Kapitel 34 - Martha

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Der Fürst schließt die Tür zu seinem Arbeitszimmer und gesellt sich zu uns an den Ecktisch. Der gesamte Raum ist sehr praktisch eingerichtet. Die dunklen, hohen Regale sind schlicht gehalten und mit dem Alphabet beschriftet, der massive Schreibtisch besitzt nicht solch eine Aura wie jener in Eventus' Studierzimmer, sondern erinnert ein wenig an eine Ladentheke mit unzähligen Schubfächern und Ablagen. Und schließlich die Sitzecke, die Platz bietet für an die sechs Personen und perfekt scheint für Planungen, Konferenzen und Gespräche. Es ist dieses Schnörkellose, was mir ein Gefühl von Zuhause vermittelt. Hätte mein Vater einen so großen Raum zur Verfügung gehabt, er hätte ihn wohl ähnlich eingerichtet. Die Möbel sollen keine Kunstwerke sein, sondern einem Zweck dienen.

Titus zupft nervös an seinem Hemdsaum. Offenbar macht es ihn beklommen, den Fürsten nicht gut einschätzen zu können. Oder aber, und das ist es, was mir Nervenflattern verursacht, er ist sich bewusst, dass alles daran ist, Realität zu werden. Dieser Vorstoß, den wir mit der Unterstützung des Fürstenpaares wagen wollen, ist unsere letzte Chance, das Blatt zu wenden.

Theodora blättert durch einen Papierstapel, auf der Suche nach der Geburtsurkunde ihres Sohnes. Vor mir auf dem Tisch liegt Adalmars Abschrift der Zeugenaussage. Titus hat sich Papier und Tinte bereitgelegt, um eventuell nötige Notizen zu machen.

„Nun ist es also soweit", beginnt Alfons mit seiner angenehm tiefen Stimme und lässt sich auf dem Stuhl neben seiner Frau nieder. Augenblicklich entspanne ich mich. Der Fürst ist eine dieser Personen, die Selbstsicherheit und Gelassenheit wie einen Mantel tragen und, wo immer sie sind, eine tiefe Ruhe verbreiten. Ich habe das Gefühl, dass er wohl alles schafft, was er schaffen möchte und das gibt mir Sicherheit. „Zuerst einmal", er wendet sich Titus zu, „sollen Sie wissen, dass Martha uns genügend aufgeklärt hat, um Ihre Position bei Hofe und in der ganzen Intrige deutlich zu machen. Ich halte nicht viel von der Königsfamilie, aber ich habe auch keine speziellen Vorbehalte gegen Sie. Der Auslöser für unser Einschreiten ist natürlich der Namensmissbrauch meiner Frau, aber ich bin auch zu dem Entschluss gekommen, Sie zu unterstützen. Das soll heißen, solange Sie auf meinem Grund und Boden sind, werde ich alles tun, um Sie zu schützen." Ich sehe deutlich, wie eine große Last von Titus abfällt. Ich bin unglaublich froh, dass ich nicht zugelassen habe, dass Moritz ihn hierher begleitet. Natürlich hätte auch er sein Bestes gegeben, um Überzeugungsarbeit zu leisten und ohne ihn hätte ich nichts von all dem hier erreicht, aber ich habe auch das Gefühl, dass mein Verbündeter es sich in all der Zeit ein wenig zu bequem gemacht hat. Wäre ich Titus Freund gewesen und hätte ihm geglaubt, ich hätte nicht die Ruhe gehabt, seiner Degradierung über die Jahre zuzusehen. Und hätte ich auf Moritz gehört und nicht meinem eigenen Urteilsvermögen getraut, dann wären wir nun beide nicht hier und hätten niemals diese Unterstützung erhalten.

„Nichtsdestotrotz", fährt Alfons fort, „sind Sie beide auch hier nicht mehr sicher, sobald Eventus von unserer Anklage erfährt. Wenn wir nach all den Jahren diese Angelegenheit vor Gericht bringen, wird er wissen, dass Sie dahinterstecken. Und deshalb", er wechselt einen Blick mit seiner Gattin, „bitten wir Sie beide darum, dass Sie uns die Zügel in die Hand legen und uns vertrauen. Sie sollten noch heute unser Anwesen verlassen."

Ich schlucke, weil es viel verlangt ist. Erfolg und Misserfolg, auf alles hatten Titus und ich bisher direkten Einfluss. Doch nun kommen wir alleine nicht weiter. Mehr noch, unsere Anwesenheit gefährdet den gesamten Plan. Sollte Eventus uns aufspüren, bevor Fürst Alfons seinen Einfluss bei Hofe geltend gemacht hat und für Titus einen neuen Prozess eingefordert hat, wäre jede Chance auf Gerechtigkeit verloren. Titus ist vogelfrei und solange sein Todesurteil nicht aufgehoben wird, schwebt er in Lebensgefahr.

„Was ist deine Meinung dazu?", fragt Titus mich und ich muss keine Sekunde länger überlegen, was ich darauf antworten soll. „Du weißt, wie ungern ich die Kontrolle aus der Hand gebe", sage ich, „aber es scheint für mich der einzige Weg zu sein. Und ich vertraue ihnen. Beiden." Der Prinz nickt. „Dann bin ich auch damit einverstanden."

Alfons wirkt zufrieden. „Sehr gut. Ich habe einen meiner Förster gebeten, eine Zeit lang seine Hütte zu räumen. Dort sollten Sie nicht aufzuspüren sein. Natürlich ist mir bewusst, dass dies nicht Ihrem Standard entspricht, vor allem, da Sie sich noch erholen sollten... " Titus bringt ihn mit einer kurzen Geste zum Schweigen. „Sie sollten sich nicht in der Pflicht fühlen, sich für Ihre beispiellose Hilfe entschuldigen zu müssen. Ich habe schon Zeit im Kerker verbracht. Außerdem, da bin ich sicher, können wir es uns schon gemütlich machen." Er wirft mir einen Blick zu, der mich zu meinem Ärger erröten lässt. Theodora scheint es zu bemerken, denn sie fügt hinzu: „Ich möchte, dass Kassandra euch dorthin begleitet. Sie ist ein wirklich loyaler Mensch, aber unter Druck ein Geheimnis für sich zu behalten, gehört nicht zu ihren Stärken. Ich will nicht, dass sie zwischen die Fronten gerät. Und darüber hinaus wird der Tag kommen, an dem ihr unser gesamtes Vorgehen offenlegen werdet. Es könnte euren Ruf retten, wenn ihr die Anwesenheit einer Anstandsdame vorweisen könnt."

Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert sein soll. Allerdings bringt mich ein Gedanke unwillkürlich zum Grinsen: Kassandra ist wohl die schlechteste Anstandsdame, die man sich vorstellen kann.

***

Sorgfältig ordne ich die dicken Holzscheite pyramidenförmig im Kamin an, während Titus im Vorratsschrank stöbert und Kassandra dabei ist, einige Kerzen zu entzünden, um etwas Licht in die finstere Hütte mitten im Wald zu bringen. Vor dem Fenster ist bereits die Dunkelheit hereingebrochen. Vor einer halben Stunde hat Alfons uns persönlich hier abgesetzt und allein gelassen und seitdem herrscht zwischen uns eine Atmosphäre der geschäftigen Schweigsamkeit. Die Hütte riecht nach einem anderen Menschen, den wir nicht kennen, die Abgeschiedenheit hat uns isoliert, während zwei andere Personen nur ein paar Kilometer entfernt unser Leben verändern.

Ich habe das Holz fertig geschichtet und greife nun nach dem dünnen Reisig. Wieder einmal macht es sich bezahlt, dass ich in keinem reichen Haushalt aufgewachsen bin. Zwar hatten wir immer Margot, die unschöne Arbeiten für uns erledigte, aber mein Vater achtete stets darauf, dass wir eines Tages unserem Mann den Haushalt würden führen können. Das war lange vor Esthers Zeit als Hofdame, somit waren alle Ansprüche, die wir je wagten zu stellen, eines Tages Frau eines guten Farmers oder Händlers zu werden.

Ich erhebe mich aus meiner knienden Position und hole mir eine der bereits entzündeten Laternen, die allesamt vor Kassandra auf dem Tisch stehen. Mit einem Holzspan, den ich in die Flamme halte, entzünde ich das Feuer und bin tatsächlich ein klein wenig stolz auf mein Werk. Der Kamin schickt gleichermaßen Licht und Wärme in den Raum und sofort fühle ich mich wohler. Während Titus die Kerzen und Laternen noch im Raum und in dem kleinen angrenzenden Zimmer verteilt, lasse ich mich neben Sandra auf die Bank am massiven Eichenholztisch fallen. Mehr Möbel gibt unser Zufluchtsort auch nicht wirklich her. In einer Ecke befindet sich ein Vorratsregal und im Nebenraum ein Bett und eine Truhe, doch darüber hinaus scheint der Mensch, der hier lebt, nicht viel zu brauchen.

„Meinst du, wir können Titus dazu bewegen, das Bett zu nehmen?", fragt Kassandra leise flüsternd und schielt zur Tür, hinter der Besagter gerade verschwunden ist. Mein Mundwinkel zuckt bei dem Gedanken, was er wohl sagen würde, wenn er diese Erwägung mitbekäme. „Ich fürchte", murmele ich, „sein Rücken ist für ihn kein Argument, solange zwei Damen anwesend sind." Wie aufs Stichwort betritt Titus den Raum und meint: „Bei Licht betrachtet ist nebenan alles sehr eng. Das Bett reicht vermutlich nur für eine Person, also einigt euch. Ich werde hier irgendwo auf dem Boden schlafen..." Ich ziehe eine Augenbraue hoch und Kassandra lacht. Immerhin kann ich sie ohne große Anstrengungen überreden, das Nebenzimmer zu nehmen. Es ist zu klein für zwei Personen und ich möchte den beiden anderen, die sich kaum kennen, ersparen, hier miteinander auf dem Boden zu nächtigen. Darüber hinaus hätte ich ein schlechtes Gewissen. Kassandra ist in die ganze Sache hineingezogen worden, ohne sich je bewusst entscheiden zu können. Nun soll sie es wenigstens so bequem wie möglich haben. Was mich angeht, so ist es mir egal, wie ich schlafe. Mich ärgert nur, dass mein Herz anfängt, verräterisch zu klopfen bei dem Gedanken, neben Titus auf dem Boden zu liegen.


Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt