Was sich eine Insel wünscht Part 13

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„Wie alle Männer!" hörte ich, noch bevor ich die Augen aufschlug. Sofort spürte ich, dass etwas anders war. Ich lag nicht mehr im weichen Sand des Strandes. Mein Leib schmerzte über einer sehr harten Unterlage und drückte in meine Nieren. Ich lag auf dem Rücken und konnte den Kopf nicht richtig bewegen, spürte eine Einschränkung um meinen Hals. Meine Hände und Füße waren festgezurrt. Dann tat ich die Augen auf.

Ich lag angeschnallt auf der Bascule, mein Kopf war in die Lunette fixiert. Ich hatte keine Ahnung, wie ich hierher gekommen sein konnte. Ich hörte Lydia hüsteln. Über mir ragte der Rahmen empor, und ganz oben sah ich die angeschrägte Klinge des Fallbeils, die auf mich hinunter sah.

„Lydia ..."

„Sie sollen mich nicht so nennen!"

Die unbarmherzige Angst, ja die heiße Panik, bemächtigte sich meines Leibes. Es war unmöglich, mich zu rühren.

„Werte Frau, wer hat mich hierher gebracht? Wie konnte das-"

„Ich habe ihnen doch gesagt, dass ich sehr stark geworden bin. Ich bin eine Frau, verstehen sie?"

„Sie müssen mich losbinden! Verstehen sie mich!"

„Männer dürfen hier nicht in ihrer humanoiden Konstitution fröhlich sein."

„Lydia- ich meine, wie soll ich sie nennen?"

„Namen, immer Namen. Wenn sie unbedingt wollen, nennen sie mich Aso-Cisaboris. Aus ihrem Munde sei der Name Lydia ausgewaschen."

„Sie wollen, dass ich sie mit dem Namen der Insel anrede?"

„Wenn es ihnen so wichtig ist zu reden, dann reden sie wenigstens von Dingen, die mich bewitzeln könnten. Gleich wird Stille herrschen."

„Bitte, sie müssen mich losbinden! Das ist kaltblütiger Mord, verstehen sie! Es werden mehr Männer kommen und mich suchen. Die ganze Insel wird von Suchmannschaften gestürmt werden. Dann ist es vorbei mit ihrer Idylle, Aso-Cisaboris! Machen sie mich los! Ich bin nicht Edward!"

„Eddie, Wally - Wally, Eddie, so ein dungbesudeltes Geschwäfele. Lydia, Lydia, der ungefüllte Geist in einem so wertvollen Leib. Bestäubt hat sie frohlockt. Nun kann sie ruhen und zuschauen."

Trotz meiner beinah alles beherrschenden Todesangst begann ich zu verstehen:

„Soll das heißen, Lydia wurde ebenfalls getötet? Ihr Geist, ihr Bewusstsein? Hat diese Insel sie zu Aso-Cisaboris gemacht? Sind sie so etwas wie die Repräsentantin der Insel?"

„Böser Mann, dummer Mann, kopfloser Mann. Ich bin die Insel."

„Großer Gott ..."

Langsam ging mir ein Licht auf, wieso sie so komisch sprach. Falls die Insel so etwas wie ein eigenes Bewusstsein besaß und es mit dem von Lydia verschmolzen ist – falsch. Es verschmolz nicht mit Lydia, sondern verschlang sie, wobei es wie bei einer analogen Kopie zu Fehlern kam, zu verdrehten Gedankengängen, auch auf sprachlicher Ebene. Ich musste sogar froh sein, dass sie nicht in irgendeinem pazifischen Eingeborenenkauderwelsch sprach.

„Da du die Insel bist, dann hast du bestimmt viele böse Dinge erlebt, die Landung vieler böser Männer, die anderen bösen Männern das Haupt abgeschlagen haben. Bestimmt hat dich das verwirrt und dich glauben lassen, alle Männer seien solche barbarischen-"

„Die Männer haben mir das Leben gebracht. Du hast ja keine Ahnung, Wally. Ich war bis zum Auftauchen der Menschen nur ein sandiges Atoll, ein Sandhaufen ohne jegliche Bäume und Sträucher. Es gab nur einige wenige Sporen, die irgendwann von weither hierher gespült worden waren. Die Menschen brachten mir das Grün, die Vielfalt, die Früchte. Meine Seele."


Was sich eine Insel wünschtWhere stories live. Discover now