Lucy - Erinnerungen

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Mit erhobenem Kinn trete ich durch über die Schwelle des Stalls und lasse meinen Blick durch den weiten Raum schweifen. Gleichzeitig atme ich tief ein, um den typischen Geruch aufzunehmen. Der Duft nach Stroh und warmen Tieren steigt mir in die Nase.

Erinnerungen steigen in mir hoch, von meiner Kindheit. Damals, als ich noch ein dummes Kind war, das nichts von den Gefahren dieser Welt verstand. Ein sorgloses Leben war es. Damals kümmerte ich mich um die gefangenen Monster, in dem Bemühen sie zu zähmen. Um auf ihnen zu reiten. Die Werter anerkannten meine Methoden und akzeptierten das Verhalten meiner Schützlinge. Tag für Tag verbrachte ich mit ihnen, Jahre lang. Heute weiß wie naiv ich damals war. Meine Herzensgüte war ein Problem, das mein Vater bald bemerkte. Er beschloss mir die wirkliche Welt zu zeigen, eine Welt die keine solche Güte aufwies und meine Kindheit auf diese Weise vorzeitig zu beenden.

Eines Nachts nahm er mir alles was ich liebte, indem er mir verbot den Stall je wieder zu betreten. Ich bekam nichts mehr zu Essen und schrie unablässig nach meinem Vater. Als er endlich kam, nahm er mich nicht in den Arm, wie ich es erwartet hatte. Sondern schrie auf mich ein, schlug mich, bis mir schwarz vor Augen wurde. Eine dunkle, traumlose Schwärze. Die mich in ihr auffing und in eine erholende Ruhe verführte. Die Dunkelheit schloss mich vollkommen ein, um mich von den Schmerzen zu behüten. 

Als ich am nächsten Morgen erwachte, tat mir alles weh, trotzdem wollte ich nur noch eins. Zu meinen Tieren. Sie sehen und streicheln, damit sie mich trösten. Es gelang mir meinen Bewachern, die vor der Tür Wache hielten, zu entwischen und ich lief so schnell mich meine kurzen Beine trugen in die Richtung des Stalls. Doch dort war kein Stall mehr. Nur ein hoher Trümmerhaufen ragte wie ein finsteres Mahnmal in den dunklen Himmel. Rauch stieg daraus auf und verlor sich in der kalten Luft und nahm meine Hoffnungen und Träume mit sich. All die Tiere, all die Monster hatten diese Welt verlassen. Nichts war mir von ihnen geblieben. Alle hatten mich verlassen.

Ich war allein. So lautete meine Erkenntnis nach dieser Nacht.

Anfangs erzählte man mir es wäre ein Unfall gewesen. Man versuchte es vor mir zu versteckten. Doch bald offenbarte man mir, dass mein Vater in seinem Zorn den Stall in Brand steckte. Nicht ohne vorher mit seinem Schwert auf meine Schützlinge einzustechen. Jeder von ihnen erlitt tödliche Wunden, die sie qualvoll in ihren Boxen verenden ließen. Dann ließ er eine Fackel zu Boden fallen. Nach dieser Nachricht fiel ich in eine endlose Traurigkeit und sprach über Monate mit Niemandem. Der Schock katapultierte mich in eine Welt zwischen Wachen und Schlaf. Keinen gelang es mich diesem zu entreißen oder auch nur zu erreichen.

Als ich langsam wieder erwachte erkannte ich, das ich nie wieder dieselbe sein würde. Dieses Ereignis hatte tiefe Spuren in mir hinterlassen. Ich verlor meine Warmherzigkeit, meine Güte und all die Dinge die zu meiner dummen Vergangenheit gehörten. In mir wuchs eine feste Entschlossenheit niemals wieder mein Herz an Jemanden zu verschenken, damit ich nie wieder einen solchen Verlust erleiden muss. Liebe kann einem mit einem Schlag genommen werden. Und so vergrub ich diesen Teil von mir, tief, tief in meinem Inneren und verschloss sie für immer. Aus kleine, naive Mädchen war verschwunden und hatte eine kaltblütige, bereghnende Frau zurückgelassen.

Die Luft ist von winzigen Staubteilchen durchsetzt. Im Licht, das durch die vielen Fenster fällt, wirken sie wie dünner Rauch. Der Lichtschein holt auch die einzelnen Boxen aus den Schatten, an denen ich vorbeischreite. Das Geräusch meiner Stiefel auf dem kahlen Boden halt im langen Gang wieder, bis ich stehen bleibe und das Geräusch verstummt. Ich blicke in die Box zu meiner Rechten, die mit Dunkelheit gefüllt ist, bis in den letzten Winkel.

Plötzlich regt sich etwas in der Schwärze. Ein Wirbeln in den Schatten, der sich auf mich zu bewegt. Er verfestigt sich und nimmt Gestalt an. Als jedes Stückchen Finsternis seinen Platz gefunden hat steht ein großes, majestätisches Pferd vor mir. Sein glänzendes Fell ist so schwarz, das es sich kaum von der Dunkelheit in dem kleinen Verschlag abhob. Es kommt die letzten Schritte auf mich zu und regt mir den Kopf entgegen. Mit den weichen Nüstern stubste das Schattenpferd gegen meine Hand und blickt mich aus seinen tief schwarzen Augen ergeben an. Ich war allein und so riskiere ich es ihm einmal sanft durch die Mähne zu streicheln. Dann schnipse ich mit den Fingern und sofort lösen sich gefesselte Geister aus den Wänden. Die durchscheinenden Kreaturen sind die Sklaven meines Vaters. Sie beginnen damit das Pferd für meinen Ausritt herzurichten. Dabei schweben ihre Füße leicht wie Nebel über den Boden und immer wieder lösen sie sich auf, nur um an anderer Stelle wieder Gestalt anzunehmen.

Wenig später steht der Hengst gesattelt vor mir und die Diener verschwinden in das Nichts aus dem sie gekommen sind. Ich öffne die Box und ergreife die Zügel. An ihm führe ich das Tier aus dem Stall. Zufrieden beobachte ich das Spiel seiner Muskeln, die sich bei jedem der starken Schritte unter der Haut wölben. Geschickt schwinge ich mich auf den breiten Rücken und lasse es in Richtung Ausgang wenden. Es folgt gehorsam meinen Zeichen und verfällt in einen leichten Trab. Als wie die Lichtung vor den Stallungen erreiche gebe ich dem Tier den Befehl zum Anhalten und der Hengst hält augenblicklich inne. Ich drehe mich im Sattel um und blicke zurück zum steinernen Torbogen, wo meine ausgewählten Begleiter erscheinen. Auf mein Zeichen setzen sie sich in Bewegung und ich gebe meinem Pferd die Sporen. Als Reaktion bäumt es sich auf und prescht sofort vorwärts. Ich beuge mich vor, lege mich flach auf den starken Hals und erlaube ihm voll auszugreifen. Schneller und immer schneller wird es und die Landschaft verschwimmt zu einem wechselnden Band an Farben. Für wenige Minuten erlaube ich mir mich dem Gefühl von Freiheit hinzugeben. Kurz fühle ich den Rausch der Geschwindigkeit, bevor ich meine kalte Maske wieder über meine Züge legen.

Ich ziehe an den Zügeln meines Reittiers, um es zum Anhalten zu bringen. Doch der Hengst reagiert nicht darauf, sondern legt noch einmal an Geschwindigkeit zu. Ärger steigt in mir auf. Ärger über den Ungehorsam und ich zehre grob an den Zügeln. Endlich verlangsamt es sein Tempo und bohrt seine Hinterbeine in den Boden. Der Hengst bäumte sich auf, schlägt mit Hufen durch die Luft. Ein Verhalten das mich nicht überrascht. Eigentlich kann ich es sogar viel zu gut verstehen. Wochenlang hatte das Tier im Stall gestanden. Bewegungslos. Dem Tier, das die Geschwindigkeit und den Lauf lieb, muss es wie Folter vorgekommen sein.

Als das Schattenpferd sich beruhigte folgte es sofort wieder meinen Befehlen. Ich zwinge es stehen zu bleiben und drehe mich im Sattel um. Suche die Umgebung, den Weg den ich gekommen bin nach meinen Begleitern ab. Doch der Pfad vor mir bleibt leer und ich stoße einen genervten Seufzer aus. Ich gebe dem Hengst erneut die Sporen. Dieses Mal lasse ich ihn in gemächlichen Tempo weiterlaufen, damit die langsameren Nachfolger bis zum Stadttor wieder einholen können. Willenlos gab ich mir ihr hin und verlor endgültig das Bewusstsein.^

~08.04.2019

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Wie gefällt auch das neue Kapitel? 

Vorneweg, dass ist noch lange nicht Lucys ganze Geschichte. Ich verrate doch nicht jetzt gleich alles!

Zweitens möchte ich euch mitteilen, dass diese Geschichte zwei Mal Platz 4 bei zwei Awarde gemacht hat. Außerdem hat sie die zweitbesten Charaktere. Das ist doch mal ein guter Anfang! XD

Noch einen schönen Tag!^^ 

Zwillinge der DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt