Kapitel 41 - Martha

1.5K 94 10
                                    

Ich fühle mich fehl am Platz. Ich weiß nicht, woran es liegt. Eine prunkvolle Krönungszeremonie klingt in mir nach, das Bild von Titus in einem großen, schweren Mantel mit Krone, Zepter und Reichsapfel schwebt vor meinen Augen. Ich höre die Rufe: Gott schütze den König! Um mich herum ist der Ball in vollem Gange, goldene Banner wehen von den Emporen und die Menschen schnattern so ausgelassen, wie noch lange nicht mehr. In meinem ausladenden Kleid strahle ich mit den Kerzen um die Wette. Und doch weiß ich nichts mit mir anzufangen. Es ist zu Ende, denke ich immer wieder. Wir sind am Ziel. Und doch habe ich keine Ahnung, wohin es mit mir gehen wird. Ich kann nicht mehr sagen, wo mein Platz ist. Ich glaube nicht, dass ich zu meinem Vater zurückkehren kann in unser bescheidenes Haus mit der Aussicht, irgendwann einen Farmer oder Kaufmann zu heiraten. Ich möchte etwas bewirken. Aber ich weiß auch nicht, ob mein Platz hier, im Palast ist. In meinem Kopf manifestiert sich ein Leben, in dem ich hier wohne, bei allen gern gesehen bin. Aber meine Tage ziehen an mir vorbei, ohne dass ich eine Aufgabe habe. Die Menschen sprechen von mir und sagen: Schau, was sie getan hat und nicht Schau, was sie alles tut.

Aus irgendeinem Grund erscheint es mir verlockender, in die Vergangenheit zu schauen. Man sollte meinen, ich hätte eine Menge bewegt in all der Zeit. Ich bin nicht nur vermeintlich zur Reichsverräterin geworden, sondern habe auch alles wieder ins Lot gebracht. Calia hat einen neuen König, ich brauche keine Geheimnisse mehr zu hüten und meine Familie ist soweit miteinander vereint, wie es eben möglich ist bei einem kauzigen Vater, einer offiziell in Haft stehenden Schwester, einer bis über beide Ohren verliebten anderen Schwester und dem ungeselligen, unkonventionellen Ich. Trotz meiner respektierten Stellung bei Hofe traut sich niemand so recht an mich heran. Die einen haben Angst, ich könne sie für ihre Gleichgültigkeit und Unwissenheit verurteilen, die anderen wissen schlicht und einfach nicht, worüber sie sich mit mir unterhalten könnten. Und so kommt es, dass ich nun doch während eines Balls am Buffet gestrandet bin und versuche, mich in dem Traum aus Lavendel und Gold, den ich trage, unsichtbar zu machen. Baron von Lepold, meine Begleitung für den Abend, habe ich das letzte Mal vor einer halben Stunde gesehen, als er sich mit gewichtiger Miene ins Kartenzimmer verzogen hat.

Ich greife nach einer der winzig portionierten Teigtaschen und schiebe sie mir in den Mund. Als sich mir von hinten eine Hand auf die Schulter legt, verschlucke ich mich fast vor Schreck. Ich blicke mich um und sehe in Hennas lachende Augen. Hinter ihr taucht Moritz aus dem Gewühle auf.

„Sieh einer an, um deine Gesellschaft muss es ja ganz furchtbar bestellt sein, wenn wir dich beim Essen finden", meint er verschmitzt. Ein paar Gäste, die in der Nähe stehen, spitzen die Ohren. Seit wir offiziell unsere Verlobung gelöst haben, warten viele auf einen Skandal, darauf, dass wir verletzte Gefühle zum Ausdruck bringen oder uns ignorieren. Doch unser Verhältnis ist besser denn je, wir haben sogar angefangen, uns zu duzen, was für allgemeine Irritation sorgt.

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Aus irgendeinem Grund machen viele einen großen Bogen um mich. Ich hoffe, es liegt nicht an dem ausladenden Kleid." Henna muss schmunzeln. Moritz entschuldigt sich, um etwas zu trinken zu holen und verschwindet in der Menge. Meine Schwester sieht ihm sehnsüchtig nach.

„Er ist wunderbar für dich", sage ich mit aller Aufrichtigkeit. Sie blickt mich an. „Das finde ich auch. Er gibt sich so viel Mühe mit mir und bringt mich zum Lachen... Ich habe nie geglaubt, dass ich mit einem Mann so glücklich werden kann." Auf einmal wird sie unsicher. „Du weißt, Moritz hat mir alles erzählt. Dass euer Verlöbnis nur eine Ablenkung war... Aber ich frage mich, ob es dich wirklich kein bisschen stört, dass er sich so um mich bemüht." Ich schüttele bestimmt den Kopf. „Henna, ich habe ihn mir stets als Schwager gewünscht, nie als Ehemann." Sie wird rot und gemeinsam mit dem strahlenden Lächeln sieht sie einfach nur wunderhübsch aus.

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt