Kapitel 30 - Martha

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Das Gefährt wackelt und schaukelt und mit jedem Stein, über den wir unsanft holpern, stoße ich mir die Rippen an den Holzbänken im Inneren der Kutsche. Wir sind in einem halsbrecherischen Tempo unterwegs und ich bin froh darüber. Der Schmerz dringt kaum zu mir durch, zu sehr sind meine Adern von Adrenalin und mein Kopf von der Sorge um Titus durchflutet. Er liegt am Boden der Kutsche und sieht von Nahem noch viel blasser und misshandelter aus als aus der Ferne. An ihm haftet der feuchte, schimmlig stinkende Geruch des Kerkers und sein Hemd ist zerfetzt und blutdurchtränkt. Sollte er von einer Infektion verschont bleiben, würde es an ein Wunder grenzen. Durch sanfte Klapse im Gesicht versuche ich verzweifelt, ihn ins Bewusstsein zurückzuholen. Dabei rede ich ununterbrochen auf ihn ein. Ich weiß nicht, wem ich damit Mut zusprechen möchte. Ihm oder mir selbst.

„Titus? Titus, kannst du mich hören?" Meine Stimme bricht. Ich schere mich schon lange nicht mehr um Förmlichkeiten, schon gar nicht um irgendwelche Titel. Meine Augen sind von Tränen verschleiert. Wie soll ich das bloß schaffen? Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Moritz in die Kutsche steigen zu lassen. Sicherlich nicht besser für mich oder für den Grafen selbst, aber womöglich besser für den verwundeten Kronprinzen. Er bräuchte in seinem Zustand eine starke Stütze, keine zarten Frauenhände.

„Wir bekommen dich wieder hin. Ich habe einen Plan. Aber du bist auch Teil des Plans, also mach bitte die Augen auf." Die Kutsche holpert über einen Stein und mein Kopf stößt unsanft gegen die Tür. Ich fluche, werde jedoch unterbrochen von einem Husten. Sofort ist meine Aufmerksamkeit wieder beim Prinzen. Sein Blick ist glasig, doch er versucht, mich zu fokussieren.

„Mein Rücken", stöhnt er und ich stelle mir mit einem Schaudern vor, was für Schmerzen er haben muss. „Ich weiß", sage ich sanft und wische ihm mit dem Ärmel meines Kleides den Schweiß von der Stirn, damit er nicht in seine Augen rinnt. „Sie müssen durchhalten. Ich hoffe, dass wir bald Hilfe bekommen." Sein Mundwinkel zuckt ganz leicht. „Sie schaffen doch alles, was Sie wollen. Die Kugel war so gut wie abgeschossen und trotzdem bin ich nicht tot. Manchmal wüsste ich gerne, wie Sie das machen." Das Reden strengt ihn sichtlich an, doch es hält ihn wach. Und so stelle ich weiter Fragen, damit er bei mir bleibt.

„Sie wussten, dass er Sie zum Tod verurteilt, nicht wahr?" Er hustet wieder, krächzt dann jedoch eine Bestätigung. „Wir haben es nicht kommen sehen. Niemand hat es geahnt. Wir dachten, er würde Sie verbannen." Titus zieht zischend den Atem ein. „Er würde kein Urteil über mich sprechen, das rückgängig gemacht werden kann. Und in diese Kategorie fällt nur die Todesstrafe."

Die Kutsche kommt holpernd zum Stehen und kurz darauf wird die Tür geöffnet. Ich blicke den Kutscher verwirrt an. Er räuspert sich. „Edle Dame, wir sind sehr nah am Anwesen der Familie von Kroesus. Es ist zu gefährlich, Sie bis an den Eingang zu fahren, die Wege hier sind nicht befestigt und die Räder hinterlassen Spuren im Boden, die der Prinz verfolgen könnte. Ich fürchte, Sie müssen ein Stück zu Fuß gehen und ich werde die Kutsche wieder fort lenken."

Ich spähe an dem Mann vorbei. Wir befinden uns in einem Wald. Ich weiß nicht, ob mich das freuen oder in die Verzweiflung treiben soll. Eine gerade Straße wäre leichter zu begehen, die Bäume bieten uns jedoch Deckung, sollten wir nur langsam vorankommen. Der Kutscher schluckt. „Es tut mir leid, Edle Dame. Ich würde einen anderen Weg wählen, wenn es ihn gäbe. Werden Sie es schaffen?"

Ich schaue auf Titus, der einigermaßen klar meinen Blick erwidert. „Ich muss", sage ich. Langsam schiebe ich mich aus dem Gefährt heraus, bis ich mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehe. Gemeinsam versuchen wir, Titus so schmerzfrei wie möglich zu bewegen, doch ich sehe, wie er mit verzerrtem Gesicht die Zähne zusammenbeißt. Er ist wacklig auf den Beinen und als ich seinen Arm um meine Schultern lege, merke ich sofort, wie sein Gewicht mich niederdrückt. Denn trotz all der Strapazen ist er immer noch ein großer, muskulöser Mann.

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt