siebenundzwanzig 🌱

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Dass etwas mit mir nicht stimmte, das hatte ich wohl erkannt, aber mir tatsächlich Sorgen darüber zu machen, warum das alles passierte, warum gerade mir und warum es nur immer schlimmer wurde.. Dafür hatte ich weder die Zeit, noch die Nerven.

Mein Kopf war so sehr in diesem Ideal festgefahren, dass ich meinen Blick nicht mehr davon abwenden konnte, ich rannte auf dieses Ziel zu und entfernte mich doch nur immer weiter davon.
Und je schneller ich rannte, desto weiter entfernt kam mir das Ziel vor.
Also lief ich noch schneller.

Mein Körper lief auf Hochtouren, auch wenn ich mittlerweile nicht viel mehr tun konnte, als geistesabwesend in der Gegend herumzusitzen und nicht aufzufallen.

Meine Shirts passten mir nicht mehr, meine Hosen waren mir zu weit und doch schmerzte jede Berührung an meiner wunden Haut, als wäre der Stoff ätzende Säure.

Nach diesem Vorfall hatte ich immer häufiger Nasenbluten bekommen und es machte nicht nur mir, sondern auch Changbin schreckliche Sorgen, die er so leicht nicht verstecken konnte.

Mir war aufgefallen, dass er mich anders ansah, dass er sehr viel weniger lachte und auch weniger sprach, doch ich schob es auf meine eigene Aktivität, die in letzter Zeit auch erheblich nachgelassen hatte.

Ich erkundigte mich im Internet und in Zeitschriften, verbrachte Nachmittage in der Buchhandlung, um dort die angesagtesten Bücher zu meinem Problem zu suchen, jedoch konnte ich keines finden.

Und das ließ mich unglaublich einsam fühlen.
Mit niemandem, der mein Leid teilen oder verstehen konnte.

Langsam ließ ich das Buch, das ich in der Hand hielt sinken und fragte mich mit unverkennbarer Bitterkeit, ob ich vollkommen durchgedreht war.

Seit Stunden war ich hier und wurde angestarrt. All das machte mich so wütend.
Ich wollte nicht glauben, dass ich verrückt war, mir all das nur einbildete.
Aber es gab niemanden, der das gleiche erlebt hatte. Oder wenigstens so etwas in der Art.
Nicht eines der Bücher ging auch nur in die gleiche Richtung.
Das ließ mich dann doch an meinem gesunden Menschenverstand zweifeln.

Das Buch stellte ich unter giftigen Blicken an seinen Platz zurück. Dort, zwischen all den ausgezeichneten Bestseller-Ratgebern und Biografien, die sich mit Diversität und Einzigartigkeit brüsteten und doch alle von dem gleichen Schicksal erzählten.

Ich verdrehte die Augen und versuchte nicht weiter aufzufallen, als ich mit leeren Händen die Handlung verließ.

Ich stoppte.

Beobachtete die Menschen auf der Straße. Blicke auf den Boden gerichtet, immer in Bewegung, wie ein Strom.
Ich hingegen stand vor dem Nichts.

Wo kam ich her?
Wo sollte ich jetzt hin?

Gab es irgendetwas, was dieses Leben noch lebenswert machte?

So wenig mich auch am Leben hielt, noch weniger ließ mich den Tod herbeisehnen.
Ich hatte eben doch etwas zu verlieren.
Das musste ich verbittert zur Kenntnis nehmen: ich wollte Leben.

Aber dazu gehörte mittlerweile einfach auch, die frische Zucchini unangerührt in den Müll zu werfen.
Genau wie anderes Gemüse.
Denn es enthielt Bitterstoffe, die meinen Körper von innen heraus umbrachten.

Und das konnte ich nicht riskieren.
Denn ich wollte immerhin leben.

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⏰ Last updated: Jan 02, 2021 ⏰

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Orthorexia - 42 || ChangLix ||Where stories live. Discover now