Chapter 57

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Auch nach dem Treffen mit Jake verließ mich das leichte Lächeln, das sich während unseres gemeinsamen Nachmittags im Park auf meinem Gesicht ausgebreitet hatte, nicht; ich lächelte nämlich immer noch ein wenig, als ich in die Einfahrt unseres Hauses einbog. Vielleicht – aber auch nur ganz vielleicht – hatte das etwas mit der Umarmung zu tun, mit der Jake und ich uns voneinander verabschiedet hatten.

Zuerst war die ganze Situation ziemlich seltsam gewesen, da wir einen Teil unseres jeweiligen Weges nach Hause gemeinsam gehen konnten, aber irgendwann kam nun einmal die Abzweigung, an der wir in unterschiedliche Richtungen abbiegen mussten, um wieder nach Hause zu gelangen. Wir standen kurz ein wenig steif nebeneinander und ich wollte schon irgendetwas zum Abschied stammeln (ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihm gegenüber vernünftige und klare Sätze zu verfassen), aber da hatte Jake schon einen Schritt auf mich zugemacht und mich kurzerhand für einen Moment umarmt.

Ich war natürlich zuerst ein wenig perplex gewesen und kam so gar nicht mehr wirklich dazu, die Umarmung zu erwidern, weil Jake mich dann schon wieder losgelassen hatte. Nichtsdestotrotz ging sie mir natürlich nicht mehr aus dem Kopf und erinnerte mich lediglich daran, wie sehr ich es in Jakes Nähe doch eigentlich immer noch mochte und wie sicher ich mich bei ihm fühlte. Es war zum Verrücktwerden – aber irgendwie auf eine meist positive, angenehme Art.

Am nächsten Morgen in der Schule breitete sich auch wieder unwillkürlich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, als ich meine Freunde mit Jake wie so oft an der Schulmauer stehen sah. Da ich nun meist mit dem Bus fuhr und nicht mehr mit Jake auf seinem Motorrad, war ich häufig später als die anderen an der Schule, eben weil der Bus so gut wie immer erst auf die letzte Minute kam. Dass ich heute noch circa fünf Minuten Zeit hatte, ehe die Schulklingel zum Beginn der ersten Unterrichtsstunde läuten würde, grenzte eigentlich an ein Wunder.

Natürlich freute es mich, da ich mich so nicht beeilen musste, um noch pünktlich im Klassenraum erscheinen zu können, sondern in Ruhe mit meinen Freunden quatschend den Schulhof entlang zur Eingangstür gehen konnte. Eigentlich sprach ich aber kaum mit meinen Freunden, ich redete so gut wie ausschließlich mit Jake, der sich auch hauptsächlich mit mir unterhalten zu wollen schien. Auch wenn die Frage natürlich immer noch war, was genau wir jetzt waren und ob aus uns denn wirklich wieder etwas werden könnte, kam es mir so vor, als könnte ich gar nicht mehr anders, als mich nur auf Jake zu fokussieren, wann immer er in meiner Nähe war.

Ohne meinen Gedankengang so wirklich zu verstehen, musste ich an Jakes Cousin Marco und seine Verlobte Taylor denken. Ich hatte die beiden ja auf Jakes „kleiner" Familienfeier kennengelernt und mir war sofort aufgefallen, wie vertraut und aufmerksam sie miteinander umgingen – eben, weil sie sich so sehr liebten. Und wie war das nun alles bei Jake und mir? Es war einfach zum Verrücktwerden.

Das erste Fach, das ich heute hatte, war Englisch, also saß nur Ian und nicht Jake mit mir zusammen im Kurs. Der Raum, in dem Jake nun Unterricht hatte, lag allerdings in einer ähnlichen Richtung und er begleitete uns zu unserem Raum. Irgendwie fand ich die Situation ziemlich witzig, da sie beinahe genauso schon einmal geschehen war, kurz nachdem Jake und ich angeblich zusammengekommen waren. Damals hatte Jake sich einfach mit einem einfachen „Bis gleich" von mir verabschiedet, aber als ich ihn betrachtete, als wir drei den Englischraum erreichten, erschien es mir so, als wüsste er nicht so genau, wie er sich verhalten sollte. Kurz dachte ich, er würde wieder Anstalten machen, mich zum Abschied zu umarmen, aber dann ließ er es doch und wünschte uns lediglich auf eine halb ironische, halb ernst gemeinte Art viel Spaß in Englisch.

Die Englischstunde verging aber auch irgendwie wie im Zeitraffer. Es kam mir ungelogen nur wie ein paar Minuten vor, schon klingelte es zur ersten Pause und ich machte mich auf den Weg in die Cafeteria. Ian wiederum hatte – genau wie Sarah, die allerdings nicht mit in unserem Kurs gewesen war – eine Freistunde und wollte zusammen mit ihr in dem nahegelegenen Café frühstücken gehen, in dem ich mittlerweile auch schon so oft gewesen war, beispielsweise mit Emily oder auch (mehr oder weniger notgedrungen) mit Jake.

Ich sah meine Freunde inklusive Jake schon von weitem an dem für uns üblichen Tisch sitzen und war schon mitten dabei, durch die Tischreihen hindurch auf sie zuzugehen, da erregte ein „Warte mal kurz, Claire" meine Aufmerksamkeit. Bevor ich mich allerdings umdrehte, sah ich noch, wie Jake sich auf einmal ruckartig umdrehte und mich mit seinen Augen fixierte. Für einen kurzen Augenblick war ich so gefangen von diesem Blickkontakt über mehrere Tische hinweg, dass ich gar nicht direkt wegschauen konnte, und es auch erst tat, als mir wieder vollkommen bewusst geworden war, dass mich ja jemand hinter mir gerufen hatte.

Ich drehte mich also um und stand Mason gegenüber, einem Jungen aus meinem Mathekurs, mit dem ich zwar so gut wie nichts zu tun hatte, der aber – soweit ich das denn überhaupt beurteilen konnte – nett zu sein schien. Fragend und ein wenig neugierig sah ich ihn an und wartete darauf, dass er wieder etwas sagte.

„Sorry, dass ich dich kurz aufhalte, aber ich wollte fragen, ob du morgen nach der Schule oder so vielleicht Zeit hättest und mir unser neues Thema in Mathe erklären könntest. Ich verzweifele da leider echt dran." Ein wenig perplex sah ich ihn an, denn es konnte ihm eigentlich nicht wirklich nur darum gehen, das neue Thema der Unterrichtsreihe zu verstehen. Wäre es nämlich wirklich nur darum gegangen, dann hätte er zu hundert Prozent jemand anderen gefragt, jemanden der Mathe wirklich immer versteht und dem dieses Fach eventuell sogar Spaß macht. Auf mich traf weder das eine, noch das andere zu.

„Tut mir wirklich leid, Mason, aber ich glaube da solltest du wirklich jemand anderes fragen. Ich verstehe selbst noch nicht alles." Ich war zwar absichtlich nur auf das Thema Mathe-Nachhilfe eingegangen und nicht auf den Vorschlag, sich eventuell zu treffen, aber an der Art, wie er reagierte, wurde mir klar, dass es ihm wahrscheinlich mehr um das Treffen als um Mathematik gegangen war.

„Wirklich keine Chance?", fragte er und grinste mich schief an, aber ich schüttelte den Kopf. Abgesehen davon, dass ich irgendwie wirklich keine Lust hatte, mich mit ihm zu treffen (auch wenn er wahrscheinlich echt nett war), war Jake mal wieder in meinem Kopf aufgetaucht und spukte dort herum, sodass ich sowieso an nichts anderes als ihn denken konnte.

„Tut mir wirklich leid", sagte ich Mason mit einem bedauernden Lächeln auf den Lippen und hoffte so, nicht irgendwie zu hart oder zu unfreundlich zu klingen, was mir aber anscheinend gelang.

Mason zuckte zwar mit den Schultern, lächelte aber immer noch leicht, als er wieder das Wort ergriff. „Einen Versuch war es auf jeden Fall wert", sagte er und drehte sich dann von mir weg, um sich auf den Weg zum Tisch seiner Freunde zu machen, der in der entgegengesetzten Richtung von dem meiner Freunde lag. Ich sah ihm kurz mit einer grübelnden Miene nach, ehe ich mich dann auch wieder der anderen Seite der Cafeteria zuwandte und entdeckte, dass Jake mich immer noch unverhohlen von seinem Platz neben Marc aus anstarrte.

Jakes Reaktion auf meine kurze Konversation mit Mason war nun das einzige, woran ich denken konnte, als ich mich ein paar Plätze entfernt von Jake auf den einzigen noch freien Platz neben Jo fallen ließ und mein Sandwich auspackte. Ich war mir mittlerweile sicher, dass einfache Eifersucht der Grund für Jakes beinahe schon aufdringlichen Blick gewesen war und wusste nicht so ganz, wie ich damit umgehen sollte.

Im Prinzip fühlte ich mich eigentlich sehr geschmeichelt, dass Jake eifersüchtig auf Mason war, obwohl er wirklich keinen Grund dazu haben musste – aber ich fragte mich, inwiefern er das überhaupt wusste, inwiefern er wusste, dass ich mich niemals auf jemand anderen würde einlassen können, während er eine Rolle in meinem Leben spielte. Was jetzt nur ein wenig schwierig war, war eine geeignete Situation zu finden, in der ich Jake sagen konnte, dass ich Mason hatte abblitzen lassen – denn ich wollte nun mal, dass Jake das wusste.

PretendingWhere stories live. Discover now