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Es klingelt an der Tür und ich wundere mich ob das schon Mary meine Cousine ist. Mary und ich mögen uns nicht sonderlich aber sie muss mich heute abholen da ich die Ferien bei Ihnen verbringen werde. Meine Adoptiveltern fahren in diesen Ferien von Kongress zu Kongress um für Ihre neue OP Methode zu werben. Sie haben es sich nun mal in den Kopf gesetzt die Welt zu retten. Und mit mir haben sie angefangen. Ich bin nicht ihre leibliche Tochter. Ich bin in Heimen groß geworden und habe mit 16 einen Suizidversuch gemacht. Das Heim war die Hölle! Doch dann kamen Dr. Robin Jones und Dr. Nathan Jones. Die beiden haben mich gesehen und beschlossen mich zu retten. Mit 16 adoptiert zu werden ist ein seltsames Gefühl. Plötzlich bist du nicht mehr für dein beschissenes Überleben selbst verantwortlich sondern du wirst noch mal Kind. Mit Robin bin ich viel auf den Spielplatz und Rummel gegangen. Sie macht mir jeden Abend heiße Milch mit Honig und fragt mich wie mein Tag war. Ich bin ihr Kind. Ich bin zu Hause angekommen obwohl ich nicht weiß wo ich herkomme. Meine unbändige Energie und Wut hilft mir Nathan zu kanalisieren. Mit ihm gehe ich Football spielen. Und wenn ich mich nicht an die Regeln halte muss ich hinterher Bäume fällen. Und das ist keine Übertreibung. Ich bekomme ne scheiss Axt in die Hand gedrückt und muss eine Tanne fein säuberlich zu Brennholz verarbeiten und ordentlich aufstapeln. Es passiert etwa ein Mal im Monat dass ich diese Wutanfälle habe. Seit Dads Therapie komme ich mental mit der Wut gut zurecht. Es fühlt sich inzwischen eher wie ein Energieschub an. Da ich nun gerettet bin haben sie wieder ihre eigentliche Arbeit aufgenommen und widmen sich der operativen Versorgung von Gehirnen. Sie sind Neurochirurgen und haben sich auf Tumorentfernung spezialisiert.
Leider sind sie nun ein paar Wochen weg und ich muss zu meiner Tante mit ihrer nervigen Tochter. Tante Rose ist nicht so schlau wie ihre Schwester Robin. Aber sie kann Kinder bekommen. Robin nicht. Und an diese Tatsache klammert sich Rose als sei das ihre Daseinsberechtigung. Robin liebt ihre Schwester trotzdem und hofft dass sie ein guter Mensch wäre. Nun steht Mary vor der Tür und ich hoffe dass die kommenden Wochen nicht genau so beschissen werden wie ich sie mir vorstelle.
Ich öffne und sehe zwei Polizisten. Wohnen hier Dr. Robin Jones und Dr. Nathan Jones?" fragt er. Ich nicke und sage „Ja." „Und wer sind sie?" fragt er und schaut unendlich traurig. „Ich bin Suya Jones, ihre Tochter." antworte ich stolz. „Es tut mir leid Ihnen mitteilen zu müssen dass ihre Eltern verstorben sind. Wir würden Sie gerne bitten die Leichen zu identifizieren."
Mein Leben ist vorbei! In diesem Moment ist mein Leben vorbei. Ich nicke den beiden Polizisten zu und greife meinen Schlüssel. Ich folge ihnen wie in Trance. Ich habe gemerkt dass sie mich am liebsten in ihre Arme geschlossen und getröstet hätten. Oh, ja! Das haben immer alle mit mir gemacht. Das arme kleine Mädchen trösten! Ekelhaft! Innerlich muss ich mich schütteln bei der Erinnerung daran. Robin hat mir ein kleines Messer geschenkt und gesagt: „sollte es je nochmal einer mit dir versuchen dann ‚erstich' ihn hier mit. Es ist eine Theaterwaffe und du kannst niemanden damit ermorden. Aber der Schreck sitzt erst mal tief. Dieses Messer halte ich nun mit der Hand in meiner Hosentasche fest umklammert. Ich zeige genau gar keine Emotionen. Ich werde den beiden keinen Grund geben mich zu trösten. Niemals wieder wird mich jemand auf diese Art mehr berühren. Das habe ich mir geschworen.
Ein Arzt der sich von mir meinen Ausweis zeigen lässt zeigt mir erst ein paar blutverschmierte persönliche Gegenstände von meinen Eltern und fragt mich dann ob ich mich in der Lage fühlen würde die sterblichen Überreste meiner Eltern zu identifizieren. Sie sind bei einem Verkehrsunfall gestorben und sie sehen nicht gerade appetitlich aus. Ich nicke dem Pathologen emotionslos zu und folge ihm. Eine Schwester hebt ein weißes Tuch hoch und dort liegt eindeutig der Mann der bis eben mein Vater für mich sein wollte. Ich nicke und sage: „Das ist Dr. Nathan Jones." Die Schwester schaut mich an und deckt ihn wieder zu. Ich stehe im Raum und verbiete meinen Emotionen hoch zu kommen. Dann geht die Schwester zu den anderen Tisch und deckt die Leiche auf. „Es ist Dr. Robin Jones." sage ich tonlos. Ich weiß nicht wie es passiert ist aber ich strecke meine Hand aus um sie noch einmal zu berühren. Ich lege meine Hand auf ihre blasse Stirn und schließe die Augen. Die zwei Jahre mit ihr ziehen in meinem inneren Auge vorbei und ich beuge mich zu ihr runter und küsse ihre Stirn. „Danke Mum. Ich liebe dich." sage ich ihr zum Abschied. Der Arzt schaut mich an und geht einige Schritte auf mich zu. Ich schaue ihn entsetzt an und gehe drei Schritte rückwärts. Es ist traurig dass ich dieser Frau nie zu Lebzeiten sagen konnte dass ich sie liebe.
Der Arzt kommt bedrohlich nahe dich ich husche schnell hinter den Tisch meines Vaters. Selbst im Tod ist er schützend zwischen mir und der Bedrohung. Ich lupfe schnell das Tuch und gebe ihm auch einen Kuss dort hin wo einst sein Gesicht war. „Ciao, Dad. Ich liebe dich!" verabschiede ich mich und renne aus der Pathologie. Die Polizisten stehen vor der Tür und ich nicke Ihnen zu. „Ich bin fertig." raune ich Ihnen zu.
Die beiden bringen mich zurück nach Hause. „Haben sie Verwandte, Angehörige oder Freunde die ihnen beistehen können?" fragen sie besorgt. Ich nicke. „Ich hätte in den nächsten beiden Wochen eh meine Tante besucht." erkläre ich. „Da kommt schon meine Cousine und holt mich ab." sage ich tonlos. „Dürfen wir uns verabschieden?" fragen sie als Mary vor gefahren kommt. Ich nicke und bedanke mich. Sie grüßen auf dem Weg zum Auto Mary und sind dann weg. Mary schaut den beiden hinterher. „Was wollten die?" fragt sie. Ich zucke die Schultern. „Ein Einbruch in der Nachbarschaft." Lüge ich sie an. Ich kann lügen ohne rot zu werden. Ich habe mein ganzes Leben lang gelogen. Meist so gut dass ich manchmal selber die Lüge nicht von der Wahrheit unterscheiden konnte.
Ich fahre mit Mary zu Tante Rosa. Der Empfang ist kalt und mir schlägt unbarmherzig ihr Hass entgegen. Ich bin die Personifizierung ihres Alptraums: ich bin das Kind der unfruchtbaren Schwester.
Ich nehme es mit Gleichmut hin.
Rose ist von meiner Anwesenheit eben so angepisst wie ich von ihrer. Daher schlägt sie mir am selben Tag noch einen Babysitter Job vor der hier in der Stadt ausgeschrieben ist. Ich nicke und sie gibt mir die Adresse.
Es ist ein altes Herrenhaus mit wunderschöner Fassade und umwerfender geschwungener Treppe. Beruhigt sehe ich dass mehrere Schornsteine das Haus zieren. Ich gehe davon aus dass es dort mindestens einen Kamin geben wird. Hinter dem Haus fängt ein Wald an. Plötzlich lächelt mein Gesicht. Ich erinnere mich an die Bäume die mein Vater mich hat fällen lassen. In jeden einzelnen habe ich meine Wut gehauen. Die Axt mit der ich das getan habe ist in meinem Rucksack. Genau wie sein Hirschfänger und ein Springmesser. Er fand die Idee mit dem Theatermesser zwar nett aber hat mir dennoch eine echte Waffe gegeben. „Suya" hat er damals zu mir gesagt „Suya, du bist schöner als die Götter. Ich werde dich nicht immer beschützen können. Du musst dich selber verteidigen. Und wenn du deinen Angreifern die Klinge in den Leib rammst, dann Triff tödlich. Du hast nur dieses eine Leben. Lass es dir nicht wegnehmen." Vater war es der mich nach meinem Suizidversuch insgesamt drei mal unter irgendwelchen schmierigen Pflegern oder Therapeuten weggezogen hat die mich ‚trösten' wollten. Er hat bemerkt dass ich kranke Typen anziehe wie das Licht die Motten. Nur dass die Motten normalerweise rösten und nicht umgekehrt. Vater hat mir diese Erkenntnis geschenkt und ich werde alles daran tun damit ich das Machtgefüge eines Tages in Ordnung bringe. Wenn mir noch mal ne ‚Motte' zu nahe kommt werde ich sie rösten. Für Dad! Denke ich grimmig.
Ich erklimme die Stufen zum Herrenhaus und läute die Glocke."

DrogoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt