Ein Weg raus

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Es schmeckte wie Blut. Wie diese ekelhafte, rote Substanz die mal aus seiner Lippe lief, als er sie durchgebissen hatte. Warm und eisern. Es verursachte das gleiche Gefühl. Ein Gefühl sich zu übergeben.

Es machte seine Brust ganz warm. Wie ein Feuerball, der pulsierte und nach außen, gegen seinen Brustkorb drückte, um rauszukommen. Es zwang die Tränen zu fließen und den Körper zu zittern.

Wieso?

Dieser Junge sah genauso aus wie er.

Wieso?

Er war die Person, die ihm seine Familie weggenommen hat. Dieser Junge – sein förmliches Spiegelbild. Sein Bruder.

Man könnte denken, es wäre sein Portrait. Dieser kleine Engel, der zwischen all den Blumen auf einer weißen Decke saß. Aber er war es nicht. Nie hatte er so eine Decke. Und noch nie gab es für ihn so einen Grund zum Lächeln. 

Es war einfach nur ein Bild aber es schien um so viel wichtiger als er. Dieses Stück Leinwand war es viel mehr wert als er. Amarath merkte nicht, wie er anfing laut zu schluchzen. Er wollte aufhören aber es wurde nicht besser. Die Tränen brannten in den Augen und in der Brust klopfte das Herz wie verrückt.

„Du...du hast mir alles weggenommen", sein Atem stockte „Deine Präsenz hat mein Leiden verursacht."

Es war zum Lachen und Heulen gleichzeitig. Zu absurd.

Seine Sicht war verschwommen aber dennoch stand ihm dieses widerliche Lächeln vor den Augen. Dieses verdammte, strahlende Lächeln. Er sah so glücklich aus. Sein Leben war bestimmt voller Liebe und Zuneigung. Amarath kam dem Bild näher und streckte seine Hand aus. Er war noch zu klein und musste sich über den Kamin strecken aber er schaffte es mit seinen Fingerspitzen die Leinwand zu berühren. Der Wunsch, es in Stücke zu reißen verstärkte sich mit jeder Sekunde. Es war nicht fair. Er hatte es nicht verdient.

„Wieso- seid ihr so ungerecht zu mir?"

Amarath schaute in die gezeichneten Augen. die so unangenehm wegen der öligen Farbe aussahen. Sie schienen so lebendig. Als ob sie wirklich in sein Gesicht lachen würden und damit angeben, wie geliebt und wichtig er war.

„Obwohl du nicht da bist – obwohl du wahrscheinlich tot bist. Du bist der Ursprung meiner persönlichen Hölle. Würde es dich doch nicht geben!" Er schlug mit seiner kleinen Faust gegen den goldenen Bilderrahmen aber der stechende Schmerz half überhaupt nicht. Es machte ihn nur noch aggressiver. Amarath wollte dieses Lächeln auslöschen, zukleistern. Alles Mögliche aber nur damit er es nie wiedersehen würde.

Eine unglaublich starke Wut stieg in ihm auf. Er sah, wie alles vor seinen Augen weiß wurde und spürte, wie etwas raus wollte. Etwas unbeschreiblich schreckliches. Er wollte es rausschreien, raushauen, rausprügeln, irgendwas, er wollte es loswerden. Und am besten würde dieser Junge auch hier sein, damit Amarath es an ihm rauslassen könnte.

Amarath konnte mit dieser Ungerechtigkeit nicht zurechtkommen. Götter, wie sehr wollte er dieses Haus mit all denen Bewohnern und diesem Bild zur Asche verbrennen.

Er hätte nie gedacht, dass er diesen Besuch so sehr bereuen würde.

Obwohl er nie die Zuneigung von seinen Eltern hatte, wollte er trotzdem ihre Aufmerksamkeit. Nicht diese Tränen seiner Mutter am Morgen und nicht dieses Geschrei seines Vaters. Er wollte es wie in den Büchern – eine ganz normale Familie. Erwartete er zu viel?

Sollte er es lieber vergessen, da er die wirkliche Liebe seiner Eltern sah?

Mit geballten Fäusten drehte er sich langsam um. Die Fingernägel drückten schmerzhaft gegen die Handflächen. Er würde niemals mehr in dieses Zimmer reingehen, das versprach er sich.

Als er aus dem Zimmer rausging, hätte er fast vergessen, den Zauber wieder aufzulegen.

Die Tränen flossen weiterhin und egal wie stark der Junge sie mit seinem weißen Hemdärmel versuchte wegzuwischen, es verursachte nur einen stärkeren Reiz.

Als er endlich in seinem Zimmer ankam, verschloss er die Tür und schmiss sich aufs Bett.

„Was sage ich da – dich gibt es doch schon lange nicht mehr."

Seine Lippen formten ein bitteres Lächelnd, während die warmen Tränen sein Kissen langsam nässten.

Er hatte genug von diesem Leben hier. Er wollte raus.

Der Junge weinte sich langsam in den Schlaf und merkte nicht, wie die Diener im Haus rumrannten und laut rumklagten, wie der Regen, der wie aus nirgendwo kam, die ganze Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt wurde, durchnässt hat. Das Lieblingskleid seiner Mutter wurde von dem unnatürlich starken Wind weggeweht.



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Oh je, oh je. Ist es etwa Zeit unsere Heldin kennenzulernen? Interessant, wie ihr euch sie schon vorstellt. Was sind so eure Gedanken bisher? Vielleicht irgendwelche Verbesserungsvorschläge?


Silver Heart and Grey WingsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora