Kapitel 1 - Arthur

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Es war eine stürmische Nacht in der Gegend rund um Blackwater. In einer alten Hütte außerhalb der Stadt hatte sich eine neue Bande niedergelassen. Dutch van der Linde und seine Mitstreiter, von denen er viele gerettet oder auf der Straße aufgesammelt hatte und diese nun in seiner Schuld standen, saßen gemütlich am warmen Kamin, als sie von außerhalb Schritte vernahmen.
Viele der Männer zückten ihre Waffen bis sie Dutch beruhigte.
"Schon gut, es ist Javier."
Javier Escuella war der Name dieses Mannes mexikanischer Herkunft und ein langer Vertrauter von ihrem Anführer.
Escuella drückte die Tür auf und diese schwang mit einem Ruck auf und schlug mit voller Wucht an den sich gleich dahinter befundenen Schrank.
"Willst du das hier alles in die Luft fliegt du Idiot?", brüllte Bill Williamson aufgeregt.
"Wessen Idee war es denn das Dynamit in dem Schrank zu lagern, solange bis wir etwas besseres gefunden haben?"
Beide Männer sahen sich Auge um Auge an, während der Wind weiter mit der Türe spielte und mit voller Kraft in die Hütte herein drückte.
"Meine Herren, wer wird denn von euch gleich die Beherrschung verlieren?"
Dutchs Stimme ließ die beiden Streithähne aufhorchen und Bill drückte mit einem tiefen grummeln die Tür wieder ins Schloss, bevor nicht doch noch etwas in die Luft flog.
Nun schenkte Dutch seine volle Aufmerksamkeit seinem gerade zurückgekehrtem "Bruder".
"Javier. Was hast du zu berichten?"
"Nicht viel Dutch. Aber das hier könnte dich interessieren."
Der Mann hielt seinem Boss einen Zeitungsartikel vor die Nase.
"Beatrice Morgan bekommt Sohn - Ihr Mann bleibt verschwunden"
"Ist das nicht die Kleine mit der du zusammen warst, Dutch?", wollte sein ältester Freund Hosea wissen.
Doch Dutch antwortete auf seine Frage nicht. Er ging zur Tür hinaus und in Richtung der Pferde die in einem notdürftigen Schuppen untergebracht waren.
Das Schweigen und verlassen der Hütte war für Hosea Matthews eigentlich schon Antwort genug. Er folgte seinem ältesten Freund.
Beide hatten sich auf einem Raubzug kennen gelernt, bei dem jeder den anderen ausrauben wollte. An diesem Tag haben sie die Gang gegründet und immer wieder neue Leute hinzugeholt.

Der Wind heulte noch immer um die Häuser und in den aus Brettern zusammengenagelten Stall.
Schutz vor Regen bot er den dort untergestellten Tieren schon, aber manche Lücken waren so groß, dass der Wind dennoch herein pfiff.
"Was hast du vor?", fragte Hosea den jüngeren Dutch, der bei seinem Pferd stand und dieses gerade sattelte.
Der jüngere Mann, schwarzhaarig mit Schnauzer und Unterlippenbart drehte sich allerdings nicht zu seinem Freund um und antwortete ihm während er den Sattelgurt seines Pferdes verknotete.
"Du weißt ganz genau was ich tun werde, Hosea."
Der andere schüttelte fast schon unglaubwürdig den Kopf.
"Und du weißt schon, dass wenn sie dich entdecken das Feuer auf dich eröffnet wird."
"Dieses Risiko muss ich eingehen."
"Und du bist dir sicher, dass dieses Kind..."
Doch Dutch nahm Hosea sein Wort aus dem Mund und beendete seinen Satz.
"...mein Sohn ist?"
Matthews nickte stumm.
"Ja Hosea. Ziemlich sicher sogar. Beide wurden zwangsverheiratet damit ihre Familien besser wirtschaften und ihre Fehde untereinander beenden konnten. Laut Beatrice steht er sogar auf Männer."
"Das hat sie dir erzählt?"
"Ja hat sie. In ihrem letzten Brief vor acht Monaten, kurz bevor er verschwand."
"Vielleicht hat das jemand spitz bekommen und ihn beseitigt."
"Wer weiß, Hosea. Ich weiß auf jeden Fall, dass dieses Kind mein Fleisch und Blut ist. Und ich werde da jetzt hinüber reiten und mir das ansehen."
"Soll ich nicht wenigstens mitkommen?"
"Nein du bleibst hier! Nach unserem letzten Raubzug werden wir eh noch gesucht. Halte die Bande zusammen, wenn ich bis spätestens morgen Mittag nicht wieder hier bin, dann zieht ihr weiter."
"Aber Dutch...!"
Dieser hingegen stieg auf sein Pferd und ritt an seinem Freund vorbei.
"Nichts 'aber'! Mach es einfach."
Hosea nickte erneut und machte seinem Anführer den Weg frei.
Alles was der ältere noch hörte, war das klappern der Pferdehufe, die sich aber relativ schnell im Sturm verliefen.

Nach einem stürmischen Ritt durch die kalte Herbstnacht 1863 war Dutch vor dem Anwesen der Morgans angelangt. Er beobachtete die Wachen, die um das gesamte Haus herum patrouillierten und fasste dann einen Entschluss. Die Rückseite war unbewacht, da diese am Wasser lag. So musste Dutch nur noch in eins der Boote am Hafen steigen und konnte unbemerkt in den Hinterhof gelangen.

Gesagt. Getan.

Er schnappte sich eines der kleinen Ruderboote und schlug den kurzen Weg zur Villa ein.
Am Ufer angelangt konnte er unbemerkt durch den Garten schleichen und an der bewachsenen Fassade hochklettern und war sofort am Zimmer der Frau die er liebte angelangt.
Behutsam klopfte Dutch ans Fenster und trat dann ins Zimmer ein.
Seine geliebte Beatrice lag in ihrem Bett und war erstaunt als sie den Räuber in ihrem Raum erblickte.
Sie wandelte ihren überraschten Blick in ein liebevolles Lächeln um.
"Dutch? Was machst du hier?"
Der Mann saß sich zu ihr aufs Bett und griff sanft nach ihrer zierlichen Hand.
"Du hast den Bericht aus der Zeitung gesehen, nicht wahr?"
"Ja...ich...ich wollte dich...nein...euch sehen."
Ein glucksen und leises meckern ertönte im Raum.
"Du bist sein Vater, Dutch. Er will dich bestimmt sehen.", sagte Beatrice in einem geschwächtem Ton.
"Du kannst den Stubenwagen ans Bett heran bringen."
Der Anführer der Bande ging langsam auf das Kinderbett zu und blickte hinein. Ein kleines Baby sah ihn neugierig mit aufmerksamen Augen an. Der kleine Junge war in Leinen gewickelt und wurde mit Tüchern bedeckt.
Als Dutch den Wagen ans Bett heran schob, nahm Beatrice ihren Sohn in den Arm. Nachdem sie die Decken und Tücher sortiert hatte, drückte sie ihrem Geliebten das kleine Bündel in die Arme.
"Ich denke nicht, dass..."
"Doch Dutch...dein Sohn möchte seinen Vater kennenlernen."
Ganz unbeholfen hielt er sein Kind in den Armen und für einen Moment konnte er seine Sorgen vergessen.
"Wie hast du ihn genannt?"
"Arthur. Er heißt Arthur."
"Nach meinem Vater?"
"Ja, Dutch."
Beide wurden in ihrem Familienglück unterbrochen, als sie Schritte aus dem Treppenhaus vernahmen.
"Miss Morgan? Ist bei Ihnen alles in Ordnung? Ich habe Stimmen gehört."
Der Outlaw drückte seiner Frau ihren gemeinsamen Sohn in die Hand und begab sich geschwind auf den Balkon.
"Keine Sorge. Ich komme wieder."
Dass waren die letzten Worte die Beatrice von ihrem Liebsten hörte ehe er in die stürmischen Nacht verschwand.

Einige Monate waren ins Land gegangen und so oft es ihm möglich war besuchte Dutch seine kleine Familie in ihrem Anwesen.
Es war mittlerweile Frühling geworden und der kleine Arthur nahm seine Umwelt immer besser war.
An einem Abend trafen sie sich am Ufer im Bootshaus der Familie Morgan.
"Was ist eigentlich mit deinem Mann passiert?"
"Mein Mann. Er war nie mein Mann, aber das weißt du ja. Ich habe ihn nie geliebt und er liebte einen Bauern aus Valentine. Als er diesen eines Abends besuchte, ist er verschwunden."
"Also nicht wie in der Zeitung zu lesen war, aufgrund von Ungereimtheiten zwischen euren Familien."
"Nein, meine Familie konnte dich zwar nicht leiden, aber Mörder sind sie nicht."
Kaum hatte Beatrice diese Worte ausgesprochen, hörten sie beide das Klirren von Glas und laute Rufe aus dem Herrenhaus.
Sie ließen den Kinderwagen im sicheren Bootshaus zurück und stürmten ins Freie.
Was ihre Augen zu Gesicht bekamen, war nicht in Worte zu fassen.
Das Herrenhaus stand lichterloh in Flammen, nur die verzweifelten Angstschreie der Dienstmägde drangen noch aus dem Haus.
"Wo ist sie? Ich habe noch eine Rechnung mit ihr zu begleichen!"
"S...S...Sir...i..ich weiß nicht wo sie ist."
"Falsche Antwort!"
Ein Schuss fiel und der Körper des Stallburschen klappte unter ihm zusammen.
Das Baby fing in diesem Moment an zu schreien. Dutch und Beatrice blickten sich panisch an. Sie mussten weg von hier. Und das am besten ganz schnell.

"Boss! Hörst du das?"
"Das Kind! Es kommt unten aus dem Bootshaus! Folgt mir, Männer!"
Als die Truppe der Angreifer das kleine Häuschen erreichten, sahen sie sofort den Kinderwagen und blickten hinein.
"Sie ist weg! Durchsucht die Gegend und nehmt wenn nötig die restlichen Hütten hier auseinander!"
Ein wütender Aufschrei ließ die Männer erzittern und wild in alle Richtungen stürmen.

Dutch und Beatrice hingegen standen auf einem Hügel außerhalb des Anwesens und beobachteten das Szenario.
Die Frau blickte abwechselnd auf ihr Heim in das sie eingeheiratet wurde und auf ihren Sohn, den sie in ihren Armen hielt.
"Wir kriegen das schon hin.", sagte eine Männerstimme hinter ihr und drückte sie fest an sich.
Kurz darauf pfiff er nach seinem treuen Pferd, welches sofort angetrabt kam.
Dutch stieg auf und reichte seiner Geliebten die Hand, welche sie nur zögerlich annahm. Alle ihre Habseligkeiten verbrannten gerade in diesem großen Haus und sie wusste nicht, wie sie mit alldem so schnell umgehen sollte. Und vor allem quälte sie auch eine Frage, was genau eben geschehen war.
Sie griff nach Dutchs Hand, alles was jetzt zählte war das Überleben ihres Sohnes.

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