zweiundzwanzig 🌱

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Wie lange ich da so vor den Fenstern auf dem Boden saß, die Augen geschlossen und eine leise Melodie vor mir her summend, konnte ich nicht mehr sagen. Als der Schatten vor meinen geschlossenen Lidern jedoch immer dunkler wurde, wusste ich, dass tatsächlich einiges an Zeit verstrichen war.

Mit der Dunkelheit eroberte auch die Kälte die Wohnung, doch ich tat nichts dagegen, ließ sie eintreten wie einen willkommenen Gast und bald schon hatte sich eine Gänsehaut gebildet.

Ablenkung wäre wohl das Stichwort, also machte ich mich an die Arbeit, die Glühbirne in der Küche zu ersetzen.

Sicher zu sein, dass der Schalter gerade tatsächlich auf „aus“ war, war dann schon die erste Hürde, an der ich fast scheiterte.

Aber letztendlich war es mir egal, was sollte schon passieren - immerhin würde ich nur eine Glühbirne auswechseln, keine offenen Leitungen berühren.

Ich würde vielleicht für ein paar Minuten erblinden, wenn ich direkt in die Lampe schauen würde, aber das wäre temporär, also auch kein Problem.

Mit einem lauten seufzen holte ich mir ein Küchentuch aus dem Küchenregal und kletterte auf den Küchentisch, um die alte Leuchte aus der Halterung zu drehen.

Wo sollte ich die kaputte Birne entsorgen?
Ich war mir immerhin sicher, dass der Hausmüll die falsche Adresse war.

Das war mein zweites Problem.
Sperrmüll? Was dachte ich eigentlich?
Und nach ein paar blöden Fragen und Clicks wurde ich im Internet fündig.
Wertstoffmüll also. Wer sollte auch auf sowas kommen..

Das Smartphone wieder in meine Tasche steckend griff ich erneut nach dem Geschirrtuch, das ich mir in der Zwischenzeit über die Schulter geworfen hatte und hob auch fast gleichzeitig die neue Glühbirne auf, die ich bereits auf den Tisch gelegt hatte.

Und trotz der halbwegs sicheren Vorsorge, war es eine enorme Überwindung, die Glühbirne in das Gewinde einzudrehen.

Wobei ich mich danach am liebsten geohrfeigt hätte, so viel Stress für gar nichts, das Licht war und blieb aus, ich hatte den Lichtschalter bei der 50:50 Chance wohl doch richtig gestellt.

Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und griff nahezu automatisch zum Obstkorb, der auf dem Tisch stand wie ein Dessert auf dem Silberteller.

Eine Versuchung.

Der ich, teils aus trotz, teils aus Überzeugung nicht nachgehen wollte.

Einen roten Apfel hielt ich in meiner Hand, glänzend als sei er stundenlang poliert worden. Wie gerne ich einmal hineingebissen hätte.

Nur einmal, ein kleines Stück.

Doch ich legte den Apfel schneller zurück, als ich ihn genommen hatte, stand auf und das Geschirrtuch warf ich in hohem Bogen auf meinen Wäschestapel, den ich als nächstes in Angriff nahm.

Aufgeteilt in weiß, in rot und schwarz, in Kochwäsche und Buntwäsche.. Ich sortierte den ganzen Abend, ging in den Gemeinschaftskeller zu den Waschmaschinen, wusch und trocknete, bügelte und faltete, bis tief in die Nacht.

Um auf andere Gedanken zu kommen.
Diese kreisten nicht mehr um die Kälte, die meine Wohnung einnahm, sondern um den Obstkorb, der sich auf dem Küchentisch präsentierte wie hochgelobte Ware.

Ich würde meinen Obstkonsum verringern, denn Zucker ist der größte Feind meines Körpers.
Und damit verschwand nicht nur der Wäscheberg, der sich angesammelt hatte, sondern auch das Obst aus meiner Wohnung.

Orthorexia - 42 || ChangLix ||Kde žijí příběhy. Začni objevovat