Blutregen

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Was wird jetzt nur geschehen?

Ein lauter Schrei hallte durch die Fluren des alten Hauses. Es war tief in der Nacht, der weiße Mond wurde von grauen – fast schwarzen Wolken verdeckt. Als ob es gleich regnen würde. Doch niemand konnte in diesem Moment schlafen. Das laute weibliche Weinen verfolgte jeden Bewohner dieses Hauses. Die hölzerne Tür, aus der die Laute kamen, war fest verschlossen und niemand durfte reingehen. Nicht mal der Besitzer dieses Gebäudes, ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren. Der meistens kaltherzige Krieger mit schwarzen Augen hockte in diesem Moment elend auf dem Boden im Flur und fasste sich in die Haare. Er war kurz vor einem mentalen Zusammenbruch, weil er nichts machen konnte. Seine geliebte Person genau hinter dieser dünnen Wand weinte vor Schmerzen und er konnte nur hier sitzen und sich dahinweinen.

Oh Götter, bitte, lasst sie es überleben.

Eliena ließ noch einen unnatürlichen Schrei raus und Cai haute seinen Kopf gegen die Wand. Er atmete aus. Sein ganzer Körper zitterte vor Angst. Er hatte Angst, dass sie das nicht überleben würde – dass das Kind es nicht überleben würde. Eliena fühlte sich so schlecht die letzten Tage, sie konnte nicht mal aufstehen. Ihr Magen schmerzte und es brannte in der Brust. Sie erzählte Cai öfters über ihre Alpträume, wenn er nachts neben ihr lag. Er konnte nichts dagegen machen – die Ärzte schwiegen und egal wie lang er sie in seinen Armen hielt, nichts rettete die Frau von den verstörenden Bildern im Schlaf und sie würde noch immer weinen und schreien. Sie litt. Allein.

Nach dem nächsten Schrei drückte Cai seine Hände gegen die Ohren.

Lasst es doch aufhören!

Es würde für immer die Frage sein, ob die Götter seine Gebete damals gehört haben, doch nach dem letzten Schrei wurde alles still. Nichts war mehr zu hören, keinen Wind von draußen, keine Geräusche aus dem Zimmer. Als ob sogar die Ärzte vor Schock erstarrten. Es war verstörend. Cai machte die Augen auf und starrte auf den hölzernen Boden. Er hatte anscheinend nicht die Kraft um aufzustehen. Nein, Kraft hatte er. Er hatte nicht den Mut. Er hatte Angst. Sie war banal, kalt und bereitete Bauchschmerzen. In seinem Kopf drehte sich alles im Kreis herum, Cai verstand nicht mal, dass die Hysterie langsam sich in ihm verbreitete

Warum ist es so leise?

Er sprang auf, als die Tür sich öffnete. Eine ältere Frau kam raus und schaute mit Furcht auf Cai. Sein Aussehen war angsteinflößend. Zerzauste, rabenschwarze Haare, zitternde Glieder und rote Augen. Er sah aus wie ein Biest. Nichts blieb mehr übrig von dem kaltherzigen Krieger, der durch so vieles gegangen ist. Nichts sollte ihn mehr Sorgen bereiten – so sollte man denken. Die Frau schluckte laut und versuchte irgendwo anders hinzuschauen.

„Lord...verstehen Sie...ich bitte Sie ruhig zu bleiben."

Der Frau war es ziemlich egal, was eigentlich passiert war. Sie hatte Angst die Worte rauszubringen, nur weil sie vielleicht deswegen auf der Stelle ausgelöscht werden könnte. Was mit der Dienerin passiert war interessierte sie eher wenig. Es war schließlich nur eine Dienerin.

Cai hielt es nicht mehr aus und brüllte die Frau an. Die Wände schienen dabei zu zittern. Seine Stimme war nie die zarteste und die Jahre im Militär schienen auch ihre Wirkung auf ihn ausgeübt zu haben.

„Bring es raus!"

Die Ärztin machte einen Schritt zurück ins Zimmer. Sie schaute mit weit aufgerissenen Augen auf den Krieger. Da drinnen war es viel zu leise. Cai sah, wie sich niemand bewegte und um ein Bett standen. Nur in der anderen Ecke eilte ein junges Mädchen um ein ganz kleines Bündel herum. Sein Kind...

Und er spürte nichts. Er wusste nicht ganz, wie er handeln sollte. Es war ein Schock. Der Mann stand einfach erstarrt da und wusste nicht, in welche Richtung er sich als erstes begeben sollte. In Richtung seiner Geliebten oder in Richtung seines Kindes. Es war ein pures Erstarren. Cai bereitete sich schon seit Monaten darauf vor, doch in diesem Moment war alles vergessen.

„Verstehen Sie...Ihre...Partnerin..."

Sie konnte ja wohl schlecht „Frau" sagen, denn sie war nicht seine Frau. Sie war einfach...eine billige Affäre. Nichts weiter konnte sie sein. Und egal, dass sie ein Kind von ihm hatte. Es war nichts Neues heutzutage.

Sie konnte nicht mal sagen, dass es ihr leidtat. Oder dass sie alles versucht haben. Denn es war den Ärzten ziemlich egal was mit ihr oder dem Kind geschah. Sie hatten nur Angst. Angst vor dem Stärkeren.

Cai schubste die Frau aus dem Weg und rannte zum Bett. Er quetschte sich durch und blickte auf die Frau, die dort lag. Kaltes Entsetzen kroch hoch. Sie lag da, mit zugeschlossenen Augen, bleich und unbeweglich. So sollte man nicht aussehen, wenn man vor kurzem ein Kind bekommen hat. Es war falsch. Komplett falsch. Seine Beine gaben nach und er krachte auf die Knie.

„Eliena...Eliena..."

Cai nahm ihre noch warme aber bleiche Hand in seine und brachte diese zu seinen Lippen. Ihre goldenen Locken waren wie eine Krone, ein Heiligschein, der sich auf den großen Kissen verbreitete. Sie sah aus wie ein Engel, der diese Welt schon verlassen hat. Eine vor kurzem ausgelöschte Kerze. Cai wusste nicht wie er die Antwort auf seine Befürchtungen hatte. Aber er wusste, dass sie tot war. Seine geliebte Frau, die er immer an seiner Seite haben wollte, die immer an seiner Seite sein wollte.

„Wieso...Wieso...?"

Er machte keinen Tumult. Er schrie nicht, brach nichts, brüllte keinen an. Er konnte nur weinen und sich an ihre Hand krallen. Sogar ein Mensch der sowas schon mal erlebte könnte diesen Schmerz nicht beschreiben. Schmerz, der dich erinnerte, dass du deine geliebte Person nie mehr lachen hören würdest, dass du sie nie mehr umarmen oder nie mehr mit ihr reden könntest. Dass du sie einfach nie mehr vor deinen Augen haben würdest. Wenn man einen ganz wichtigen Teil von sich verliert, wie ein Familienteil, mit dem du immer gelebt hast. Du könntest dich nie mehr mit dieser Person streiten oder du könntest dieser Person nie mehr Geschenke machen, über die sie sich freuen könnte. Und Cai spürte nur ein pures Entsetzen. Ihm krochen diese ganzen Gedanken hoch und er konnte nur weinen, denn keine Magie könnte seine Eliena zurückbringen.




Man könnte nicht sagen, wie lange er schon auf dem hölzernen Boden saß. Cai hörte neben ihm ein leises Krächzen und machte die verweinten Augen auf. Neben ihm stand das junge Mädchen, was vor kurzem in der anderen Ecke war, völlig zerzaust und mit weit aufgerissenen Augen. Sie hielt das kleine Bündel in ihren dünnen, zitterigen Armen. Eine falsche Bewegung und sie würde bestimmt das Bündel fallen lassen. Cai hob seine zitternden Hände im Gebet auf und das Mädchen übergab ihm das kleine Kind. Seine einzige Hoffnung. Der Mann drückte den kleinen Menschen an sich und schaute auf das winzige, rote Gesicht. Schön könnte man diesen Anblick nicht bezeichnen, dennoch war es unglaublich, dass dieser kleine Mensch es geschafft hat. Geschafft hat, zu überleben.

„Es ist ein Mädchen...doch sie..."

Cai verstand, was man ihm sagen wollte. Das Mädchen war viel zu klein. Sie war viel zu klein für ein Neugeborenes.

„Sie weinte nicht, als sie geboren wurde."

Die Nachricht ließ ihn fast das Kind aus den Händen fallen. Ein Kind, welches bei der Geburt nicht weinte war ein schlechtes Zeichen in ihren Zeiten. Er schaute schockiert auf das winzige Mädchen, seine kleine Tochter, die mit einer verzerrten Miene leise schniefte. Ein paar Sekunden später hörte man ein leises Weinen, welches immer lauter wurde. Cai atmete aus und drückte die Kleine an sich, während ihm die Tränen das Gesicht erneut runterströmten. Er hatte seine Geliebte verloren aber eine Tochter bekommen. Er würde es dank ihr überstehen. Sein Mädchen war ab diesem Moment das Wichtigste in seinem Leben.



Silver Heart and Grey WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt