Mädchen, kapier's doch. Denen kann man nicht mehr helfen. Die sind alle tot.«, knurrte Robin. Von seinen kaltherzigen Worten erschrocken, sank sie zusammen und legte ihren Kopf auf die angewinkelten Beine, damit ihr niemand ins Gesicht schauen konnte. Ich konnte hören wie sie leise schluchzte. Was für ein Hundesohn. Ein braunhaariger Junge, der mir zuvor noch nicht aufgefallen war, kniete sich neben ihr und flüsterte ihr ins Ohr. Er musste ihr etwas aufmunterndes zugesprochen haben, denn sie standen gemeinsam auf und halfen, dass "Floß" in Richtung Stadt vorwärts zu bewegen.

Während die Meisten am paddeln waren, hockte ich mich wieder zurück zu Tracee. Sie starrte immer noch ins Nichts. Als wäre sie in Trance oder einer Schockstarre. Mein Blick richtete sich zum Boden. Ich wollte sie nicht bedrängen, weshalb ich auch nichts sagte. Die Wellen wurden zunehmend kräftiger und Wasser platschte immer wieder auf die Oberfläche. »Danke.«, ertönte es unerwartet. Ich faltete meine Hände und nickte. »Als ich noch ein kleines Mädchen war, hatte mein Dad einen Unfall...« Sie machte eine kurze Sprechpause und holte tief Luft. »Ein Lastwagenfahrer hatte die Kontrolle über seinen LKW verloren und raste frontal in seinen Wagen. Er verstarb noch vor Ort. Ein Tag zuvor gab er mir eine Schachtel, in der sich das befand.« Sie streckte mir ihren Arm entgegen und schaute auf die Uhr. Sie glitzerte im Licht der Sonnenröte. »Sie ist das Einzige was von ihm übrig blieb.« Ich schaute in ihre funkelnd grünen Augen und erkannte keine einzige Träne darin. Irgendwas musste vorhins passiert sein, dass sie anders denken ließ. Etwas, was nur sie verstehen konnte. »Es tut mir Leid.«, wisperte ich. »Ich bin mir sicher, dass dein Dad heute stolz auf dich gewesen wäre. Du warst mutig und hast ohne zu zögern dein Leben riskiert.« Sie lächelte leicht und schaute zum Himmel. Ich sah wieder zur Stadt, die nicht mehr weit entfernt schien und war überzeugt:
Bald sind wir gerettet.

𝘛𝘩𝘦 𝘐𝘴𝘭𝘢𝘯𝘥 𝘞𝘪𝘵𝘩𝘰𝘶𝘵 𝘔𝘦𝘳𝘤𝘺 ||【open】Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt