Kapitel 37 - Titus

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In dem Moment, in dem Oberrichter Dahson den Hammer niedersausen lässt, bricht ein Tumult aus. Die Adligen, welche all die Prozesstage lang den Gerichtssaal bevölkert haben – nicht weil sie etwas von Recht und Gerechtigkeit halten oder verstehen würden, sondern weil sie einfach zu den ersten zählen wollen, die eine große Neuigkeit erfahren – brechen in Geschnatter und ungläubige Wortwechsel aus. Ich zittere am ganzen Leib, so sehr hatte sich die Anspannung in meinem Körper festgesetzt und so schnell verlässt sie mich nun, wo alles ausgestanden ist. Einige Meter entfernt, mir direkt gegenüber, sitzt Eventus. Ich sehe keine bösartige Regung in seinem Gesicht, keinen Hass und keine Wut. Ihm ist vor Fassungslosigkeit die Kinnlade heruntergeklappt und seine Augen stieren ins Leere.

„Hoheit, ist alles in Ordnung mit Ihnen?", fragt mein rechtlicher Beistand Doktor Goran besorgt und ich nicke mechanisch. Ich kann es nicht glauben. Ich kann es einfach nicht glauben. „Ich verdanke Ihnen unglaublich viel, Dr. Goran", setze ich an, doch er schüttelt den Kopf. „Es war mir eine Ehre, Kronprinz. Und – mit Verlaub – ich habe nicht das Gefühl, viel getan zu haben. Fräulein Martha Griffel hat gestern das Blatt gewendet. Sie können sich glücklich schätzen, eine solch loyale Person auf Ihrer Seite zu haben." Zweifellos hat er damit Recht.

Er wendet sich einem anderen Herrn zu, der ihn zu seinem Erfolg beglückwünschen will und ich nutze für mich die Gelegenheit und ergreife die Flucht. Ich habe viel hinter mir zu lassen, soviel ist sicher. Aber für den Moment genügt es mir völlig, diesem Ort zu entkommen. Ich trete aus dem Gerichtssaal, allein und frei. Ich werde von niemandem überwacht, ich bin nicht mehr rechtlos in meinem eigenen Zuhause. Im Gegenteil, ich werde bald meiner Bestimmung folgen. Ich werde bald König sein.

Ein Lächeln tritt auf mein Gesicht, als ich Martha einsam im Gang vor der schweren Eichenholztür sehe, wie sie unruhig auf und ab läuft. Sie muss sich so fühlen, wie ich noch vor wenigen Minuten. Es rührt mich, dass ihr offenbar so viel an mir liegt. Und es macht mich glücklich. Ich räuspere mich und sie bleibt ruckartig stehen. Ihr Blick schnellt zu mir.

„Titus? Geht es dir gut? Wie ist es ausgegangen?", sprudeln die Fragen aus ihr heraus. Langsam tritt ein breites Grinsen auf mein Gesicht. „Liebste Martha, ich hoffe sehr, dass du Ehrengast auf meiner Krönung sein wirst." Einen Moment lang scheint die Wirklichkeit nicht bei ihr anzukommen, genau wie bei mir gerade eben bei der Verkündigung des Urteils. Dann schlägt sie die Hände vor den Mund. „Wirklich?" Ich lache befreit. „Wirklich. Und ich habe keinen Moment daran gezweifelt, weil das bedeutet hätte, an dir zu zweifeln. Und das wäre mir nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen in den Sinn gekommen."

In Marthas Augen sehe ich Tränen glitzern. Sie löst sich aus ihrer Erstarrung, rennt auf mich zu und wirft sich in meine Arme. Sollte sie Vorbehalte bezüglich einer Beziehung mit mir haben, so sind diese durch ihre Freude offenbar vergessen. Und ich bin so froh darüber. Ich glaube, ich bin ihr noch nie so nah gewesen, habe noch nie so intensiv ihre Wange an meiner Wange und das Kitzeln ihrer leicht widerspenstigen Haare in meinem Gesicht gespürt. Dieser Moment kommt dem Traum einer gemeinsamen Zukunft so nahe. Aus einem tiefen Glücksgefühl heraus löse ich mich ganz kurz von ihr, nur um sie im nächsten Moment noch näher an mich zu ziehen und sie zu küssen. Einen Augenblick lang scheint sie überrascht und unschlüssig zu sein, doch dann wird sie weich in meinen Armen und küsst mich ebenfalls. Dieser Moment ist so wunderschön, dass er es mit hundert Freisprechungen aufnehmen könnte.

Ich hätte noch ewig so verharren können, doch als Geräusche durch die Tür dringen und Bewegung in die Menschen im Gerichtssaal kommt, unterbricht sie den Kuss und macht sich von mir los.

„Ich sollte gehen, bevor uns jemand sieht", sagt sie leise und senkt den Blick. Ich seufze. „Martha, von mir aus kann alle Welt sehen, dass ich..." Sie bring mich mit einer Geste zum Schweigen. „Sag nichts, Titus. Sag bitte nichts. Ich würde mich schlecht fühlen, dich in irgendeine Situation gedrängt zu haben. Wir sind gute Verbündete gewesen. Aber das musste irgendwann ein Ende haben. Wir hatten ein gemeinsames Ziel und das haben wir erreicht. Und darauf bin ich wirklich stolz. Du hast bekommen, was du wolltest. Du bist genau dort angekommen, wo auch ich dich sehen wollte." Ich schüttele vehement den Kopf. „Wenn du wüsstest, Martha. Ich habe noch lange nicht bekommen, was ich wollte. Es macht mich glücklich, frei zu sein und König zu werden, aber das ist bei Weitem nicht alles, was ich will. Du kannst nicht meinen, was du sagst, denn was du für mich getan hast, das tun nicht einfache Verbündete füreinander. Das tun Menschen, die den anderen lieben."

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt