DREI

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Mit Emmas Rat im Kopf, suchte ich mir einen Platz in der hintersten Reihe aus. Dadurch hoffte ich, so unauffällig wie möglich zu bleiben.

Der Raum füllte sich nach und nach mit Schülern, begleitet von Geraschel, Stimmen und Schrittgetrappel. Manche berichteten von den Ereignissen am vergangenen Wochenende, andere schmissen genervt ihre Notizen auf die Tische, um sich auf den letzten Drücker noch was von der letzten Unterrichtsstunde einzuprägen. Die meisten musterten mich neugierig, sagten aber nichts. Ich setzte eine freundliche Miene auf, bezweifelte aber, dass man mich ansprechen würde.

Dennoch ließ sich plötzlich jemand auf den Stuhl neben mir fallen und rutschte an mich heran. Zu nah.

»Na, wenn das nicht die Neue ist!«, stieß er grinsend hervor.

Ich drehte mich zu ihm und rückte gleichzeitig meinen Stuhl weg, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen.

Der Kerl hatte kleine, engstehende Augen. Seine Haare waren mittelbraun, hinten kurz geschnitten, vorne länger und zu einem seltsamen Fransenpony gestylt. Sein dicklicher Körper lehnte sich nach vorne. Wie ein Aasgeier schwebte er über mir. Als würde er nur auf den richtigen Moment warten, um sich auf seine Beute zu stürzen.

»Hallo«, sagte ich und setzte mein freundliches Pokerface auf.

»Ich bin Vince Kramer.«

»Okay.«

Er wartete, doch ich sagte nichts weiter.

»Die haben uns letzte Woche schon gesagt, dass du kommst. Hab gleich wieder vergessen, wie du heißt. Weißt schon, wollte mir keinen unnötigen Namen merken. Hätt ja sein können, dass du ne hässliche Kröte bist.« Er machte eine Kunstpause, die wohl dazu dienen sollte, dass ich mit Spannung auf sein Urteil wartete. »Ich muss sagen, wir haben es besser erwischt als ich dachte.«

Er ließ seinen Blick über meinen Körper schweifen und blieb an meinem Ausschnitt hängen. Sofort bereute ich, den Reißverschluss meiner Sweatjacke nicht höher gezogen zu haben. Mich überkam das Bedürfnis, meine Faust in seiner frech grinsenden Visage zu verewigen. Doch die Vernunft siegte und ich sagte – wie ich hoffte – mit vor Verachtung triefender Stimme:

»Du solltest jetzt zurück zu deinem Platz gehen, Vince!«

»Woher willst du wissen, dass das hier nicht mein Platz ist, Süße?«, hielt er dagegen und grinste wieder. Diesmal mit deutlich anzüglicher Note.

»Dann suche ich mir einen anderen«, sagte ich und fing an, meinen Notizblock und meine Stifte zurück in den Rucksack zu stopfen.

Weit kam ich nicht. Vince packte meine Hand und hielt sie mit unerwarteter Kraft fest. Ich versuchte sie seinem feuchten Griff zu entziehen, doch wie ein Schraubstock zogen sich seine Klauen immer fester um mein Handgelenk zusammen. Angst rumorte in meinen Eingeweiden und ließ mich frösteln, doch ich redete mir ein, mir könne hier nichts passieren. Schließlich war das Klassenzimmer inzwischen voll. Irgendjemand würde mir im Notfall bestimmt helfen.

»Würdest du die Freundlichkeit besitzen und mich wieder loslassen?«, zischte ich. »Am besten jetzt sofort!«

Doch das beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Er kniff die Lider zusammen und seine Augen funkelten bösartig.

»Wenn ich du wär, würd ich mir nicht gleich am ersten Tag Feinde machen, Süße«, fauchte er beleidigt. Hatte er echt gedacht, ich würde auf sein Gequatsche anspringen? »An dieser Schule geben wir den Ton an, das solltest du so schnell es geht in dein Hirn eintätowieren! Sonst werden die Monate bis zu den Abschlussprüfungen ganz schön lang für dich werden.«

Free - Dein Leben gehört dir? [Leseprobe]Where stories live. Discover now