1. Ava

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Sie saßen schon eine gefühlte Ewigkeit im ,,Meschugge".  Ein Restaurant, welches seinem Namen alle Ehre machte. Denn ,,Nicht bei klarem Verstand" waren die meisten Gäste hier. In Wenn Ava hier beginnt in Erinnerungen zu schwellen, dann denkt sie an dubiose Geschäftsmänner, an ihre weiblichen Begleiterinnen und an Koks. Würde man etwas übertreiben, könnte man daraus eine ziemlich traurige Geschichte machen. 

Während es Kinder gab, die im Zirkus oder im Restaurant ihrer Eltern aufwachsen, ist Ava in der Welt der Reichen aufgewachsen. Es war immer das Selbe gewesen. Wenn ihr Vater ein wichtiges Geschäftsessen hatte, dann nahm er sie und ihre Mutter mit, um "Sympathiepunkte", wie er liebevoll bezeichnet, zu sammeln. Bestenfalls hat die Qual nach zwei Stunden ein Ende, der Deal bereits in der Tasche. Schlimmstenfalls muss ihr Vater John für ein oder zwei Lines Koks ins Bad verschwinden, auch wenn alle am Tisch wissen, was wirklich passiert. ,,Ava, deine Ellenbogen." Ihre Mutter holte sie wieder aus ihren Gedanken. 

,,Tut mir Leid, wie konnte ich nur." entgegnete Ava ihrer Mutter, die neben ihr am Tisch saß. Ihre Mutter lächelte mit unehrlichem Lächeln zurück, während Ava ihre Ellenbogen hinter die Tischkante schob. ,,Besser so?" , zischte sie, genervter als sie es eigentlich klingen lassen wollte. ,,Du weißt, dass die Leute auf uns achten. Diese Abende sind wichtig für das Geschäft.", wies sie Ava erneut zurecht. "Du meinst wie an fast jedem zweiten Abend, an dem die ganzen schmierigen Geschäftsleute unterwegs sind und sich auf der Toilette das Hirn zukoksen? Avas Vater räusperte sich kurz und gab ihr zu verstehen, dass sie die Klappe halten sollte. Zuerst wollte sie etwas beifügen, aber der Blick ihres Vaters war streng und sie wusste, dass es an der Zeit war besser nichts mehr zu sagen. Und was konnte sie ihm auch groß sagen? Ihr Vater wollte nie hinhören wenn sie sagte, dass die Leute hier schmierig waren oder Drogen nahmen. Er war und tat es ja irgendwie auch. Trotzdem, ein Geheimnis war es nicht, dass hier Deals mit Drogen gefestigt werden. Genauso wenig war es ein Geheimnis, dass sich nicht jeder im Rausch unter Kontrolle hat. 

Ava war gerade eben erst 16 geworden, als sie für ein Treffen im Meschugge waren. Es wurde spät am Abend, John ging mit seinem Partner rauchen, Ava auf Toilette. Außer ihr war niemand dort. Als sie sich die Hände wusch, kam ein Mann in die Frauentoilette. Total zugedröhnt griff er sich an seinen Schritt: "Gefällt dir was ich tue? Willst du auch mal ran kleine Schlampe?" Ava ging einen Schritt zurück, er einen auf sie zu. Zu oft hat Ava gehört, was Schockstarre ist. Man ist wie gelähmt und reagiert nicht. Dass man die Angst aber trotzdem spürt hat ihr niemand gesagt. Mit einem aggressiven Zucken griff er sie am Oberarm, zog sie an sich. Mittlerweile roch sie seine Alkoholfahne, sein Parfüm und seinen ekligen Schweiß. "Wenn du dich wehrst, dann zeig ich's dir du Schlampe." Seine Bartstoppeln streiften ihre Wange. Ava schüttelte an ihrem Arm, doch er ließ nicht ab. Was würde er hier mit ihr machen? Hier sind doch Menschen? Wäre ihm das egal? 

Aus dem Nichts ließ der Typ los. Eine Frau war hineingekommen. Während sie vorbeilief blickte sie kurz auf, schloss dann aber die Tür ihrer Kabine ab. Offenbar konnte der Kerl nicht warten, denn er ließ von Ava ab und verließ den Raum. Ohne ein Wort. Zurück blieb Ava, eine 16-jähriges Mädchen. Wie lange Ava regungslos an der Wand stand, weiß sie nicht mehr. Das "Hier, nimm.", der Frau aus der Kabine war das Nächste, was sie wahrnahm. "Du bist viel zu jung, um sowas erfahren zu müssen.", sie hielt ihr ein Pfefferspray hin. "Das hier ist das Beste, das brennt ordentlich.", lächelte sie, "Ich spreche da aus Erfahrung." In was für einer Welt leben wir?  

,,Haben Sie sich schon entschieden, was Sie trinken möchten?" , sprach die Kellnerin und riss Ava vollkommen aus ihren Gedanken, während sie einen Korb mit 3 verschiedenen Brotsorten abstellte und die Kerzen auf dem Tisch anzündete. ,,Wir würden gerne die Weinempfehlung des Tages probieren." , antwortete Avas Mutter. " Die Kellnerin stellte 3 Weingläser nacheinander  auf den Tisch, die sie kurz zuvor einzeln vor ihren Gesichtern poliert hatte, obwohl dies überhaupt nicht nötig gewesen wäre. Aber in der Welt der Reichen sind die meisten der ach so "special things" total überflüßig. Kleine Spielereien zum Bespaßen, Derjenigen die verdient oder unverdient zu viel Zeit und Geld haben. Die Kellnerin schenkte jedem einen Schluck des empfohlenen Weins ein und wartete bis jeder probiert hatte. Avas Eltern drehten ihr Glas einige Male, fächerten sich den Geruch zur Nase und nahmen dann erst eine Kostprobe.

Ava war es egal wie der Wein schmeckte, sie trank aus : ,,Nehmen wir." , und hielt ihr Glas erneut hin. Ihr Lächeln musste überzeugend gewesen sein, denn die Kellnerin schenkte ihr nach.

Ein Mann kam an den Tisch. "John, freut mich. Wie geht es dir?", sprach er. Schwarze Haare voller Gel, den Gürtel dick um seinen Bauch gebunden. "Michel, ich habe dich hier schon lange nicht mehr gesehen." Michel? Es klingelte, aber der Zug vom Joint mit Marc ließ ihr Gedächtnis verschwimmen. Eine Zeit lang hatte sie von Michel gehört - und das bedeutete meistens nichts Gutes. Das mit der Steuerhinterziehung war jemand anderes, mit der zweiten Geliebte (Ja, zweite Geliebte! Vergiss, die Frau und das Kindermädchen nicht), auch. Jetzt klingelte es. Michel war zwar ebenso schmierig wie alle anderen, aber er war wohl nicht immer so. Seine Frau und er verloren ihr erstes Baby noch vor der Geburt. Danach verließ ihn seine Frau. Er blieb zurück. Mittlerweile hatte sich Michel an den Tisch gesetzt. Er streute sich eine kleine Menge Schnupftabak auf seinen Handrücken. Während Ina Michel ausfragte, schnupfte er das Häufchen weg. "Ich muss mir meine übrig gebliebene Schleimhaut aufheben, später kommt erst der richtige Stoff." Am liebsten würde Ava würgen, ihrem Vater den Satz, den sie soeben mit 22 Jahren an einem Tisch für Erwachsene anhören musste, in den glatzigen Kopf prügeln. Auch wenn Ava sich wehrte, immer öfter verstand sie die Vergleiche ihres Vaters mit, nennen wir es suspekten Persönlichkeiten, wie Jeff Bezos. 

Die Kellnerin kam wieder. Diesmal mit einem jungen Typen. Den hatte Ava hier noch nicht gesehen. Er sah asiatisch aus, trug eine Brille, die ihm über den Nasenrücken gerutscht war. "Sollen wir noch ein viertes Glas bringen?". Michel nickte ohne zu Fragen. Die Kellnerin nickte dem Jungen zu und er lief etwas orientierungslos fort, brachte aber wenig später das Weinglas für Michel. "Was dürfen wir heute servieren?". Ina bestellte Wachteleier, Rosmarinkartoffel und irgendeinen Frühlingssalat als Beilage. Avas Vater bestand auf eine Suppe als Vorspeise und bestellte den Rehrücken mit Extrawünschen, die sich nicht lohnen benannt zu werden. Michel trank einen Whiskey. Der Typ dahinter, wohl ein Lehrling, notierte sich alles zusätzlich. "Nudeln mit Tomatensoße und Parmesan bitte", ein Grinsen konnte sich Ava nicht verkneifen. Ihre Eltern machte das immer so wütend, wenn sie nichts "angemessenes" bestellte. Denn Nudeln mit Tomatensoße glitzern nicht. Der Kerl hinter der Kellnerin verkniff sich offensichtlich auch ein Grinsen. "Kann ich dir behilflich sein, findest du das lustig?". Beschämt rückte der Junge seine Brille zurecht. Er schob seinen Stift in den Block und folgte der gereizten Kellnerin in die Küche. Er tat ihr Leid, aber sie hatte keine Lust auf eine neue Diskussion mit ihrem Vater, der nicht mit sich reden lassen würde. Das war schon immer das Problem in ihrem unfamiliären Beziehungsgespann. Dem Gespräch aus dem Weg gehen, um dessen Probleme nicht lösen zu müssen. Natürlich könnte sie ihrem Vater vorhalten, dass er peinlich und unhöflich ist. Aber Ethik kennt John nicht. Dann müsste er beginnen seine Mitarbeiter, denen er sein Vermögen verdankt, angemessen zu bezahlen. Der Junge wird die Welt der Reichen lernen müssen, so wie Ava. Michel und John verschwanden im Bad bevor das Essen da war und kamen in einem aktivem Gespräch zurück. Ina schwieg, obwohl sie wusste was passiert war. Als die Kellnerin das Essen brachte, kam sie alleine, der Junge war nicht dabei. Sie erklärte Avas Vater welches Messer für seinen Rehrücken am besten geeignet war und er hörte fixiert zu. Avas Nudeln kosteten zwar den doppelten Stundenlohn der Angestellten ihres Vaters, schmeckten aber auch nicht anders als die vom Italiener um die Ecke, zwar nicht schlecht, aber auch keine 20€ wert.

2 Toilettengänge und 3 Flaschen Wein später, übernahm ihr Vater großzügig die Rechnung und ging mit Stephen und ihrer Mutter vor, um draußen zu rauchen, während Ava nochmal losging um sich die Hände zu waschen. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie den Kellnerjungen wieder, der gerade mit dem Wasserhahn in der Herrentoilette kämpfte. ,,Du musst deine Hand hinter dem Hahn platzieren, dann geht es." , erklärte sie beim Vorbeigehen. "Danke, man. Ich hab absolut keine Ahnung wie es in so schicken Restaurants zugeht. Ich hab davor in der Hütte in der Innenstadt gearbeitet, aber offensichtlich wird München reicher und ein Miniimbiss reicht nicht mehr um Gäste zu halten." , er kritzelte wieder in seinem Block. "Notierst du dir deshalb alles ?". ,,Ja, damit ich das nächste Mal weiß, wie ich deinem Vater gegenüber treten muss."  , neckte er sie. Sie lächelte kurz. - ,,Ich bin übrigens Sheng und - " , er machte eine kurze Pause und blickte hinter sie,, - einen Kopf kürzer wenn ich nicht wieder rüber zu meinem Chef gehe. Hat mich gefreut." , er hielt ihr die Faust hin. Sie klatschte ein.

Endlich mal was Erfrischendes an diesem eintönigen Abend.

Interessenkonflikt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt